Martin Ehrendorfer im Gastkommentar zum Winter 2005/2006

Wenn auch der heurige Winter weder aus klimatologischer, noch aus astronomischer Sicht zu Ende ist, ist es doch von Interesse, eine kurze Bilanz zu den Witterungsverhältnissen der vergangenen beiden Wintermonate zu ziehen. Eine Bilanz ist umso mehr von Interesse, als der subjektive Eindruck eines strengen Winters mit langandauern-den Kälteperioden und ergiebigen Schneefällen überwiegt.
Die Wetter- und Temperaturbedingungen haben im Raum Innsbruck, im unteren Inntal, sow …
Die Wetter- und Temperaturbedingungen haben im Raum Innsbruck, im unteren Inntal, sowie auch in anderen Tal- und Beckenlagen Österreichs, mehrfach zu grenzwertüberschreitenden Schadstoffbelastungen (z.B. Feinstaub PM10) im Jänner 2006 geführt.

Blickt man beispielsweise auf die Monatsmitteltemperaturen der meteorologischen Station Innsbruck-Universität (Schöpfstrasse 45), die vom Institut für Meteorologie und Geophysik der Universität Innsbruck (IMGI) betrieben wird, stellt man fest, dass sowohl das Temperaturmittel des Dezember mit -1.3°C, als auch das des Jänner mit -3.7°C unter den langjährigen Mittelwerten liegt; die Anomalien betragen -0.3°C (Dezember 2005) bzw. -1.6°C (Jänner 2006). Diese Anomalien sind bezogen auf die besonders lange Temperatur-Beobachtungsreihe dieser Station, die bis ins Jahr 1906 zurückreicht. Es ist bemerkenswert, dass ein derart kalter Jänner in Innsbruck fast 20 Jahre zurückliegt: -5.3°C war das Monatsmittel des Jänner 1987. Auch gab es seit 1981 nur 3 Jahre, in denen die Mitteltemperatur des Dezembers tiefer lag als die des Dezembers 2005.

Besonders auffallend waren ja in Innsbruck die tiefen Temperaturen der letzten Dezember-Tage, deren Tagesmittelwerte um bis zu 10°C unter den langjährigen Mittelwerten lagen. Mit -11.0°C als Tagesmittelwert war der 30.12. der in diesem Winter bis jetzt kälteste Tag in Innsbruck. In Tirol wurde auch der absolute Temperatur-Tiefstwert in ganz Österreich des Dezember 2005 gemessen: in Seefeld sank am 30.12. das Thermometer auf -25.9°C. Bemerkenswert sind auch die von kräftigem Hochdruckeinfluss bestimmten tiefen Temperaturen des Zeitraums 9.-15.1. Hier lagen die Maxima in Innsbruck durchwegs unter 0°C, und die Minima ohne Ausnahme unterhalb von -10°C.

Während in Innsbruck und im Westen Österreichs bereits die erste Hälfte des Jänner sehr kalt ausfiel, wurden im Osten Österreichs erst in der zweiten Jännerhälfte unterdurchschnittliche Temperaturen erreicht. Durch einen massiven Kaltluftvorstoss von Norden kam es hier tagsüber am 22.1. zu Temperaturabfällen von 10°C bis 15°C mit sehr tiefen Temperaturen in weiterer Folge. Am 23.1. lag beispielsweise das Tagesmittel in Wien unterhalb von -10°C, und damit um fast 15°C tiefer als das langjährige Mittel. Diese Tage brachten Österreich die tiefsten Temperaturen seit Dezember 1996; auch die extrem tiefen Temperaturen in Polen, Moskau, und Sibirien während dieser Zeit sind ja noch deutlich in Erinnerung.

Die Niederschläge im Dezember und Jänner fielen in Innsbruck fast durchwegs als Schnee; insgesamt gab es an der Station Innsbruck-Universität im Dezember 11 Tage, an denen mindestens 1 cm Neuschnee fiel; im Jänner waren es 8 Tage. Auch diese Werte verstärken den Eindruck eines strengen Winters, liegen sie doch beide oberhalb der langjährigen Mittelwerte der Innsbrucker Station (6 bzw. 7 Tage für Dezember bzw. Jänner). Auch die Zahl der Tage mit Schneedecke in diesen Monaten liegt deutlich über den langjährigen Mittelwerten der bis zum Winter 1929/1930 zurückreichenden Schneebeobachtungen der Innsbrucker Reihe.

Obwohl österreichweit die Niederschlagssummen des bisherigen Winters durchaus nicht außergewöhnlich waren, gab es lokal aber bereits zu Beginn des Winters ungewohnt hohe Neuschneemengen. Beispielsweise fielen am 26./27.11. in Villach innerhalb von 24 Stunden 57 cm Neuschnee, wodurch dort eine bis dahin noch nie erreichte Gesamtschneehöhe von 76 cm gemessen wurde. In manchen Skigebieten Österreichs wurde auf Grund dieses frühen Winterbeginns der Saisonstart vorverlegt. Auch im europaweiten Blick ist der frühe Wintereinbruch in den letzten Novembertagen in deutlicher Erinnerung, beispielsweise durch den Zusammenbruch der Stromversorgung im Münsterland durch das Einknicken von Hochspannungsmasten wegen der hohen Belastung durch anfrierenden nassen Schnee, oder auch durch die Unterbrechungen des Flugverkehrs in den Niederlanden auf Grund heftiger Schneefälle.

Der Charakter eines Winters – widergespiegelt in erster Linie durch Temperatur- und Niederschlagsverhältnisse – ist stark an die großräumige Atmosphärenströmung gebunden. So waren weite Teile der ersten Jänner-Hälfte und auch die letzten zehn Tage des Jänner 2006 bis hin in den Februar durch eine blockierende Hochdrucklage mit einem bis Skandinavien reichenden Hochdruckkeil gekennzeichnet (teilweise auch verstärkt durch ein im Süden liegendes Tief). Durch die bereits vorhandene Schneedecke und die damit verbundene starke nächtliche Auskühlung kam es zu den oben angesprochenen tiefen Temperaturen in Innsbruck und in Folge auch zu persistenten und sehr ausgeprägten Temperaturinversionen. So zeigt beispielsweise der Radiosondenaufstieg in der Nacht zum 24.1. eine Bodentemperatur von -12.5°C und mit zunehmender Höhe in Bodennähe eine Temperaturzunahme oder Isothermie; erst ab Kammniveau war wieder eine Temperaturabnahme feststellbar, wodurch erst in einer Höhe von ca. 3500 m wieder ein Temperaturwert von -12.5°C erreicht wurde. Die äußerst effiziente Unterbindung vertikaler Durchmischung bei derartiger Temperaturschichtung hat im Raum Innsbruck, im unteren Inntal, sowie auch in anderen Tal- und Beckenlagen Österreichs, mehrfach zu grenzwertüberschreitenden Schadstoffbelastungen (z.B. Feinstaub PM10) während des Jänner 2006 geführt. Wiederholt wurden vom IMGI in diesen Zeiträumen spezielle Messungen der Schadstoffbelastungen und der meteorologischen Ausbreitungsbedingungen (unterstützt auch durch fernerkundende Flugzeugmessungen) im Rahmen des EU-Projekts ALPNAP  durchgeführt.

Versucht man nun, den durch die großräumige Atmosphärenströmung bestimmten lokalen Wintercharakter zu quantifizieren, spielen neben Temperatur und Niederschlag auch weitere Kriterien, beispielsweise die Andauer der Winterschneedecke, die Summe der Neuschneehöhen und die Anzahl der Tage mit Neuschnee eine wichtige Rolle. Auf der Grundlage von fünf Kriterien wird in einer Arbeit des IMGI aus 1991 ein „überdurchschnittlicher Winter“ objektiv klassifiziert. Unter Verwendung der langjährigen Innsbrucker Beobachtungsreihe stellt man fest, dass im Zeitraum 1960 bis 1990 insgesamt vier Winter alle fünf dieser Kriterien erfüllen, darunter der Winter 1962/63, welcher durch eine ausgeprägte blockierende Strömung charakterisiert war. Dieses Ergebnis unterstreicht die hohe Variabilität des Charakters einzelner Wintersaisonen.

Betrachtet man den heurigen Winter aus der Sicht der fünf oben angesprochenen Kriterien, so sind drei davon bereits mit Ende Jänner erfüllt: mit Ende Jänner bestand die Winterschneedecke in Innsbruck schon über einen nicht unterbrochenen Zeitraum von 50 Tagen, und mit Neuschneehöhensummen von 67 cm im Dezember und 39 cm im Jänner ist auch das zweite Kriterium (von 91 cm) bereits überschritten; weiters gab es bereits 19 Tage mit mindestens 1 cm Neuschnee (Kriterium 18 Tage). Auch hinsichtlich der beiden geforderten Temperaturkriterien sind die Voraussetzungen für einen strengen Innsbrucker Winter erfüllbar, sofern nicht der Februar überdurchschnittlich warm ausfällt. Dies scheint sich jedoch zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht abzuzeichnen. An dieser Stelle sei aber zur Unterstreichung der enormen atmosphärischen Variabilität an den Februar 1956 erinnert, dessen Temperaturmonatsmittel mit -10.9°C das tiefste in Innsbruck überhaupt beobachtete Monatsmittel ist. Bemerkenswerterweise folgte dieser extrem kalte Monat auf einen überdurchschnittlich warmen Dezember und Jänner.

Aus der obigen Betrachtung des ja noch andauernden heurigen Winters wird deutlich, wie sehr kontinuierlich durchgeführte globale und lokale Beobachtungen der Witterungsverhältnisse für die objektive Einordnung und Bestimmung des Klimazustandes und seiner Variabilität wesentliche Voraussetzung sind. Lange Beobachtungsreihen sind ja auch die Grundlage für ein vertieftes Verständnis des so faszinierenden und komplexen Klimasystems, sowie seiner erfolgreichen Modellierung.

Martin Ehrendorfer ist Professor

am Institut für Meteorologie und Geophysik der LFU Innsbruck