Stärkung der regionalen Wirtschaft gegen den globalen Transit

Mehr als 250 Interessierte trafen sich letzte Woche in Steinach im Wipptal um die Folgen der Globalisierung zu diskutieren und Wege in "eine andere Welt" zu finden. Als einer der Höhepunkte der ersten SommerATTACademie suchten Transitgegner und Globalisierungskritiker gemeinsam nach Lösungen in der Transitfrage.
Steinach im Wipptal: Die Kirche bleibt im Dorf, der Verkehr zieht durch. Foto: Gerhar …
Steinach im Wipptal: Die Kirche bleibt im Dorf, der Verkehr zieht durch. Foto: Gerhard Berger/ATTAC
Den "billigen Verkehr", der zu noch mehr Verkehr führe, beklagte der Schweizer Verkehrsexperte Jan Gürke: Im Schweizer Gotthardt-Tunnel sind 1960 noch 75.000 Lkw gezählt worden, heute seien es 1,2 Millionen und in zehn Jahren werden es doppelt soviele sein. Gürke: "Uns wird immer versprochen, dass die Preisersparnis für die Transporteure eine breitere Produktpalette und mehr Lebensqualität bringt. Tatsächlich gibt es in den Supermärkten von Steinach Lammsteaks aus Neuseeland, Birnenkompott aus Südafrika und Popcorn aus Dänemark. Aber als Preis für diese Angebote werden regionale Wirtschaftskreisläufe kaputt gemacht, es gibt weniger und schlechtere Arbeitsplätze, und der Verkehr führt zu höherer Umweltbelastung und geringerer Lebensqualität." Auf der Suche nach Lösungen schlug Gürke "drei V's" vor: Vermeidung, Verlagerung und verträgliche Abwicklung des Restverkehrs. Verkehrsvermeidung könnte durch die Stärkung regionaler Wirtschaftskreisläufe gegenüber dem Weltmarkt erzielt werden. In diesem Zusammenhang plädierte Gürke für die Zusammenarbeit mit den Globalisierungskritikern. Am 5. Oktober wird ein europaweiter Widerstandstag gegen den Alpentransit stattfinden, unter anderem sind Blockaden beiderseits des Mont Blanc-Tunnels geplant.

Gerhard Stürzlinger sieht im geplanten Ausbau der Hochleistungsstrecke München-Verona keine Lösung für den Alpentransit. Bis zur Fertigstellung des Brennerbasistunnels in 15 Jahren würde der Gütertransit von derzeit 40 Millionen auf 75 Millionen Jahrestonnen anwachsen. Die Kapazität des Tunnels wäre im Falle des geplanten Mischbetriebs (Personen und Güter) nicht einmal in der Lage, diesen Zuwachs aufzunehmen. Fazit: "Für unsere Täler ist keinerlei Entlastung zu erwarten." Stürzlingers Gegenvorschlag: "Ein reiner Gütertunnel wäre billiger, sicherer und könnte mehr Verkehr bewältigen." Zusätzlich forderte er den Ausbau des regionalen Bahnnetzes im Interesse der Tiroler Bevölkerung und der lokalen Wirtschaft.

Hautnah von ihren Transiterfahrungen berichtete Maria Hilber von der Initiative "Lebenswertes Wipptal": "Ich wohne hier in Steinach, gleich da oben unter der Autobahn. Bei den Instandhaltungsarbeiten der Autobahn werden riesige Mengen Blei freigesetzt. Das Heu auf meinen Wiesen enthält über 5.000 ppm Blei anstatt der zulässigen 10 ppm. Ich habe fünf Kinder und Enkelkinder und möchte ihnen eine intakte Heimat hinterlassen." Aber auch eine intakte Regionalwirtschaft liegt Hilber am Herzen: Entgegen den Versprechungen sei der Aufschwung durch die Brennerautobahn ausgeblieben: "Es haben acht Betriebe und acht Lokale zu gemacht, ein Hotel steht leer, die Wirtschaft liegt am Boden, das Wipptal ist ein Sanierungsgebiet." Als Vorbild bezeichnete sie das ehrgeizige Roadpricing (leistungsabhängige Schwerverkehrsabgabe) in der Schweiz. "Die gibt es seit 2001, in Deutschland kommt sie Anfang 2003, und Österreich verschiebt sie alle sechs Monate um ein weiteres halbes Jahr." Aber auch mit einer innovativen Lösung wartete Hilber auf: "Die Raucher sollen jetzt höhere Beiträge in die Krankenversicherung zahlen. Wir haben in Österreich nachweislich 2.400 Abgastote durch den Verkehr. Warum ziehen wir nicht die Autobahngesellschaften heran, um unser Krankenkassen zu sanieren?"

Die Umweltexpertin Corinna Milborn warnte vor einer Liberalisierung des Transportsektors durch das Dienstleistungs- und das Investitionsabkommen GATS in der Welthandelsorganisation WTO. Bei völliger Liberalisierung dürften Transit und lokaler Verkehr nicht mehr unterschiedlich behandelt werden, und internationale Transportunternehmen könnten so gegen Mauterhöhungen wegen "Gewinnentgang" und "Enteignung" klagen. Noch im Rahmen der SommerATTACademie wurde innerhalb von ATTAC die Arbeitsgruppe "Transit und Globalisierung" eingerichtet, die gemeinsam mit den Transitgegnern aktiv werden möchte.