Wie sich Körperformen bilden

Innsbrucker Biologen um Doz. Bert Hobmayer haben an Untersuchungen von Süßwasserpolypen jene molekularen Prozesse entschlüsselt, mit denen Lebewesen – von einfachen Tieren bis hin zum Menschen – Ausstülpungen am Körper bilden. Die Forscher berichten darüber in der renommierten amerikanischen Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS).
Lebende Hydra mit zahlreichen Ansätzen für Ausformungen entlang des Körpers (Foto: Is …
Lebende Hydra mit zahlreichen Ansätzen für Ausformungen entlang des Körpers (Foto: Isabelle Philipp)

Molekulare Mechanismen, die die Interaktion zwischen Zellen und die damit verbundenen Änderungen in der Zellform regulieren, sind vor allem in der Embryonalentwicklung, der Bildung von Tumoren und der Regeneration von Gewebe wichtig. Ein Team um Dr. Isabelle Philipp und Doz. Bert Hobmayer vom Institut für Zoologie und vom Forschungszentrum für Molekulare Biowissenschaften (CMBI) der Universität Innsbruck untersuchte gemeinsam mit Forschern aus Heidelberg und Bergen (Norwegen) diese Prozesse an Süßwasserpolypen (Hydra), die für ihre nahezu unbegrenzte Regenerationsfähigkeit bekannt sind und sich im Extremfall in nur wenigen Tagen aus Anhäufungen von Einzelzellen neu bilden können.

 

Gene genau beschrieben

Die Innsbrucker Forscher wollten wissen, wie sich die Zellen organisieren, um neue Körperformen zu bilden und welche Signalwege in den Zellen dabei aktiviert werden. Dazu haben sie mit Markierungsexperimenten beobachtet, wie sich die Zellen in den kleinen Körpern der Hydra anordnen, und auf molekularer Ebene untersucht, welche Proteine diese Prozesse steuern. Die Wnt-Genfamilie scheint dabei eine entscheidende Rolle zu spielen. Es war bereits bekannt, dass diese Wachstumsfaktoren für die Ausrichtung der Körperachse bei der Entstehung der Polypen verantwortlich sind. Die Experimente zeigen nun aber, dass auch ein eindeutiger Zusammenhang zwischen der Aktivierung dieser Gene und der Bildung von Tentakeln und Knospen an der Hydra bestehen. „Genau an jenen Stellen, an denen sich die Zellen zusammenschieben und diese Extremitäten-artigen Ausformungen bilden, sind Wnt-Genprodukte nachweisbar“, erklärt Bert Hobmayer. Die Forscher haben diese Gene nun systematisch charakterisiert und beschrieben.

 

Enorme Komplexität

Mit neuen chemischen Substanzen, die über eine Kooperation vom Pharmakonzern Novartis zur Verfügung gestellt wurden, konnten die Forscher die Funktion der Gene überprüfen. Die Substanzen greifen in die Wnt-Signalwege ein und aktivieren entweder den Ausstülpungsprozess oder blockieren ihn. Im ersten Fall bildet die Hydra über den ganzen Körper Kopfgewebe und eine Vielzahl von Tentakeln, im zweiten Fall verschwinden der Kopf und die Tentakeln. „Auf diese Weise konnten wir die molekularen Mechanismen bei der Bildung von Ausstülpungen funktionell überprüfen“, so Hobmayer. „Während der erste Wnt-Signalweg die Ausrichtung der Körperachse und damit die Position möglicher Ausstülpungen definiert, wird für die Durchführung des Ausstülpungsprozesses ein zweiter Signalweg aktiviert, der die Neuanordnung der Zellen und die Ausrichtung ihrer Muskelfortsätze steuert.“ Die Wissenschaftler vermuten, dass die Koordination der beiden Signalwege für die Ausbildung der Ausstülpungen unverzichtbar ist. „Die enorme Komplexität dieser Vorgänge schon in den einfachsten Lebewesen ist wirklich erstaunlich“, sagt Hobmayer.

 

Bei höheren Organismen und Menschen ähnlich

Die bislang charakterisierten Gene zeigen eine große strukturelle und funktionelle Ähnlichkeit mit Entwicklungsgenen hoch organisierter Wirbeltiere. Dies lässt auf ein besseres Verständnis der entsprechenden Mechanismen bei höheren Organismen und dem Menschen hoffen. In einer fast gleichzeitig erschienen Forschungsarbeit in der Zeitschrift Nature kommen denn auch französische Wissenschaftler bei der Untersuchung von Hühnerembryonen zu ganz ähnlichen Ergebnissen. Sie analysierten die Anordnung und Ausrichtung neu entstehender Muskelzellen und fanden dabei die Aktivierung der gleichen Signalwege, wie sie die Innsbrucker Forscher bei den Süßwasserpolypen aufgezeigt haben. „Das ist eine schöne Bestätigung unserer Arbeit und zeigt wie stark diese Prozesse in der evolutionären Entwicklung der Lebewesen verankert sind“, so Hobmayer abschließend. Bei ihren Forschungen unterstützt wurden er und sein Team unter anderem vom Österreichischen Wissenschaftsfonds (FWF) und dem Tiroler Wissenschaftsfonds (TWF).

(cf)