Integration von MigrantInnen durch Sportvereine – Realität oder Illusion?

Im Rahmen eines Seminars unter der Leitung von Prof. Elmar Kornexl beschäftigten sich Sportstudierende der Universität Innsbruck mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen Sportvereine zur Integration von MigrantInnen beitragen können. Ausgehend von der Situation in Tirol haben sie Probleme und Chancen analysiert und mögliche Maßnahmen für die Zukunft erarbeitet.
PK Sport und Migranten
Prof. Elmar Kornexl stellte zusammen mit Studierenden neue Ergebnisse zum Thema Sport und Integration vor.

Menschen mit Migrationshintergrund sind in Österreich wie auch in anderen EU-Staaten eine Realität: Ungefähr 15% der österreichischen Bevölkerung sind ausländischer Abstammung, in Tirol sind es 10%. In manchen Stadtteilen, Regionen und  Gemeinden liegt der Anteil auch deutlich höher. In der Tiroler Gemeinde Telfs beispielsweise sind 16% der Bevölkerung türkischstämmig und 30% der Neugeborenen stammen aus türkischen Familien.  In den vergangenen Jahren hat sich gezeigt, dass die Integration häufig schwierig ist. Einen Ansatzpunkt bietet neben Schule oder Beruf natürlich der Sport. Inwieweit und mit welchen Chancen der Sport und speziell die Sportvereine einen Beitrag zur Integration leisten können und wo derzeit die unüberwindlich scheinenden Hindernisse liegen, war Thema eines im Jahre 2008 am Institut für Sportwissenschaft von Studierenden durchgeführten Projekts unter der Leitung von Prof. Elmar Kornexl.

 

 „In kaum einem anderen Bereich sind die Bedingungen für ein Miteinander besser als im Sport“, erklärt Prof. Elmar Kornexl den Ausgangspunkt der Überlegungen. Die Situation ist laut Kornexl allerdings nicht ganz so einfach wie man auf den ersten Blick meinen möchte, denn den zahlreichen Chancen stehen auch einige Hindernisse entgegen. Die Komplexität des Themas spiegelt sich in der detaillierten Analyse der Chancen und Probleme und nicht zuletzt in einer umfangreichen Bestandsaufnahme für Tirol wider:

 

Welche Chancen bietet der Sport als Integrationsebene?

 

Die großen Chancen, über die Mitgliedschaft von MigrantInnen in Sportvereinen einen erfolgreichen Beitrag zur Integration zu erreichen, liegen in den intensiven sozialen Kontakten und Prozessen, die sportliche Aktivität bietet: Sport ist ein Feld, das einen hohen Stellenwert in der Gesellschaft aufweist, durch gemeinsame Ziele und Interessen gekennzeichnet ist und auf soziale Prozesse ausgelegt ist. Grundlegende soziale Prozesse im Sportverein sind:

  • Kommunizieren: miteinander reden, grüßen, planen, berichten, ….
  • Kooperieren: gemeinsam ein Ziel planen, Aufgaben übernehmen, sich für die Realisierung einsetzen, Teilaufgaben und Verantwortung übernehmen
  • Konkurrieren: sich im Wettkampf messen verlangt Regeln und Vereinbarungen einhalten, Rücksichtnahme, Fairness
  • Helfen: Hilfestellung und Sichern bei Gefahren, Verletzungen, Überwinden von Niederlagen, Trost, …

 

 

Was ist derzeit hinderlich?

 

Leider bestehen aber auch noch gravierende Hindernissen für den Integrationsprozess. Sie sind auch die Ursache für den derzeit höchst unbefriedigenden Stand:

  • reservierte Haltung der einheimischen Bevölkerung gegenüber MigrantInnen
  • kulturelle Besonderheiten der Migranten: Patriarchat, Stellung und Aufgaben der Frau in Gesellschaft und Familie
  • Religion: Bedeckungsgebot, Geschlechtertrennung, starker Einfluss des Iman
  • geringe Bedeutung des Sports als Freizeitaktivität bei Migranten
  • mangelnde Sprachkenntnisse verhindern Kommunikation

 

 
Bestandsaufnahme ist Basis für weitere Maßnahmen

 

Der derzeitige Kenntnisstand in der leider noch sehr spärlichen Fachliteratur bildet die Grundlage für eine Erhebung in Tirol. Sie soll analysieren, in welchem Ausmaß AusländerInnen mit Migrationshintergrund Aufnahme in Sportvereine gefunden haben, welche Chancen in einer solchen Mitgliedschaft für die Integration liegen bzw. welche Hindernisse dem Eintritt in einen Sportverein entgegenstehen. „Wir haben zahlreiche Erhebungen gemacht und mit Trainern, Vereinsobleuten, aber auch mit den IntegrationsreferentInnen von Land und Gemeinden gesprochen“, beschreibt Kornexl die Vorgangsweise, die einige bemerkenswerte Ergebnisse gebracht hat:

 

  • Während es in Deutschland vor allem in Ballungszentren zunehmend eigene Sportvereine für ethnische Gruppen (z.B. ein Drittel der in Berlin aktiven türkischen Fußballer spielen in türkischen Vereinen) ist dies in Österreich nur vereinzelt der Fall (Wien). In Tirol gibt es dafür noch keine Beispiele.
  • Mit Abstand am häufigsten tendieren MigrantInnen zum Fußball und den Kampfsportarten (Karate, Kickboxen, Taekwondo). Bei den Mädchen gibt es eine gewisse Nähe zum Tanz.
  • Die Mitgliedschaft von Migranten in österreichischen Fußballclubs beläuft sich derzeit auf ca. 10%, in den Kampfsportarten zwischen 20 % und 30 %. Diese Prozentzahlen sind in Ballungszentren und Gemeinden mit hohem Ausländeranteil deutlich höher. So z.B. beträgt der Anteil der Migranten in Fußballvereinen in Innsbruck, Schwaz und Telfs 20 % (Türken 10 %), jener in Kampfsportvereinen 27 % (6 % TürkInnen).
  • Der Anteil von Migranten in Funktionen in Vereinen ist im Ansteigen begriffen. Derzeit sind in den 12 Fußballclubs in Innsbruck, Schwaz und Hall insgesamt ein Drittel der Funktionäre Migranten (vornehmlich als Trainer tätig). Bei den Kampfsportarten sind es 45 %.
  • Geschlechtsspezifisch ist der weibliche Anteil an SV-Mitgliedern deutlich geringer als der männliche. Dies trifft allerdings nur auf Fußball zu, in den Kampfsportarten sind die Unterschiede gering.
  • Was das Alter der Sportvereinsmitglieder mit Migrantenhintergrund betrifft, dominieren eindeutig Kinder und Jugendliche im Pflichtschulalter: So z.B. sind in Fußballvereinen in Innsbruck, Schwaz und Telfs 27 % der 6 – 12-jährigen, 23 % der 13 – 18-jährigen und nur 15% Erwachsene Migranten. Bei den Kampfsportarten zeigt sich die gleiche Tendenz. Während bei der einheimischen Bevölkerung zwischen 60 bis 80% zumindest einmal in einem Sportverein Mitglied waren, sind es bei den MigrantInnen nur ca. 45%. Mit Eintritt in die Pubertät kommt es zu einem drastischen Einbruch in der sportlichen Aktivität; der bei den Migranten noch deutlicher ausfällt.

 

 

Gezielte Förderaktivitäten zur Einbeziehung von MigrantInnen
 

In Abwägung der großen Chancen, die in der Einbeziehung der MigrantInnen in Sportvereine liegen, und der doch zum Teil gravierenden Hindernisse, werden folgende Maßnahmen zur Realisierung vorgeschlagen:

  1. Österreichweite einheitliche Vorgangsweise unter Führung und Betreuung eines Ministeriums: Kooperation aller beteiligter Institutionen; Finanzierung durch öffentliche Mittel.

Es bestehen in Österreich bereits eine erfreuliche Zahl von Kleinprojekten und privaten Initiativen, Sport als Mittel zur Integration einzusetzen. In Deutschland läuft bereits seit 1989 ein vom Deutschen Sportbund und der Bundesregierung gemeinsam getragenes Projekt „Integration durch Sport“.

  1. Info-Kampagne an Sportvereine: finanzielle Förderung von Vereinen, die integrationsfördernde Maßnahmen realisieren
  2. Einbau von Migranten in Funktionen in Sportvereinen (Trainer) – spezielle Aus- und Fortbildung
  3. Kooperation Schule-Sportverein zur vermehrten Aufnahme von Migrantenkindern in Sportvereine
  4. Info-Kampagne an Familienväter mit Migrationshintergrund und Vorsteher von Glaubensgemeinschaften bezüglich der Vorteile einer Einbindung der Jugendlichen in Sportvereine.

 

(ef)