Harmonisierungsprozess europäischer Universitätsstudien

Im Rahmen einer Erasmus-Kooperation zwischen dem Institut für Erziehungswissenschaften und der Université de Picardie Jules Verne im französischen Amiens hielt die Erziehungs- und Bildungsforscherin Teresa Longo diesen Montag einen Vortrag an der SoWi-Fakultät zum Thema "Harmonisierungsprozess der europäischen Universitätsstudien".
Amiens
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Bereits im Februar besuchte der Innsbrucker Gastprofessor Josef Berghold die Partneruniversität in Amiens und hielt dort eine einwöchige Lehrveranstaltung sowie ein Referat über psychologische Aspekte der Globalisierung. Im Rahmen dieser Kooperation war am Montag nun Prof. Longo auf Einladung der Institute für Erziehungswissenschaften und Politikwissenschaft zu Gast an der Sozial- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät. Das Thema ihres Gastvortrages lautete „Harmonisierungsprozess der europäischen Universitätsstudien: Marktwirtschaftliche Vereinheitlichung oder interkulturelle Begegnung?“

In ihrem Vortrag analysierte Longo die wichtigsten bildungspolitischen Strömungen unserer Zeit mit ihren spezifischen Antworten, die sie auf die Herausforderungen der heutigen Universitätsausbildung zu geben versuchte. Dabei beleuchtete sie insbesondere die einflussreiche "Human Capital" Schule wie auch die "neoliberale" Denkrichtung, wie sie von von Hayek und Friedman vertreten werden. In der zentralen Kontroverse zwischen diesen Richtungen geht es um die Frage, ob höhere Bildung als öffentliche Aufgabe oder lediglich als individuelle Investition zu betrachten sei. Die „neoliberale“ Forderung, dass es ausschließlich den privaten Akteuren – und ihren wirtschaftlichen Möglichkeiten – überlassen sei, sich um die eigene höhere Ausbildung zu kümmern, befindet sich am radikalen Gegenpol zur klassischen, von Condorcet formulierten Konzeption der Bildung als zivilgesellschaftlicher Notwendigkeit. Diese verschiedenen Denkschulen sind in aktuellen Bestrebungen, die Universitätsstudien europaweit zu vereinheitlichen, mehr oder weniger deutlich präsent.

Zur Veranschaulichung dieser Deutung erläuterte Prof. Longo die wesentlichsten Etappen dieses Harmonisierungsprozesses. Seine Initialzündung erfuhr er durch den 1998 an der Pariser Sorbonne abgehaltenen Gipfel der Universitätsminister der vier größten EU-Länder, der bereits im Folgejahr zu einem Ministertreffen von 29 Ländern in Bologna führte und damit den mittlerweile viel zitierten „Bologna-Prozess“ eröffnete, der unter anderem die Einführung des "European Credit Transfer System" (ECTS) mit sich brachte und eine Entwicklung in Richtung eines dreistufigen Universitätsstudiums einleitete. Im letzten Ministertreffen in Berlin 2003 wurde diese Entwicklung durch das Projekt eines Evaluationssystems ergänzt, das auf europaweit vereinheitlichten Kategorien und Indikatoren aufbauen soll, um den Vergleich zwischen den nationalen Systemen zu erlauben.

Longo berichtete auch über die Erfahrungen, die in Frankreich, Italien, Spanien und Belgien mit den bisherigen Harmonisierungsschritten gemacht wurden, und wies in diesem Zuge auch auf die in allen vier Ländern vorausgegangen Reformen der Universitätsfinanzierung hin, die überwiegend neoliberalen Zuschnitts waren.

Zur Person
Als langjährige Beraterin der UNESCO und anderer internationaler Organisationen ist Teresa Longo eine profunde Kennerin der „neoliberalen“ Ideologie und Wirtschaftspolitik, besonders aber auch in ihrer globalen Anwendung auf das Bildungs- und Erziehungswesen. Unter anderem hat sie zudem ein großes Forschungsprojekt über das entsprechende bildungspolitische Modell durchgeführt, das in Chile ab 1973 unter der Diktatur Pinochets durchgesetzt wurde. (bb)