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Rundumschlag gegen die Postmoderne

Karin Fleischanderl: Vom Verbot zum Verkauf. Aufsätze zur Literatur. Wien: Sonderzahl, 2010. 198 S. ISBN 978-3-85449-331-0. Preis [A]: € 16,00

"Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent." Goethes vielzitierte Verszeile scheint das Bild vom Kritiker bis heute stark geprägt zu haben. Darauf lässt die Wortwahl schließen, wenn den Rezensenten beinahe regelmäßig (und zuletzt vermehrt) eine gewisse 'Beißhemmung' attestiert wird. Als 'Maulkörbe' gelten Abhängigkeitsverhältnisse jeglicher Art: Werbeanzeigen großer Verlage in den Feuilletons, innige Bande zwischen Autoren, Lektoren, Agenten und Kritikern sowie die Renaissance der alten Tugend, Freunde nicht vor den Kopf stoßen zu wollen. Das häufig und zu Recht kritisierte Resultat ist, dass sich in den Besprechungen anteilsmäßig mehr Lob als Tadel findet. Der Verriss scheint mit dem Ausscheiden Marcel Reich-Ranickis aus der Tageskritik überhaupt aus der Mode gekommen zu sein. Da wirkt es beinahe wohltuend – die Gründe für und wider diese Textsorte einmal außer Acht gelassen – eine kritische Auseinandersetzung oder gar eine Totalabrechnung wie den soeben erschienen Band Vom Verbot zum Verkauf zu lesen. Der Kritiker als treuherziger Schoßhund mag nett sein, doch er wirkt öde gegen den Terrier, der kampfbereit die Zähne fletscht.

"Keiner von diesen heutigen österreichischen Schriftstellern kann schreiben, alle lügen sich eine widerwärtig-sentimentale Epigonenliteratur in die Tasche, sagte Reger, sie schreiben […] nur Mist […] und schaufeln diesen Mist schamlos und ruhmsüchtig zwischen die Buchdeckel, so Reger." Solche Tiraden auf die Gegenwartsliteratur (hier aus Thomas Bernhards Alte Meister) scheinen Vorbildfunktion für Karin Fleischanderls 2010 im Sonderzahl Verlag erschienene Aufsatzsammlung Vom Verbot zum Verkauf zu haben. Apodiktisch erklärt die Übersetzerin (u. a. von Antonio Tabucchi, Giancarlo De Cataldo und Gesualdo Bufalino) und Mitherausgeberin der Literaturzeitschrift kolik auf knapp 200 Seiten die von der Postmoderne inspirierten Werke zu "Als-ob-Literatur" und konstatiert, dass "die europäische Literatur insgesamt darniederliegt im Augenblick" (Der Standard, 05.07.2010). Doch anders als die Tiraden Bernhards bzw. seiner literarischen Figur sind Fleischanderls Äußerungen fatalerweise jedes satirischen Charakters beraubt.

Ihre Polemiken gründen auf der rigorose Ablehnung der postmodernen Literatur. Während 'postmodern' nach Umberto Eco ein "Passepartoutbegriff" ist, legte Karin Fleischanderl schon 1994 in ihrem Essay Des Kaisers neue Kleider. Schreiben in Zeiten der Postmoderne unmissverständlich dar, was sie darunter versteht, nämlich ein "Kitschphänomen des zwanzigsten Jahrhunderts" (S. 12), das nur in den und durch die Medien existiert und dessen Strategie in der "Simulation von Inhalten" (S. 13) besteht. Eben deshalb sind postmoderne Texte für sie "Als-ob-Literatur", die sich nur durch "Bedeutungslosigkeit" und "Nichtssagendheit" auszeichnet. Für Fleischanderl ist die Postmoderne zudem ein Phänomen der Bürgerlichkeit, denn "die literarischen Proleten sind abgelöst worden von den Feinsinnigen, die Literatur nicht produzieren, sondern verwalten" und deren Themen schon darauf hinweisen, "daß sie nichts mehr mit den Orten zu tun haben wollen, an denen gearbeitet wird" (S. 15 f.). Dieser ideologisch grundierten Generalabrechnung, die von Pauschalisierungen und Schwarz-Weiß-Malerei lebt, lässt die Kritikerin nun mit Vom Verbot zum Verkauf einen Sammelband folgen, in dem sie sich mit einigen 'postmodernen' Autorinnen und Autoren en detail beschäftigt – der ressentimentbehaftete Grundton bleibt der gleiche.

Im titelgebenden Aufsatz des Bandes legt Fleischanderl als selbsternannte Apokalyptikerin des Kulturbetriebs dar, wie es so weit kommen konnte, dass die Postmoderne den ehemals verpönten "Pop und Schund" salonfähig machte und seinen "agressiven Verkauf" sogar noch anregte. Sie sieht den Betrieb in zwei Lager geteilt: Einerseits gibt es den "offiziellen, herkömmlichen" Literaturbetrieb (S. 9), der ökonomisch, und dadurch von Konkurrenzkämpfen geprägt ist; andererseits gibt es "die, die ihre Produkte so verfertigen, als wären sie den Zwängen des Erwerbslebens entzogen." (S. 13) Die Autorin lässt keinen Zweifel daran, dass sie sich zur zweiten Gruppe gehörig fühlt – verweist sie doch dezent darauf, dass sich diese Autoren um Literaturzeitschriften (deren eine sie gemeinsam mit ihrem Mann herausgibt) und Kleinverlage scharen. Zweifel tun sich aber auf, wenn man bedenkt, dass Fleischanderl seit 2009 selbst Jurorin des Ingeborg-Bachmann-Preises ist. Schließt sie sich denn aus, wenn sie von den "Agenten des Betriebs" schreibt, die "in den Jurys der als bedeutend geltenden Literaturpreise sitzen, die sie für ihren Behauptungskampf instrumentalisieren" (S. 12)?

Dass und wie sehr Fleischanderl ökonomisch erfolgreiche Werke offenbar per se ablehnt, wird besonders in einem Text deutlich, der sich mit Gstrein, Kehlmann, Menasse und Glavinic beschäftigt. Es handelt sich dabei um vier Einzelrezensionen, die (was im Band jedoch an keiner Stelle angeführt ist) allesamt zwischen 2003 und 2009 schon in der kolik erschienen sind. Aneinander gereiht ergeben sie eine Philippika gegen einige der heute bekanntesten österreichischen Autoren des letzten Jahrzehnts.

Der von der Kritik überwiegend positiv aufgenommene Roman Norbert Gstreins, Vom Handwerk des Tötens (2003), ist Fleischanderl zufolge nicht mehr als ein "Schas im edlen Gewande" (S. 129), voller leerer Behauptungen, schwachen Dialogen und konturlosen Figuren, ein Buch voller "nichtssagender Aussagen [sic]" (S. 132), verfasst in einer faden Sprache.

Am Beispiel von Thomas Glavinics Literaturbetriebssatire Das bin doch ich (2007) zeigt die Autorin auf, dass die Eventkultur auch vor der Literatur nicht Halt macht – womit sie zweifelsfrei Recht hat. Doch der Behauptung, der Roman würde "jeden existenziellen Tiefgang entbehren" (S. 137) darf widersprochen werden. Verzerrt und kontrastiert die Satire naturgemäß ihren Gegenstand, so ist sie doch ein Spiel mit der Wirklichkeit, und neben dem satirischen hat der Roman auch einen existenziellen Gehalt, nämlich dort, wo es nicht um den (fiktiven) Schriftsteller Glavinic, sondern um den hypochondrischen Neurotiker geht, der sich die große Frage nach der Identität stellt.

Über Literatur lässt sich streiten. Rechtschreibung und Grammatik sind aber relativ verbindlich festgeschrieben und keine Frage des Geschmacks. So fällt auf, dass Fleischanderls Texte von zahlreichen Fehlern gespickt sind. Colin Crouch wird zu Colin Couch (S. 16) und aus Carl Friedrich Gauß macht die Fehlererkennungssoftware Gauss (S. 11). Dass die Autokorrektur des Computerprogramms scheinbar die einzige Form des Lektorats war, die dem Text zuteil wurde, lassen die idiomatischen Fehler ("die Rationalität wird außer Acht geschlagen" [S. 38]) und Tippfehler vermuten. Auch die Tatsache, dass im ersten Aufsatz auf die Fußnote 2 die Nummer 4 folgt, ist unerfreulich, denn sie führt unvermeidbar dazu, dass die Angaben im Literaturverzeichnis denen im Text nur schwer zuzuordnen sind.

Sieht man von diesen Fehlern, die das Leseerlebnis deutlich beeinträchtigen, einmal ab, könnten sich all jene freuen, die über die Beißhemmung der heutigen Kritiker-Generation klagen. Karin Fleischanderl liefert kritische Auseinandersetzungen und Polemiken, die die Diskussion über Literatur beleben. Abgefasst sind sie in einem Duktus, der zwischen feuilletonistischer Kritik und literaturwissenschaftlicher Abhandlung einzuordnen ist. Man könnte sich also in Erwartung einer frischen Brise die Hände reiben und würde möglicherweise auch in Kauf nehmen, dass die Autorin manches Mal mehr behauptet als argumentiert.

Doch Fleischanderl geht zu weit. Marlen Haushofers Werk etwa mit der nationalsozialistischen Ideologie zu vergleichen ("Menschenfeindlichkeit gepaart mit Naturverherrlichung und idealisierter Mütterlichkeit, gab es das nicht schon einmal?" [S. 117]), das ist geschmacklos. Auch Antonio Tabucchi wird sich nicht sonderlich geschmeichelt fühlen, von seiner Übersetzerin als "Alien mit dem Aussehen David Bowies" bezeichnet zu werden, der "keine Ahnung hat von dem straff sitzenden Korsett der Zivilisation, das die Menschen jahrhundertelang eingeengt hat" und "der auch nicht den tiefen Wunsch verspürt, es zu sprengen. Er will es nur sprengen, oder zumindest so tun, als würde er es sprengen, um den Bewohnern seines Sterns zuliebe den Effekt der Literatur hervorzurufen, nicht um selbst die Wohltat oder die subversive Lust zu spüren, sich von den Zwängen der Realität befreit zu haben" (S. 38 f.). Und es wird ihn kaum trösten, dass an ihm nur festgemacht wird, was nach Fleischanderls Definition für alle 'postmodernen' Autorinnen und Autoren gilt. Noch plumper wird die Rezensentin gegen Daniel Kehlmann. Ihm wirft sie Gefühlskälte, Eitelkeit, Nichtkönnerschaft und absolute Ahnungslosigkeit in Sachen Sex vor. Ihr Sermon klingt wieder nach Thomas Bernhard, doch Fleischanderl schreibt auch hier ohne Augenzwinkern, wenn sie behauptet: "Alle diese Personen […] sind dem Autor völlig wurscht. Weil er sich offenbar nicht vorstellen kann, was Menschen fühlen und empfinden, […] weil er sich nicht vorstellen kann, wie sich die Depression anfühlt, wenn man sich der Sinnlosigkeit des eigenen Tuns bewusst wird und weil er sich […] nicht vorstellen kann, wie es ist wenn man begehrt und liebt. […] Das einzige menschliche Gefühl, mit dem der Autor offenbar ein wenig vertraut ist, ist die Eitelkeit, der Narzissmus" (S. 134).

Derlei Abkanzelungen sind nicht nur unter Niveau, weil sie jeglicher Argumentation entbehren und keinerlei Beitrag zum Verständnis des literarischen Werkes leisten, sondern sie sind schlichtweg beleidigend. Das Recht der freien Meinungsäußerung ist unbestritten die Grundvoraussetzung für Literaturkritik. Kritik darf und soll anecken und Provokation tut dem Literaturbetrieb not. Doch die Forderung nach mehr Bissigkeit sollte nicht falsch verstanden werden. Darum der Vorschlag einer Modifikation: Wünschenswert wären mehr ernsthafte Auseinandersetzungen statt zielloser Attacken, mehr Bereitschaft, auch das eigene Urteil gelegentlich in Frage zu stellen, größere Nachvollziehbarkeit in den Wertungen – kurzum: weniger 'Als-ob-Kritik' und dafür mehr Platz für literaturkritische Essays, die diesen Namen wirklich verdienen.

Irene Zanol, 11.10.2010

Irene.Zanol@student.uibk.ac.at