Westliche Moderne, Religion und Gewalt

An der Theologischen Fakultät der Universität Innsbruck fand Mitte Juni 2007 eine Fachtagung der ARGE „Politik, Religion, Gewalt“ statt. Das Thema „Westliche Moderne, Christentum und Islam: Gewalt als Anfrage an monotheistische Religionen“ wurde von 15 ReferentInnen aus ihrem Arbeits- und Forschungsfeld für ca. 50 Personen beleuchtet. Daraus resultierten spannende und rege Diskussionen.
Fachtagung "Politik, Religion und Gewalt"
v.l.n.r.: Tahsin Görgün, Karl Prenner

Eröffnet wurde die Fachtagung am Donnerstagabend mit zwei Vorträgen, die den für den Rest der Tagung bestimmenden Spannungsbogen zwischen der politischen Institutionalisierung und theologisch‑philosophischen Verfasstheit Europas im Zeitalter der Wiederkehr der Religionen aufmachten.

 

„Die religiöse Architektur Europas“ und „Gott und das Politische“

 

Otto Kallscheuer (Berlin) sprach in seinem Vortrag „Zur religionspolitischen Lage in Europa“ von der „religiösen Architektur Europas“, in der der historische Konflikt zwischen religiösen und weltlichen Herrschaftsansprüchen auf zweierlei Arten institutionalisiert wurde: als Imperium, dessen Expansion jedoch zu Schismen und Spaltungen führte, und in der Westfälischen Formel „cuius regio, eius religio“, die wiederum dem Nationalstaatsdenken mit allen positiven und negativen Folgen Vorschub leistete. Kallscheuers Hinweis auf eine mögliche dritte Art und Weise, Religion und Politik vereinbar zu machen, nämlich die Diaspora, wurde von Jürgen Manemann (Erfurt) im darauffolgenden Vortrag „Gott und das Politische. Zur Verhältnisbestimmung von Demokratie und Monotheismus im Zeitalter der Wiederkehr der Religionen“ aufgenommen. Diaspora als Erfahrung spielte auch hier eine entscheidende Rolle, jedoch sprach sich Manemann in seinem Vortrag gegen eine Politisierung von Religion aus und erinnerte, dass das Christentum für jene Kultur der Anerkennung des Anderen stünde, die letztendlich der Demokratie zugrunde liege.

 

Gewalt, aber warum?

 

Das Thema Gewalt stand im Mittelpunkt der Vormittagssitzung des Freitags, in der Arnold Angenendt (Münster) über die christliche Toleranz im Widerstreit zwischen kirchlicher und weltlicher Gerichtsbarkeit sprach, Thomas Scheffler (Kopenhagen) über den Zusammenhang zwischen Ehrempfinden und Gewalt anhand des dänischen Karikaturenstreits referierte, Sybille Auer (Innsbruck), die die Gewaltstrukturen in der Anderl von Rinn-Erzählung analysierte und Wolfgang Palaver (Innsbruck) stellte Überlegungen zum Opferbegriff in der christlichen und islamischen Tradition an. Gewalt als mögliche Reaktion auf die Krise der Moderne war u.a. auch Thema in den Referaten von Andreas Oberprantacher (Innsbruck) und Werner Ernst (Innsbruck), die über Religion und Religiosität im Spannungsfeld zwischen Postmoderne und Fundamentalismus sprachen.

 

Der Islam und seine Werte

 

Auf diese theoretisch und philosophisch fokussierten Beiträge folgten am Freitagnachmittag Vorträge von empirischen ForscherInnen und PraktikerInnen. Kerstin Tomenendal (Ankara) sprach über die Rolle von NGOs mit muslimischem bzw. interreligiösem Hintergrund bei der Imagebildung von Muslimen in der österreichischen Öffentlichkeit und Elisabeth Dörler (Feldkirch) gab den Anwesenden einen sehr interessanten Einblick in die Praxis des interreligiösen Dialogs und Konfliktmanagements. Damit war der intensive Studientag aber noch nicht zu Ende, nach dem gemeinsamen Abendessen folgten zwei Vorträge von Islamexperten, Karl Prenner (Graz) und Tahsin Görgün (Frankfurt a. M.), die über Gewalt- und Gerechtigkeitsvorstellungen im Islam referierten.

 

Der Religionsunterricht und seine Möglichkeiten

 

Am Samstagvormittag vermittelten die Vortragenden Ednan Aslan (Wien) und Matthias Scharer (Innsbruck) sowohl optimistische als auch alarmierende Einblicke in die Praxis des konfessionellen Religionsunterrichts an österreichischen Schulen. Die beiden Vortragenden machten einmal mehr deutlich, wie notwendig und fruchtbar das Zusammenspiel theoretischer Reflexion und praktischer Umsetzung für eine gelungene Vermittlung religiöser und kultureller Grundwerte ist, und dass der Religionsunterricht hier eine Schlüsselfunktion innehat, die vor allem im Fall des islamischen Religionsunterrichts von hoher politischer Brisanz ist. Abgerundet wurde die Tagung durch den Vortrag über Nikolaus von Kues' „De pace fidei“ von Hanna-Barbara Gerl-Falkovitz (Dresden), die überzeugend darstellte, dass eine Lektüre dieser Schrift vor dem Hintergrund religiöser Konflikte der Gegenwart durchaus zeitgemäß und wegweisend ist.

 Die Ergebnisse der Tagung sollen in Buchform publiziert und damit einer breiteren interessierten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Der Tagungsband wird 2008 in einer neuen Publikationsreihe der Innsbrucker Forschungsplattform 'Weltordnung – Religion – Gewalt', aus der zahlreiche MitarbeiterInnen auch in der ÖFG-Arbeitsgemeinschaft mitarbeiten, erscheinen.