Die Innsbrucker Lehrmittelsammlung

Wenn eine Fotografie als Quelle betrachtet wird, findet zwangsläufig eine Auswahl, Interpretation und Einordnung statt. Dabei werden Fotografien mit Querverweisen oder weiteren Notizen versehen, wie den Namen des Fotografen, das Datum der Entstehung, den Ort der Anfertigung oder der Aufbewahrung des Kunstwerks, um sie als Instrument in der Forschung einzusetzen. Wie bedeutend Stempel, Inschriften, Nummern oder Anmerkungen auf Archivfotografien sind, wird immer wieder auch von der Provenienzforschung hervorgehoben. So aufbereitet werden Fotografien zum Bestandteil eines Archivs, die von der Kunsthistorikerin Costanza Caraffa mit einem Ökosystem verglichen worden sind. So wird ein Archiv als ein Organismus gesehen, der durch unterschiedliche Einflüsse verändert wird. In der Materialität der Sammlung bilden sich somit Forschungsschwerpunkte, Bewertungen sowie persönliche Interessen der beteiligten Akteure ab.

Die Analogie mit einem ‚Ökosystem‘ wird auch in der Innsbrucker Sammlung nachvollziehbar. Einerseits wurden Bemerkungen zu Künstler:in, Titel und Standort, sowie ihre Bestandsnummer innerhalb der Sammlung, meist mit Bleistift und in Kurrent auf den Kartons oder den Rückseiten notiert. Andererseits wurden die Sammlungsobjekte mit dem Stempel des Instituts versehen. Auch wechselnde Ordnungssysteme, unterschiedliche Ankaufsstrategien und die Ordnung nach Gattung oder Herkunft der abgebildeten Werke spiegelt die Sammlungsstrategie des Instituts wider.


Rückseite von XVI. Tiroler Meister, Lichtenstein, Inv.-Nr. 9957, 49 x 39 cmSchrank 9, Mappe, Kunsthistorische Gesellschaft für photographische Publikationen, Deutsche Malerschulen, 52 x 41 cmFotografie (Phototypie), XVI. Tiroler Meister, Lichtenstein, Inv.-Nr. 9957, 49 x 39 cm

Historische Lehrmittelsammlung des Instituts für Kunstgeschichte, Universität Innsbruck, Blick in den Archivraum

 

 Schrank 5, Mappe D-04-05, Dürer, Vier Holzschnittfolgen: phototypisch nachgebildet in der Größe der Originale, 1886, L. Zehl’s Verlag, L. Haberland, Leipzig

 

 


Die Inventarbücher   

Die Inventarbücher der Lehrmittelsammlung des kunsthistorischen Instituts Innsbruck umfassen die Jahre von 1876 bis 1918. Sie bestehen aus vier Bänden (A, B, C, E). Darin sind 15589 Bestandsstücke unter den Inventarnummern 1 bis 15481 verzeichnet. Die Differenz ergibt sich durch die zusätzliche Aufteilung einzelner Inventarnummern in Unterpunkte, gekennzeichnet mit Kleinbuchstaben a bis z. Ab Band C (ab 1889) ergänzt eine Jahresnummer die fortlaufende Inventarnummer. Die Inventarbücher A bis C sind vorwiegend in Kurrent gehalten, der Band E (ab 1900) weist jedoch ein wechselndes Schriftbild aus Kurrent und Schönschrift aus. Aufgrund des unterschiedlichen Schriftbilds ist von mehreren Verfasser:innen auszugehen.

Während die Nummerierung in den Inventarnummern, Fehler oder Nachträge ausgenommen, den Zeitpunkt des Eingangs in die Institutssammlung vermerkt, entspricht diese Auflistung nicht der tatsächlichen Ordnung der Ankäufe innerhalb der Sammlung. Vielmehr wurden die angekauften Bestände nicht nach Provenienz geordnet, sondern wenn nötig aufgelöst und nach dem Pertinenzprinzip in Mappen zusammengeführt. Die Ordnungskategorien sind nicht nach einem einheitlichen Prinzip, sondern reichen von Künstlern in alphabetischer Reihung über einzelne Künstler oder Epochen bis hin zu Herkunfts- Gattungs- oder stilspezifischen Konvoluten.

Von 15589 Stück sind 13167 Fotografien, Dias oder Drucke, 2174 Literatur, 31 Gipsabgüsse von Werken der Antike und Renaissance und 217 Stück umfassen für den Lehrbetrieb und die Inneneinrichtung notwendige Anschaffungen. Zudem zeigt sich der mit der Zeit zunehmende Fokus auf den Ankauf von Dias, was wohl auch auf die zunehmende Nutzung für Vorträge und die Lehre hindeutet. Im Inventarbuch wurden 6594 der abgebildeten Werke dezidiert Künstler:Innen zugeordnet, 10175 der eingetragenen Kunstwerke können alleine über das Inventarbuch einem Herkunftsland oder ihrem Standort in situ zugeordnet werden. Die restlichen Positionen wurden, ähnlich der Literatur nur mit ihrem Werktitel eingetragen, vor allem bei Architektur wurde meist auf die Nennung des Architekten/Baumeisters verzichtet.

Verzeichnis der Institutsbibliothek, Inventarbuch A, 1876–80, 24 x 19 cm

Sammlungsfokus  

Die Sammlung deckt die europäische Kunstgeschichte im Zeitraum zwischen der Antike bis zum 19. Jahrhundert ab. Der Fokus liegt auf der Malerei der Renaissance und dem Barock. Der überwiegende Teil der Werke stammt aus Italien, gefolgt von Deutschland, Frankreich sowie den Niederlanden und Belgien beziehungsweise dem historischen Flandern. Hier zeigen sich zudem zwei Ansätze, nämlich der Fokus auf das möglichst vollständige Zusammentragen des Oeuvres von Künstler:innen, welche in ihrer Epoche und Gattung aus kunsthistorischer Sicht als Meister:innen galten, und dem Fokus auf die möglichst breite Repräsentation einer Epoche, Stilrichtung oder Kunst eines spezifischen Landes oder einer Region. Ein weiterer, gesondert zu betrachtender, da für das Institut spezifischer Schwerpunkt ist zudem die Kunst und Architektur Tirols.

Von den 13167 Anschauungsmaterialien finden sich 8108 Fotografien verschiedener Formate von Carte de visite (5×9 cm) über Kabinettkarten (10×15 cm) bis Folio (21×33 cm), 2344 Dias, 538 Lichtbilder, 96 Fotolithografien, 26 Kunstkarten, sechs Clichéabzüge, 1713 Drucke, 175 Lichtdrucke, 37 Pigmentdrucke und 73 Zeichnungen oder Pausen. 

Fotografie (Albuminabzug auf Karton), Boticelli, Geburt der Venus, Inv.-Nr. 919, 25 x 32,5 cm

Fotografen   

Ein großer Teil der Fotografien in der Sammlung stammt von namhaften Fotografen wie den Brüder Alinari, Giacomo Brogi, Franz Stoedtner, dem Kunstverlag Hanfstaengl oder dem Münchner Lichtdrucker Johann Baptist Obernetter. Die meisten regionalen Fotografien stammen von den Innsbrucker Fotografen Franz Unterberger und Fritz Gratl. 62 Fotografien wurden durch das Institut mithilfe der eigens angeschafften Kamera und vor allem innerhalb Innsbrucks aufgenommen. 

Fotografie (Albuminabzug auf Karton), Marienaltar Stift Stams, Verlag Gratl, Inv.-Nr. 3632, 23,5 x 15,5 cm

Epochen   

Die Gesamtauswertung zeigt, dass 3667 Werke und 343 Künstler:innen der Renaissance zugeordnet werden können. Darauf folgt der Barock mit 1515 Werken und 194 Künstler:innen (934 Werke und 87 Künstler:innen davon aus den Niederlanden oder dem heutigen Belgien). Die dritte stark vertretene Epoche ist die Spätgotik am Übergang zur Renaissance mit insgesamt 588 Werken und 90 Künstler:innen.

Fotografie (Albuminabzug auf Karton, Kabinettkarte), Rubens, Castor und Pollux, Verlag von Franz Hanfstaengl, Inv.-Nr. 1333, 17 x 11 cm

Gattungen   

Gattungsspezifisch zeigt sich klar der Schwerpunkt der Sammlung. So dominiert die Malerei mit 5838 Werken (61,2 %), dementsprechend sind 613 (70,46 %) der genannten Künstler:innen auch Maler:innen. Darauf folgt die Bildhauerei mit 2301 Werken (24,12 %) und die Architektur mit 1212 Werken (12,71 %). Auffällig ist auch, dass bei den Beispielen aus der Malerei meist die Namen der Urheber:innen der Kunstwerke genannt werden, während dies bei anderen Gattungen nur selten der Fall ist.

Dürer, Vier Holzschnittfolgen: phototypisch nachgebildet in der Größe der Originale, 1886, L. Zehl’s Verlag, L. Haberland, Leipzig

Länder   

Auch in der Länderverteilung werden die Sammlungsschwerpunkte sichtbar, da Italien in sämtlichen Gattungen an erster Stelle steht, gefolgt von Deutschland und den Niederlanden. Eine Ausnahme bildet auf dem dritten Platz die Region Tirol-Südtirol mit 931 Werken, von denen jedoch nur 77 einem der 18 genannten Künstler:innen zugeordnet wurden. Der Schwerpunkt auf der Tiroler Kunst und Architektur mit einer großen Anzahl an Fotografien aus Südtirol spiegelt auch das Forschungsinteresse des ersten Ordinarius für Kunstgeschichte an der Universität Innsbruck Hans Semper wider, welcher im Bereich der Alttiroler Kunst forschte. Einige der genannten Tiroler Meister, so zum Beispiel der Meister mit dem Skorpion, wurden von ihm auch in Artikeln behandelt. 

Fotografie (Albuminabzug auf Karton, Kabinettkarte), Pieter Brueghel, der Alte, Bauernbelustigung, Inv.-Nr. 2571, 11 x 17 cm

Künstler:innenverteilung   

Wie für eine Sammlung aus dem deutschsprachigen Raum zwischen 1876 und 1918 nicht unerwartet befinden sich Albrecht Dürer und Rembrandt van Rijn an der Spitze der Liste genannter Künstler:innen, gefolgt von Raffael, Peter Paul Rubens und Michelangelo. Die schiere Anzahl von Werken dieser Künstler in der Sammlung deutet darauf hin, dass sich auch zahlreiche Duplikate darunter befinden. So sind die bekanntesten Werke der genannten Künstler meist in den unterschiedlichen Medien, Größen und von verschiedenen Fotografen abgelichtet enthalten. Die Anzahl an Werken pro Künstler:in sinkt jedoch rapide mit abnehmender Bekanntheit und damaliger Relevanz ihrer Werke. So sind von insgesamt 735 Künstler:innen unter zehn Werke und von 330 nur ein Werk in der Sammlung vorhanden, respektive ihnen zugeordnet. Während bei einigen Künstler:innen das Bestreben nach einer möglichst repräsentativen Sammlung zu deren Oeuvre evident ist, erinnert der Rest der Sammlung an eine Gemäldegalerie. Der Fokus liegt hier auf einem möglichst großen Überblick künstlerischer Tendenzen einer bestimmten Kunstepoche in einem bestimmten Land. Dieser Ansatz setzt sich bis in die Kunst des späten 19. Jahrhunderts fort, wobei hierzu nur mehr exemplarisch einige Werke gesammelt wurden. 

Fotografie (Albuminabzug auf Karton), Raffael, Madonna mit Kind aus St. Maria della Misericordia, Inv.-Nr. 1060, 25 x 32,5 cm

Anteil an Künstlerinnen in der Sammlung   

Weibliche Künstlerinnen und ihre Werke spielen in der Sammlung nur eine untergeordnete Rolle. Im Inventarbuch sind 864 männliche Künstler und nur sechs weibliche Künstlerinnen verzeichnet, der Frauenanteil beträgt also nur 0,69 %. Noch geringer ist der Anteil an Werken, die einer Künstlerin zuordenbar sind. Es handelt sich nur um zwölf von insgesamt 6594, was lediglich 0,18 % entspricht. Auffallend ist zudem, dass sämtliche Künstlerinnen innerhalb der Sammlung aus dem 18. und 19. Jahrhundert stammen: Rosa Bonheur, Virginie Demont Breton, Angelika Kaufmann, Anna Maria Mengs, Maria Felice Tibaldi und Marie Louise Élisabeth Vigée-Lebrun. Heute bekannte Künstlerinnen der Renaissance wurden in der Sammlung noch nicht berücksichtigt.

Fotogravur, E. Vigée le Brun, Selbstbildnis, Klassischer Bilderschatz Nr. 288, Inv.-Nr. 4300a, 30,5 x 23 cm

Eurozentrismus   

Schon im Sammlungsschwerpunkt ist der vorherrschende Eurozentrismus des Faches erkennbar. Nur 32 von 10175 Werken stammen aus nichteuropäischen Regionen. Dabei handelt es sich vornehmlich um Werke aus dem nordafrikanischen und asiatischen Raum, die zudem ausschließlich Beispiele aus den Bereichen Architektur und Kunsthandwerk sind. Auffallend ist weiters auch das Fehlen süd- und vor allem nordamerikanischer Kunst- oder Bauwerke.

Fotografie (Albuminabzug auf Karton), Sassanidische Silberschale mit der Göttin Anaitis, Inv.-Nr. 6634, 25 x 32,5 cm


Nach oben scrollen