Walzgerüst der voestalpine in Linz
PRODUKTION 4.0: Durch das Walzgerüst der voestalpine in Linz laufen jedes Jahr mehrere Millionen Tonnen Stahl.

Clever produzieren

Die Entwicklung zukunftsträchtiger Produktions- und Logistikkonzepte ist ein komplexes Feld – besonders in der Großindustrie: Neben Marktanforderungen müssen auch vorgegebene Materialflüsse und die komplexe Technologie der Produktion beachtet werden. Der Logistiker Hubert Missbauer sucht nach Optimierungen zur Performancesteigerung in industriellen Abläufen.

Mehr als 1.600 Millionen Tonnen Stahl werden jährlich weltweit produziert, allein 7,7 Millionen Tonnen sind es in den Stahlwerken des Technologie- und Industriegüterkonzerns voestalpine mit Hauptsitz in Linz in Oberösterreich. „Bei einem Blick auf diese Zahlen ist es nicht weiter verwunderlich, dass die Abläufe in der Produktion möglichst energie- und kostensparend geplant werden müssen und die Problemlösungskompetenz auf allen Ebenen eines Unternehmens laufend ausgebaut wird. In solchen Dimensionen können selbst vermeintlich kleine Verbesserungen in Abläufen enorme Kostenersparnisse und Produktivitätssteigerungen bedeuten. Auch die Ressourcenschonung ist hier natürlich ein wichtiger Punkt“, sagt Prof. Hubert Missbauer. Der Leiter des Lehr- und Forschungsbereichs Produktionswirtschaft und Logistik am Institut für Wirtschaftsinformatik, Produktionswirtschaft und Logistik der Uni Innsbruck beschäftigt sich seit mehr als 30 Jahren mit konkreten Fragestellungen zu Logistik und Produktionsabläufen in der Industrie. Der Praxisbezug ist dem Wissenschaftler dabei immer ein großes Anliegen: Bereits in mehreren Projekten arbeitete Missbauer eng mit Unternehmen zusammen, so auch in einem aktuellen Projekt mit dem Titel „smartproduction 4.0“. Gemeinsam mit einem Team der voestalpine AG und der Solentia Software & Consulting GmbH zielen die Experten aus Wissenschaft und Praxis auf die Optimierung einzelner Bereiche in der Stahlproduktionskette ab.

Teamwork

 „Die Erzeugung von Stahl besteht aus etlichen Arbeitsschritten und ist insgesamt ein sehr komplexer Vorgang, bei dem viele verschiedene Aspekte berücksichtigt werden müssen. Das macht hochkomplexe mathematische Berechnungen erforderlich“, erklärt Missbauer. In einem Teilbereich des Projekts „smartproduction 4.0“, das auch von der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) unterstützt wird, beschäftigt sich das Team momentan mit einer verbesserten Abstimmung zwischen Stranggießen und Warmwalzen von Stahl. „Der flüssige Stahl muss verfestigt werden, um weiter verarbeitet werden zu können. Dafür kommen Stranggießanlagen zum Einsatz, in denen Stahl durch eine Art Trichter gegossen wird und anschließend zunächst als durchgehender Strang vorliegt, der in Quader geschnitten wird. Diese Form wird als ‚Bramme’ bezeichnet und ist mit einer Dicke von etwa 25 Zentimetern die Grundlage für das weitere Walzen des Stahls: Im Warmwalzwerk werden die Brammen zu einem Stahlband gewalzt und anschließend je nach Bedarf auf bis zu weniger als einen Millimeter Dicke weitergewalzt“, beschreibt Hubert Missbauer diesen Vorgang. Innerhalb dieses Teilabschnitts der Stahlproduktion spielen verschiedene Faktoren eine Rolle, die etwa Fragen der Einhaltung der richtigen Bearbeitungstemperatur der Brammen umfassen, aber auch technische Restriktionen beim Gießen diverser Stahlsorten betreffen. „All das muss in der computerbasierten Steuerung der Anlagen berücksichtigt werden“, so Missbauer. „Wir können vonseiten der Universität Innsbruck hier unsere Expertise auf dem Gebiet der mathematischen Optimierung einbringen. Klar ist aber, dass es sich in diesem Projekt um wechselseitiges Profitieren handelt: Ohne das Know-how und die jahrelange Praxiserfahrung der Kollegen von der voestalpine wäre das nicht möglich.“

Grenzenloses Rechnen?

 Für Hubert Missbauer ist die Zusammenarbeit mit einem internationalen Unternehmen dieser Größenordnung und die Erarbeitung von Lösungsansätzen in ganz konkreten industriellen Fragestellungen auf mehreren Ebenen spannend: „Der Bereich der Industriegüter, wie etwa die Stahlproduktion, haben für mich schon immer eine gewisse Faszination ausgeübt. Die Anlagen der voestalpine zum Beispiel sind allein schon aufgrund ihrer Dimensionen beeindruckend. Durch den engen Kontakt mit Unternehmen habe ich in den letzten Jahrzehnten unheimlich viel gelernt. Das halte ich auch für sehr wichtig: Um ein kompetenter Gesprächspartner für die Industrie sein zu können, muss man sich intensiv mit deren Bedarf und Abläufen auseinandersetzen. Die Ergebnisse unserer Arbeit werden dann in den konkreten Produktionsabläufen unmittelbar umgesetzt“, erzählt der Wissenschaftler. Für das Forschungsgebiet von Hubert Missbauer ist der Industriezweig auch nach vielen Jahren Erfahrung immer wieder eine neue Herausforderung – nicht zuletzt aufgrund des technologischen Fortschrittes. „Wir können heute auf eine Vielzahl ausgereifter Planungsmethoden und Planungssoftware zurückgreifen, die sich laufend weiter verbessern. Dennoch stoßen wir immer noch an Grenzen, die sich aus der exponentiell steigernden Komplexität ergeben“, verdeutlicht Missbauer. „In der mathematischen Optimierung müssen wir zunächst immer identifizieren, worüber es innerhalb der Problemstellung zu entscheiden gilt. Anschließend werden diese Entscheidungstatbestände mathematisch durch Entscheidungsvariable ausgedrückt. Dadurch erhalten wir ein Modell in Form eines Gleichungssystems mit einer großen Zahl von Variablen, das verschiedenste Lösungen erlaubt, jedoch sicherstellt, dass die relevanten Nebenbedingungen, sowohl von Markt- als auch von Produktionsseite, eingehalten werden. Unter Einbeziehung einer Zielfunktion, die etwa die zu erwartenden Produktionskosten ausdrückt, sucht dann der Lösungsalgorithmus die optimale Lösung“, beschreibt der Wirtschaftswissenschaftler seine Arbeit. Hubert Missbauer betont aber gleichzeitig, dass es „die eine Lösung“ im Sinne einer perfekten Lösung nicht gibt – zumindest noch nicht. „Das komplexe Umfeld und die Vielzahl an Aspekten, die wie in diesem Beispiel in der Stahlproduktion zu berücksichtigen sind, ließen die Rechenzeiten exponentiell mit dem Umfang des Problems ansteigen, wenn das Ziel eine exakte Lösung wäre. Das ist jetzt und vermutlich auch in naher Zukunft nicht bewältigbar. Das Gute ist aber: Der technische Fortschritt ermöglicht uns, das mathematische Limit immer weiter auszureizen und uns immer mehr anzunähern. ‚Fast perfekt’ trifft es daher wohl am besten“, betont Missbauer.  

Zur Person

Hubert Missbauer (geboren 1959) studierte an der Johannes-Kepler-Universität Linz Betriebswirtschaftslehre mit den Schwerpunkten Fertigungswirtschaft und Betriebsinformatik. Während dieser Zeit hatte er bereits erste Berührungspunkte mit der Systementwicklung in der voestalpine AG. Nach seiner Habilitation 1994 in Linz trat Missbauer 1997 eine Professur für Betriebswirtschaftslehre mit besonderer Berücksichtigung von Produktionswirtschaft und Logistik an der Uni Innsbruck an.

Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe der „Zukunft Forschung“, dem Forschungsmagazin der Universität Innsbruck, erschienen. Eine digitale Version des Magazins ist hier zu finden.

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