Warum schreibt der iranische Präsident einen Brief an George W. Bush?

Wenn man dem „mächtigsten Mann der Welt“ einen Brief schreibt und ihm darin gehörig die Leviten liest, hat man eines ganz sicher erreicht: Der „mächtigste Mann“ muss sich den Brief bis zum Schluss vorlesen lassen, ohne dass er durch Dazwischenreden oder Fortlaufen am Inhalt etwas ändern kann. Welches klassische Medium kann das schon?
Angeregte Diskussion im Workshop
Angeregte Diskussion im Workshop

In der Politik sind Briefe rar geworden, obwohl ihre Geschichte fast so alt ist wie die der Schrift. Im Mai 2006 half der iranische Präsident Mahmud Ahmadineschad mit seinem Schreiben an George W. Bush dem politischen Brief wieder auf die Sprünge. Er wählte für sein starkes Sendungsbewusstsein den Brief, weil er weiß, dass Briefe zwischen Präsidenten, Königen und anderen Herrschern eine lange Tradition besitzen, die bis in den Alten Orient zurückreicht; und weil er den Vorzug von Briefen kennt: der Schreiber hat ein „Copyright“ auf seine Darlegung des Sachverhalts.

 

Warum ein Workshop über Briefe?

Anfang November 2006 trafen sich Wissenschafter/innen aus Österreich, Italien und Deutschland in Innsbruck, um eben über diesen besonderen Charakter des Briefes in politischer Kommunikation zu diskutieren, um sich über Entstehung und Entwicklungslinien des Briefes als Medium in und über Politik vom Alten Orient bis in die Gegenwart auszutauschen. Anlass dafür war die praktische Tatsache, dass zahlreiche Forschungsarbeiten  quer durch die Epochen und Disziplinen sich auf Briefe als Quellen stützen, ohne dass diese Quelle bislang ausreichend erfasst wäre: Der Brief lässt nach wie vor viele Fragen offen. Es gibt zwar verschiedene Definitionsansätze, die aber nicht verbindlich sind und auch eine wissenschaftliche Gesamtdarstellung steht noch aus. Vor allem fehlen epochenübergreifende Darstellungen und Klassifizierungen von Briefen und der Austausch unter verschiedenen Disziplinen, die mit Briefen arbeiten.

 

Muss man Briefe wirklich lesen?

Ausgehend von dieser Situation hatten sich die Organisatoren (Christina Antenhofer / Mario Müller) als Ziele für diesen Workshop gesetzt, Forscher/innen verschiedener Disziplinen an einen Tisch zu bekommen: Historiker, Soziologen, Literaturwissenschafter, Philologen und Kulturwissenschafter aus drei Ländern fanden sich in Innsbruck zusammen, um über ihre „liebste“ Quelle zu diskutieren – von den Keilschrifttäfelchen des Alten Orients, über Engels- und Teufelsbriefe des Mittelalters bis hin zu Briefen von der Kriegsfront.

 

Untersucht wurden zum einen Entwicklungslinien von Briefen in politischer Kommunikation; zum anderen standen methodische Probleme und Herausforderungen im Umgang mit der Gattung für Forscher/innen aus unterschiedlichen Disziplinen und Epochen zur Debatte. Daneben wurden aber auch Detailfragen diskutiert, etwa wie sich Empfehlungsschreiben zur Selbstinszenierung des Schreibers selbst eignen oder ob man Briefe tatsächlich lesen muss? Die Engelsbriefe jedenfalls boten im Mittelalter wie heute ihrem Träger Schutz, auch wenn er ihren Inhalt gar nicht lesen konnte.

 

Veranstalter des Workshops waren Christina Antenhofer und Mario Müller, Mitarbeiter des Internationalen Graduiertenkollegs „Politische Kommunikation von der Antike bis ins 20. Jahrhundert“ (Universitäten Innsbruck, Bologna, Trient, Frankfurt) und des Forschungsschwerpunkts „Politische Kommunikation und die Macht der Kunst“ der LFU Innsbruck.  Gefördert wurde die Veranstaltung durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die LFU Innsbruck, das Italienzentrum, Generalskonsul Werner Tabarelli, die Stadt Innsbruck, die Hypo Bank und die Tirol Werbung.