Organisieren von Arbeit als ethisch-ästhetische Praxis

Das Projektteam bestehend aus Richard Weiskopf, Bernadette Loacker und Mario Vötsch vom Institut für Organisation und Lernen untersucht im FWF-Projekt „Re-creating Organization“ Arbeitsformen und Organisationspraktiken im Kultur- und Kunstbereich.
Szene aus J.W. Goethes „Die Wahlverwandtschaften“, Kellertheater Innsbruck, Intendanz …
Szene aus J.W. Goethes „Die Wahlverwandtschaften“, Kellertheater Innsbruck, Intendanz: Evelyn Fröhlich

Der Kunst- und Kulturbereich wurde über lange Zeit in einen radikalen Gegensatz zur Welt der Wirtschaft, ihren Organisationen und Organisationsprinzipien gesetzt. Dieser Bereich erschien den einen als Refugium, in dem kreative Arbeit und Selbstverwirklichung möglich sind, den anderen als der Ort, von dem aus herrschende Normen sowie die Kommerzialisierung immer weiterer Lebensbereiche in Frage gestellt werden.

 

Mit der Erfindung des (wirtschafts-)politischen Konzepts der „creative industries“ werden die einst klaren Grenzen zwischen Kultur, Wirtschaft und Politik verschoben. Vom Kulturbereich werden vermehrt kreative Impulse für die „Wissensgesellschaft“ sowie das Management innovativer Unternehmen erwartet. Die „creative industries“ werden als Leitbranche angesehen, und Kulturschaffende werden vielfach als die „neuen HeldInnen der Arbeit“ konstruiert. Ihnen wird jenes Maß an Risikofreudigkeit, Ideenreichtum und Engagement zugeschrieben, das auch von „unternehmerisch denkenden“ ArbeitnehmerInnen zunehmend gefordert wird.

 

Das vom FWF geförderte Forschungsprojekt, das am Institut für Organisation und Lernen der betriebswirtschaftlichen Fakultät angesiedelt ist, untersucht Arbeitsformen und Organisationspraktiken in diesem Feld. Den Schwerpunkt bilden dabei die Bereiche Theater, Architektur und Musik. Ausgangspunkt stellen die fundamentalen Umbrüche in der Organisation von Arbeit und die damit verbundenen neuen Herausforderungen dar, die an die arbeitenden Menschen ebenso wie an Organisationen gestellt werden. Auf der theoretisch-konzeptionellen Ebene zielt das Projekt darauf ab, ein neues Organisationsverständnis zu entwickeln, das über eine technisch-instrumentelle Sicht hinausgeht, und Fragen der Ethik und der Kreativität bzw. Ästhetik zu einem immanenten Bestandteil organisierender Praktiken macht.

 

Auf der empirischen Ebene geht es darum, die Möglichkeiten wie auch die Zwänge und Limitierungen zu untersuchen, die mit Arbeitsformen im Kulturbereich verbunden sind. Der Kulturbereich soll weder als neue Leitbranche verherrlicht, noch als Vorbote einer zunehmenden Prekarisierung der Beschäftigung ausschließlich kritisch betrachtet werden. Er stellt vielmehr ein Feld dar, das in vielerlei Hinsicht paradigmatisch für neue Formen der Organisation von Arbeit ist, welche sich u.a. durch ein hohes Maß an Flexibilität, Kurzfristigkeit, Mobilität, Kreativität, Selbstmanagement und -marketing auszeichnen.

 

Die Fokussierung auf die Ambivalenzen dieser Organisationsformen der Arbeit und die jeweils spezifischen Praktiken des Organisierens eröffnet dabei ein vertieftes Verständnis der Wirkungen, die unterschiedliche Arbeitsverhältnisse und -beziehungen auf die Lebenswelt und Identität von Menschen haben.

 

In den vergangenen drei Monaten wurde eine erste umfassende ethnographische Fallstudie im Innsbrucker Kellertheater durchgeführt. Der Probenprozess zu Goethes „Die Wahlverwandtschaften“ (unter der Regie von Johannes C. Hoflehner) wurde in Form einer teilnehmenden Beobachtung begleitet. Als zentrale Organisationspraktiken, die zugleich entscheidend für die Konstitution des Selbstverständnisses der Ensemblemitglieder sind, zeigten sich: Orientierung am kreativen Prozess, Flexibilität und Offenheit gegenüber Neuem, ausgeprägte Selbstdisziplin, intensive persönliche Involvierung, respektvolle Zusammenarbeit, Freude am gemeinsamen (Er)Arbeiten sowie ein hohes Maß an Identifikation mit der Tätigkeit. Letztere impliziert tendenziell eine Bereitschaft zur Selbstausbeutung.

 

Über die Betrachtung der Chancen sowie auch der Zumutungen, die mit diesen Arbeits- und Organisationsformen verbunden sind, versucht das Projekt, nicht nur organisationstheoretische Innovationen und empirische Einsichten zu gewinnen, sondern auch einen differenzierten Beitrag zur aktuellen Diskussion um die „Zukunft der Arbeit“ zu leisten.