„Balkan – ewiges Pulverfass Europas“

 Unter diesen Titel stellte der ehmalige Vizekanzler und Koordinator für den Stabilitätspakt für Südosteuropa, Dr. Erhard Busek, vergangene Woche seine Antrittsvorlesung im Rahmen der Lehrveranstaltungsreihe „PolitikerIn in Residence“. Busek wird im laufenden Semester seine weitreichenden Erfahrungen rund um die politischen Entwicklungen in Südosteuropa an die Studierenden weitergeben.
v.l.: Rektor Töchterle, Dr. Busek und Dekan Plasser
v.l.: Rektor Töchterle, Dr. Busek und Dekan Plasser

Schon zu Beginn seines Vortrages stellte der frühere Vizekanzler und bis Sommer diesen Jahres Koordinator des Stabiltätspaktes für Südosteuropa, Dr. Erhard Busek, klar, dass er der Titel seines Vortrages sehr provokant formuliert sei. „Es ist hier in Österreich leider so, dass der Balkan und insbesondere Serbien sehr nachhaltig mit dem Beginn  des 1. Weltkrieges und den  für Österreich damit nicht sehr erfreulichen Folgen in Verbindung gebracht wird.“ In der Tat sind die Einschätzungen zu diesem Teil Europas, nicht zuletzt auch wegen der jüngsten Geschichte rund um den Zerfall des ehemaligen Jugoslawien, sehr stark durch Kriege und Auseinandersetzungen geprägt. Die damit verbundenen Vorurteile sind dadurch häufig nur sehr schwer zu überwinden. Busek schlug mit sehr großer Detailkenntnis einen weiten Bogen und verdeutlichte anhand verschiedener Beispiele, dass die gesamte Region seit Jahrhunderten immer nur Spielball verschiedener (Groß-) Mächte und damit in der Vergangenheit meist fremdbestimmt war.

 

Positive Entwicklung wahrscheinlich

Sehr intensiv widmete sich Erhard Busek in seiner Antrittsvorlesung, den Entwicklungen in den vergangenen Jahren. Von Anfang 2002 bis zum Sommer 2008 war er Koordinator der EU für den Stabilitätspakt für Südosteuropa. Aus dieser Zeit resultiert ein breites Spektrum an Erfahrungen und Kontakten, die ihm eine sehr gute Einschätzung der politischen Entwicklungen ermöglichen. Laut Busek habe man in den vergangenen Jahren sehr viel im Bereich der Bildung investiert, um einen Grundstein für eine positive Entwicklung zu legen. Ein wesentlicher Aspekt sei dabei die Erarbeitung neuer Lehrbücher für die Schulen, um insbesondere alte Vorurteile beiseite zu schieben. Ebenfalls sehr gut habe sich ausgewirkt, dass Studierende aus diesen Ländern in die Mobilitätsprogramme der EU integriert werden. Ebenso positiv verläuft die wirtschaftliche Entwicklung. Das Wirtschaftswachstum in den Staaten Südosteuropas liegt im Schnitt zwischen fünf und sieben Prozent jährlich. Trotz der jüngsten wirtschaftlichen Talfahrt schätzt Erhard Busek eine weitere positive Entwicklung als „sehr wahrscheinlich“ ein. Ein besonderes Augenmerk legte er auch auf die Entwicklung der Demokratie in der Region. Hier berichtete Dr. Busek, dass alle überregionalen Wahlen überaus korrekt abgelaufen seien. Etwas schwieriger sei es seiner Meinung nach, die lokalen Wahlen zu beurteilen. Hier hänge es sehr stark von den örtlichen Machstrukturen ab. Ambivalent dagegen ist der Bereich der Infrastrukturentwicklung. Während der Autobahnbau sehr erfolgreich laufe, würden andere Infrastrukturprojekte nur schleppend vorangehen, betonte Busek. Ein interessanter Aspekt in der Minderheiten- und Autonomiepolitik in der gesamten Region ist die Tatsache, dass die Autonomie Südtirols und die gesamte Entwicklungen in diesem Zusammenhang einen sehr großen Beispielcharakter haben.

 

Aufgrund seiner vielen Gespräche kam Erhard Busek letztlich zum Schluss, dass die Gefahr weiterer kriegerischer Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien eher gering sei: „Nach meinem Gefühl ist ein Krieg nicht mehr möglich. Der Konflikt besteht weiterhin in den Köpfen und Herzen der Menschen, aber der größte Teil der Bevölkerung will dies nicht mehr mit Waffen austragen.“ Im Hinblick auf die Verhandlungen mit der EU betonte Busek: „Die gesamte Region ist sehr europäisch.“

 

Erfolgreiche Verbindung von Theorie und Praxis

Im Rahmen der von Anton Pelinka initiierten Lehrveranstaltungsreihe „PolitikerIn in Residence“ werden nicht mehr aktive Politikerinnen und Politiker, die über längere Zeit Regierungs-, Partei- oder parlamentarische Funktionen in Österreich bzw. auf Ebene der Europäischen Union ausgeübt haben, als GastprofessorInnen an die Universität Innsbruck geholt. Begleitet und unterstützt von Lehrenden der Fakultät für Politikwissenschaft vermitteln sie ein Semester lang ihre spezifischen Erfahrungen, Perspektiven, Beobachtungen und  Überlegungen sowie ihr Hintergrundwissen an interessierte Studierende und stehen als Diskussions- und Gesprächspartner zur Verfügung. Der Erfolg dieser Lehrveranstaltungsform zeigte sich auch bei der Antrittsvorlesung von Dr. Erhard Busek, die gemeinsam von der Fakultät für Politikwissenschaft und Soziologie, dem Institut für Politikwissenschaft und dem Alumniverein der Universität Innsbruck veranstaltet wurde: Über 200 Studierende, Lehrende und politische Weggefährten von Dr. Erhard Busek folgten seinen, mit vielen persönlichen Erinnerungen und Episoden angereicherten Ausführungen.

In den vergangenen Jahren waren Franz Fischler (2005), Johanna Dohnal (2006) und Ferdinand Lacina (2007) Politiker/Politkerin in Residence an der Fakultät für Politikwissenschaft und Soziologie.

(us)