Gruppenfoto bei der Ringvorlesung.
Dirk Rupnow, Ingrid Böhler, Werner-Michael Schwarz und Kurt Scharr.

Das „Rote Wien“ 1919–1934

Der Kurator des Wien Museum, Werner-Michael Schwarz, referierte über die kommende Ausstellung des Museums mit dem Titel „Sprechende Steine – Rotes Wien 1919–1934“. Das Rote Wien bezeichnet hierbei einen Zeitraum zwischen 1919 und 1934, in dem die Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP) die stimmenstärkste Partei in Wien war. Noch heute ist dieser Einfluss in der Stadt zu erkennen.

Es gibt hinsichtlich des Roten Wiens drei verschiedene Perspektiven der Forschung, die auch zeitlich voneinander abgegrenzt sind. Der erste und älteste Ansatz ist ein hagiographischer und noch sehr unkritischer, der bis in die 1980er Jahre vorherrschte. Hierbei werden die Leistungen und die 1934 gewalttätig erfolgte Zerstörung des Roten Wiens hervorgehoben. Diese Perspektive wird in den 1980er Jahren durch eine kritischere Perspektive abgelöst, in der das Scheitern des Roten Wiens durch innere Konflikte, illusionistische Vorstellungen und zu wenig radikale Demokratisierung begründet wurde. Dieser Zugang dominierte noch in den 1990er Jahren. Der aktuelle Ansatz, den auch Schwarz in seinem Vortrag vermittelte, ist ein reflexiver. Er befasst sich mit den inhaltlichen Widersprüchen, was Schwarz als Potential sieht, denn das Rote Wien war voll von Widersprüchen und Spannungsfeldern. Ein solches Spannungsfeld ist etwa das autoritäre Programm des Roten Wiens oder der Zuspruch einiger Bürgerlich-Intellektueller, wie Sigmund Freud, die in den späteren Jahren die Leistungen des Roten Wiens anerkannten.

Die Sozialdemokratische Arbeiterpartei vor 1919

Um das Rote Wien und dessen Programm verstehen zu können, muss man auch deren Vorgeschichte kennen. Schon vor 1914 war Wien ein Gravitationspunkt der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei (SDAP), die in Viktor Adler (1852–1918) eine leitende Figur fand. Deren Programm war ein hohes Bildungsideal, Aufbau einer Massenbasis in Form von Vereinen, die Schaffung einer Arbeiterkultur und eine Revolution ohne Gewalt auf Basis der Demokratie. In der heutigen Forschung wird die SDAP als streng demokratisch und als eine Zwischenform von Reformismus und Bolschewismus gesehen. Ein neuer Mensch, ein aufgeklärter, mündiger Mensch war das Ziel.

Der Erste Weltkrieg beeinflusste die Art des Agierens des Roten Wiens sehr. Nach dem Elend des Krieges war die SDAP systemstabilisierend und versuchte, ständig abzuwägen, was beibehalten werden sollte und wo man sich neu orientieren musste. Die Gestaltung des Lebens der einfachen Arbeiter war eine wichtige Frage in der Nachkriegszeit, die das Rote Wien umzusetzen versuchte.

Handlungsfelder des Roten Wiens

Das Leben nach dem Krieg wurde im Wesentlichen durch fünf Prinzipien geleitet: Steuerpolitik, Wohnungspolitik, Fürsorgepolitik, Bildungspolitik und Kulturpolitik.

Die Steuerpolitik unter Hugo Breitner (1873–1946) setzte Maßnahmen, die vor allem die Besitzenden betraf. Durch Luxussteuern und stark progressive Wohnbausteuern mussten vor allem die reicheren Bürger mehr Abgaben leisten, die wiederum in den Stadtbau (Wohnungen, Infrastruktur etc.) investiert werden konnten.

Die Wohnpolitik ist wohl jener Inhalt, der die Stadt heute noch am meisten prägt. Anfänglich wurden vor allem Siedlungen gebaut (Siedlerbewegung), doch ab 1922 setzte man auf Volkswohnbauten, die vor allem als große Hofanlagen angelegt und ideologisch als Volkswohnpaläste gesehen wurden. Der Gemeinschaftsraum, sowie der Begriff Heimat spielten hier für die individuelle Zugehörigkeit zum Kollektiv eine große Rolle, während Licht, Luft und Grün wichtige Schlagwörter für das neue Wohngefühl im Allgemeinen waren.

Die Fürsorgepolitik kümmerte sich verstärkt um Kinder und Jugendliche in Form von Kindergärten, Horten, Heimen und Gesunden-Untersuchungen. Es wurden ebenso Beratungsstellen für Mütter und für die Eheschließende eingerichtet und eine umfassende Gesundheitspolitik betrieben.

Die Bildungspolitik galt als ein wichtiges Leitprinzip des Roten Wiens, wie auch schon in der SDAP vor 1914. Der demokratische Gedanke spielte auch in der Schule eine große Rolle, so war die Einführung der Gemeinsamen Schule (Zusammenführung von Schülern unterschiedlicher Schichten)  und der Arbeitsschule (eigenständiges Umgehen der Schüler mit Materialien und selbständiges Finden von Ergebnissen) wichtig.

Damit hängt die Kulturpolitik eng zusammen. Denn der „neue Mensch“ entwickelte als gebildeter und aufgeklärter Mensch  seine eigene Kultur, eine spezifische Arbeiterkultur. Daher wurde die Kunst gefördert und diente wiederum der Bildung.

Der Vortrag von Schwarz bot einen umfangreichen Überblick über die Politik des Roten Wiens zwischen 1919 und 1934. Außerdem erlangten die Zuhörer und Zuhörerinnen einen ersten Einblick in die Ausstellung des Museums 2019, die sicherlich sehenswert sein wird.

(Carmen Dejakum)

Der Vortrag zum Nachsehen:

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