Atome: Schmutz lässt schöne Körper wachsen

Im bisher wenig erforschten Übergangsbereich zwischen einzelnen Atomen und makroskopischen Festkörpern herrschen eigene physikalische Gesetze. Verunreinigungen führen in diesem Mikrokosmos dazu, dass das Edelgas Argon regelmäßige Cluster bildet. Physical Chemistry Chemical Physics widmet dieser Entdeckung von Physikern um Prof. Paul Scheier die Titelseite ihrer aktuellen Ausgabe.
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Verunreinigungen führen dazu, dass das Edelgas Argon besonders regelmäßige Cluster bildet. [Foto: P. Scheier]

Das industriell heute weltweit breit verwendete Edelgas wurde erst vor hundert Jahren entdeckt. In der Clusterforschung, einem aufstrebenden Zweig der modernen Physik, werden grundlegende Eigenschaften von Argon in Clustern als Bindeglied zwischen der Gas- und der kondensierten Phase, also zwischen den Materiezuständen fest und flüssig, enträtselt. Den Namen – griechisch für das „träge Element“ – verdankt Argon seiner chemischen Reaktionsträgheit. Es ist das häufigste Edelgas in der Erdatmosphäre und geht nur ungern Verbindungen mit anderen Elementen ein. „Kleine Haufen von Argon-Atomen, sogenannte Cluster, wurden in der Vergangenheit schon untersucht. Die Physik solcher Edelgascluster – Ensembles aus wenigen bis zu einigen tausend Atomen – stellt aber nach wie vor ein Rätsel dar. Wenn wir grundlegende Eigenschaften von Argon besser verstehen, profitiert davon auch die Industrie“, sagt der Innsbrucker Physiker Paul Scheier. „Für uns von besonderem Interesse ist dabei, wie sich die Atome zu diesen Clustern zusammenschließen.“

 

Um dies zu untersuchen, haben Scheier und sein Team vom Institut für Ionenphysik und Angewandte Physik der Universität Innsbruck Argon-Atome in ultrakalte Heliumtröpfchen eingepackt, mittels Elektronenstoß ionisiert und in einem Massenspektrometer untersucht. Die in dieser Form weltweit einzigartige Versuchsanordnung erlaubt es den Wissenschaftlern, die entstehenden Cluster sehr exakt zu analysieren. „Es zeigte sich dabei, dass das Einfrieren der Argon-Atome in den Heliumtröpfchen die Art und Weise, wie sich die Atome zu Clustern verbinden, gegenüber nicht eingepackten Argon-Clustern kaum verändert“, sagt Scheier. „Das Argon koppelt offensichtlich nicht effektiv genug an das Helium.“

 

Verunreinigung lässt regelmäßige Strukturen entstehen

Eine Überraschung offenbarte sich den Physikern erst, als sie ihre Daten noch einmal minutiös analysierten. Im Laufe der Messungen vorkommende Verunreinigungen durch Sauerstoff, Stickstoff oder Wasser veränderten die Ergebnisse dramatisch. Plötzlich häuften sich besondere Cluster aus jeweils 54 oder 55 Argon-Atomen, die sich um einzelne Wasser-, Sauerstoff- oder Stickstoffmoleküle gruppierten. „Wir sprechen in solchen Fällen in der Clusterphysik von magischen Zahlen“, erklärt Paul Scheier. „Die Atome bilden dabei einen sogenannten Ikosaeder, eine sehr regelmäßige Struktur, die einem etwas eckigen Fußball gleicht.“

 

Von solch geometrisch regelmäßigen Körpern waren bereits die alten Griechen fasziniert, weshalb eine Gruppe besonders symmetrischer Figuren heute den Namen „Platonische Körper“ trägt. Der Komplizierteste von ihnen ist der Ikosaeder, dessen Außenfläche aus 20 gleichseitigen Dreiecken besteht. In der Clusterphysik ist diese besondere Form oft anzutreffen, weil es die Struktur mit der geringsten inneren Energie ist. „Wenn es die Rahmenbedingungen zulassen, suchen die Atome genau diese Form“, sagt Scheier. „Die magischen Zahlen geben die Anzahl der Atome an, die notwendig sind, um einen solchen platonischen Körper zu bilden.“

 

Unter der Leitung von Prof. Tilmann Märk wurde am Innsbrucker Institut bisher bereits eine Reihe wichtiger Erkenntnisse auf dem Gebiet der Edelgascluster erzielt. Dem neuesten Ergebnis der Ionenphysiker widmet die renommierte Zeitschrift Physical Chemistry Chemical Physics nun die Titelseite ihrer aktuellen Ausgabe. Unterstützt wurden die Forscher vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF), der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) und der Europäischen Kommission.

 

Das Edelgas Argon wird aufgrund seiner hohen Verfügbarkeit in der Industrie breit angewendet: von Feuerlöschanlagen über Schweißverfahren bis zur Verpackung von Lebensmitteln. Edelgascluster werden unter anderem bereits in der Nanotechnologie zum Glätten von Oberflächen industriell eingesetzt. Die Erkenntnisse der Innsbrucker Physiker können dabei helfen, diese Verfahren zu verbessern und neue Anwendungen zu erschließen.

(ip)