Wie gefährlich sind kleine Strahlendosen wirklich?

Diese Frage beantwortete gestern der deutsche "Strahlenschutz-Papst" Prof. Herwig Paretzke, der auf Einladung des Naturwissenschaftlich-medizinischen Vereins in Innsbruck weilte. Kleine Strahlendosen haben nach Einschätzung von Prof. Paretzke möglicherweise keine bleibenden positiven oder negativen Wirkungen auf Mensch, Tier oder Pflanze.
Prof. DDr. Herwig G. Paretzke und Vizerektor Prof. Dr. Tilmann Märk
Prof. DDr. Herwig G. Paretzke und Vizerektor Prof. Dr. Tilmann Märk
Die Einwirkung hoher Strahlendosen auf den Menschen sind sehr gut erforscht und das Bewirken auch negativer Effekte steht außer Frage. Inwieweit diese Erfahrungen aber nach unten extrapoliert werden können, ist noch weitgehend offen. Kann aus der Wirkung hoher Strahlendosen auf biologische Organismen auf den Einfluss kleinerer Dosen geschlossen werden? Nach Einschätzung von Paretzke muss man mit dieser Form der Extrapolation sehr vorsichtig sein. Er ist offen für die Möglichkeit, dass für eine Dosis von 10 mSv (Millisievert) überhaupt keine bleibenden positiven oder negativen Wirkungen ionisierender Strahlung auf den Menschen nachweisbar sind. Er hat deshalb auch aus seiner eigenen Tasche einen Preis in der Höhe von 1.000 Euro für Forscher ausgesetzt, die einen bleibenden Effekt dieser Dosis auf die Gesundheit von Lebewesen nachweisen können.
Für Pflanzen und Tiere gilt ähnliches, wie für den Menschen. Auch hier zeigen hohe Strahlendosen eindeutige Effekte. Aber selbst Dosen im Bereich von einigen mGy (Milligray) pro Tag (das entspricht der natürlichen Strahlung, der der Mensch üblicherweise pro Jahr ausgesetzt ist) bleiben ohne beobachtbare Wirkung. Durch die niedrigen Grenzwerte für den Menschen sind so zugleich auch Tiere und Pflanzen gut vor Strahlenschäden geschützt, wenn die Empfehlungen der Experten eingehalten werden.

Anerkannter Fachmann für Strahlenschutz

Prof. DDr. Herwig Paretzke ist Direktor des Institutes für Strahlenschutz am GSF-Forschungszentrum für Umwelt und Gesundheit in Neuherberg, wo er über 100 Mitarbeitern vorsteht. Er ist ein international anerkannter Experte auf dem Gebiet der Wechselwirkung radioaktiver Strahlung mit biologischem Material. Paretzke wird immer dann gerufen, wenn sich Unfälle mit radioaktiver Strahlung ereignen oder radioaktives Material mit der Umwelt in Kontakt gerät. So war er auch sehr intensiv in die Untersuchungen nach dem AKW-Unfall in Tschernobyl involviert und hat den Unglückreaktor besucht. Herwig Paretzke sitzt in zahlreichen internationalen Kommissionen, so in der Internationalen Kommission für Strahlenschutz (ICRP) und der Internationalen Kommission für Strahlungseinheiten und Messverfahren (ICRU), wo Experten jene Empfehlungen für Strahlenschutzmaßnahmen ausarbeiten, die letztlich über die EU oder andere internationale Gremien den Weg in die nationale Gesetzgebung finden. Unter anderem für den Wirtschaftsausschuss der EU macht sich Paretzke Gedanken über die Zukunft des Berufsbilds des europäischen Forschers. Als unabhängiger Experte arbeitet Paretzke auch für die Menschen des Bikini-Atolls, die er bei ihrem Versuch der Wiederbesiedlung der durch Atombombenversuche verseuchten Inseln berät.

Enge Kooperation mit Innsbruck

Mit der Universität Innsbruck verbindet Paretzke eine über dreißigjährige wissenschaftliche Zusammenarbeit. "So etwas wie das Innsbrucker Institut für Ionenphysik gibt es in ganz Deutschland nicht", so Paretzke. Im Jahre 1999 habilitierte er sich am hiesigen Institut und ist seither auch regelmäßig als Universitätsdozent an unserer Universität tätig. Das Institut für Strahlenschutz und das Institut für Ionenphysik arbeiten überall dort zusammen, wo es um die Wechselwirkung von radioaktiver Strahlung und biologischem Material geht. Diese Kooperation ist schon in zahlreiche gemeinsame europäische Forschungsprojekte eingeflossen. Auch ein reger Austausch von Dissertanten und jungen Forschern findet zwischen den beiden Einrichtungen statt.
"An unserem Institut werden grundlegende physikalische Prozesse zwischen Elektronen und Biomolekülen untersucht. Diese Daten geben wir dann an Prof. Paretzke und seine Kollegen weiter, die damit Modelle für den Strahleneinfluss auf größere Gewebeverbände erstellen", so Prof. Tilmann Märk, Ionenphysiker, Vizerektor für Forschung und derzeit Vorsitzender des Naturwissenschaftlich-medizinischen Vereins. Mit Hilfe epidemiologischer Beobachtungen werden die Ergebnisse dann kalibriert. Paretzke und seine Kollegen arbeiten dabei vor allem in Weißrussland, Russland und der Ukraine, wo die Folgen des Tschernobly-Unglücks beobachtet werden. Intensive Kooperationen gibt es auch mit den Forschern in Hiroshima und Nagasaki. (cf)