Die Rückkehr der Scherenritter

Flusskrebse waren einst weit in Europa verbreitet und wohl jedes Kind kannte in seiner Umgebung ein Gewässer mit Flusskrebsen. Heute reihen sich die heimischen Krebse in die lange Liste der höchst gefährdeten und vom Aussterben bedrohten Arten ein. Nun soll aber durch nationale und internationale Aktivitäten den früher besser bekannten und geschätzten "Panzerrittern" unserer Gewässer wieder der notwendige Stellenwert eingeräumt werden.
Krebs
Krebs
Wenn überhaupt, so sind sie meist nur noch aus dem Haubenlokal bekannt - die Flusskrebse. Obwohl sie die größten wirbellosen und bizarrsten Tiere in unseren heimischen Gewässern sind, zählen sie auch zu den am stärksten gefährdeten Lebewesen.

Der Rückgang der europäischen Krebsbestände ist stark mit der Tätigkeit des Menschen verknüpft. Neben biologischen Gründen (Krebspest und andere Krankheiten), deren rasche Verbreitung ebenfalls auf menschliche Aktivitäten zurückzuführen ist, der Wirkung toxischer oder unverträglicher Substanzen oder Abwasserbelastung, waren es vor allem strukturelle Veränderungen oder Verarmung der Gewässer, die Wasserführung, Ufer- und Sohlstrukturen, die Verzahnung mit dem Umland und die Begleitvegetation nachhaltig veränderten und in weiterer Folge den Lebensraum der Flusskrebse zerstörten. Die flusspflegerischen Maßnahmen, Bautätigkeiten und die darauf folgende Veränderung der Lebensraumausstattung sowie die Trockenlegung von Gewässern und Feuchtwiesen haben enorm zum Rückgang der europäischen Flusskrebse beigetragen.

Bei einer Internationalen Fachtagung, die derzeit in Innsbruck stattfindet, werden aktuelle Bilder und Details aus ganz Europa über die neuesten Erkenntnisse aus Lebensweise, Fortpflanzung, Lebensraum unserer Flusskrebse, ihrer Rolle im Ökosystem vor allem aber ihre kulturhistorische Bedeutung und Gefährdung thematisiert. Univ.- Prof. Dr. Leopold Füreder vom Institut für Zoologie und Limnologie leitet die Tagung und hat auch das Programm zusammengestellt, der langjährige Erfahrung aus verschiedenen regionalen, länderübergreifenden und europäischen Projekten sammeln konnte.

Die Flusskrebse Europas
In Europa gibt es vier heimische Arten, nämlich Edelkrebs, Dohlenkrebs, Steinkrebs, Galizischer Sumpfkrebs, die eine ganz charakteristische, zum Teil kulturhistorisch bedingte Verbreitung aufweisen. Am weitesten verbreitet ist der Edelkrebs, der bereits im Mittelalter weit gehandelt wurde. Heute hat der Edelkrebs vor allem in skandinavischen und nordeuropäischen Ländern wirtschaftliche Bedeutung.
Die beiden kleineren Arten Dohlenkrebs und Steinkrebs wurden wegen des geringeren Ertrages weniger gehandelt. Ihre heutige Verbreitung entspricht in vielen Fällen noch dem ursprünglichen nacheiszeitlichen Verbreitungsgebiet: Dohlenkrebse sind vor allem in Süd- und Westeuropa verbreitet, Steinkrebse im Einzugsgebiet der Donau, d.h. südliches Mitteleuropa und Osteuropa.
Der Galizische Sumpfkrebs erreicht zwar die Körpergröße des Edelkrebses, sein Verbreitungsgebiet blieb aber großteils auf Osteuropa beschränkt.
Paradoxerweise verschwinden unsere Flusskrebse allmählich auch aus den heimischen Gewässern, weil zuhauf amerikanische Flusskrebse ausgesetzt wurden und noch immer werden. Vor allem von drei Arten - Signalkrebs, Kamberkrebs und Amerikanischer Sumpfkrebs - gehen verschiedene Gefahren aus, wo die Übertragung von Krankheiten, zum Beispiel die durch einen Schlauchpilz hervorgerufene Krebspest, die größte Rolle spielt.

Ökologische Rolle der Flusskrebse - Flusskrebse als Indikatoren
Der überwiegende Anteil wirbelloser Tiere in unseren heimischen Gewässern wird von sehr kleinen Organismen gestellt - mit zwei Ausnahmen: Flusskrebse und Großmuscheln. Neben ihrer Größe haben diese beiden Organismen noch weitere Gemeinsamkeiten, die aus heutiger Sicht ihre ökologische Bedeutung unterstreichen - sie sind Indikatoren für die Gewässerbeschaffenheit und sind Schlüsselarten im Ökosystem. Flusskrebse haben wegen ihrer Körpergröße und der oft großen Individuenzahl mit der sie vorkommen oft Schlüsselfunktion im Gewässerökosystem. Sie verändern nicht nur Struktur und Qualität ihres Lebensraumes, sind so genannte "ökologische Baumeister", sondern greifen auch direkt in das Nahrungsnetz der Gewässer ein.
Die Flusskrebse gelten allgemein als Allesfresser. In ihrer Anspruchslosigkeit bei der Nahrungswahl sind die Krebse einzigartig: von abgestorbenen Pflanzenteilen, Würmern, Egel, Insektenlarven, Schnecken und Muscheln bis zum größeren toten Fisch, reicht das Spektrum ihrer Nahrung. Durch Aasverzehr vermindern die Krebse den Fäulnisanteil im Gewässer und damit die Gefahr der Krankheitsübertragung ("Gesundheitspolizei"). Durch Verzehr des Pflanzenwuchses kann ein gesunder Krebsbestand den Auswirkungen der Eutrophierung entgegenwirken. Flusskrebse gelten zwar als Indikatoren für eine gute Wasserqualität und eine naturnahe oder intakte Gewässerstruktur, können gelegentlich aber auch in mäßig verunreinigten Gewässern angetroffen werden. Toxische Substanzen ertragen sie jedoch nicht.

Aktuelle Projekte zum Schutz der Flusskrebse
Die beiden Artenschutzprojekte "Tiroler Flusskrebse" und "Südtiroler Bachkrebs", konzipiert und koordiniert von Prof. Füreder, werden derzeit in Zusammenarbeit mit den zuständigen Abteilungen der Landesregierungen Tirols und der Autonomen Provinz Bozen umgesetzt. Dabei werden konkrete Vorschläge für eine Verbesserung der Flusskrebssituation und einen nachhaltigen Schutz der Flusskrebse in den Gewässern Tirols, nördlich und südlich des Brenners, umgesetzt. In diesem längerfristigen Programm werden Einzelprojekte, wie Lebensraumschutz, Gewässersanierung und Lebensraumerweiterung, Zuchten und Wiederansiedlung usw. durchgeführt.
Einerseits geht es dabei um aktuelle angewandte Fragestellungen, andererseits wird im Zuge dieser Projekte auch Grundlagenforschung betrieben. Die Fragen, denen Füreder und seine Mitarbeiter nachgehen, haben mit der Schlüsselrolle der Flusskrebse in Gewässerökosystemen zu tun. Sie betreffen zum Beispiel die Indikatoreigenschaften der heimischen Flusskrebsarten, ihre Rolle als "ökologische Baumeister" oder die Bedeutung der Lebensraumausstattung für die heimischen Flusskrebsarten. Die innige Verknüpfung wissenschaftlicher Arbeit mit angewandten Fragen ermöglicht zudem eine praxisorientierte Ausbildung der Studierenden: Bislang sind drei Diplomarbeiten und eine Dissertation in diesen Arbeiten integriert.

Internationale Bedeutung und Aktivitäten
Keinen unwesentlichen Aspekt für diese regionalen Artenschutzprojekte stellt die Zusammenarbeit der Arbeitsgruppe um Füreder mit anderen in- und ausländischen Forschern dar. Die Arbeiten sind in zwei EU-Projekte eingebettet. Das Interreg-III-Projekt "Crayfish Geneflow" wird in Zusammenarbeit des Institutes für Zoologie und Limnologie der Leopold-Franzens-Universität Innsbruck mit dem Land- und Forstwirtschaftlichen Versuchszentrum Laimburg, Südtirol durchgeführt. Dabei geht es um die morphologische und genetische Charakterisierung der heimischen Krebspopulationen - wichtige Informationen für Zucht- und Besatzmaßnahmen im Zuge der Artenschutzmaßnahmen. Im EU-Projekt "CRAYNET - European crayfish as keystone species - linking science, management and economics with sustainable environmental quality", in dem Füreder mit anderen 11 Partnern aus insgesamt 11 europäischen Staaten dabei ist, wird die Ökosystemare Rolle, Gefährdung und Schutz der Flusskrebsarten auf europäischen Niveau bearbeitet.

Die hier vorgestellten Projekte befassen sich also mit einem umfassenden Themenkreis, der besonders naturschutz- und gewässerrelevante Aspekte betrifft, die in EU-Richtlinien (Wasserrahmenrichtlinie, Flora-Fauna-Habitat Richtlinie) gefordert werden. Neben der regionalen Bedeutung von konkreten Vorschlägen zur Verbesserung der Flusskrebssituation und dem nachhaltigen Schutz der Flusskrebse in den Gewässern Tirols, ergibt sich dadurch eine gesamteuropäische Dimension. Wir können mit diesen regionalen Artenschutzprojekten wichtige Beispiele in einem gesamteuropäischen Problemkreis einbringen. Jetzt liegt es an den zuständigen und autorisierten Körperschaften und Personen, sowohl weitere Schritte zum Schutz und Erhalt der heimischen Flusskrebse einzuleiten als auch längerfristige Programme über mehrere Regionen zu unterstützen. Dann kann den früher besser bekannten und geschätzten "Panzerrittern" unserer Gewässer wieder der notwendige Stellenwert eingeräumt werden.

Das EU-Netzwerk CRAYNET
Das europäische Netzwerk CRAYNET setzt sich vorwiegend aus Wissenschaftlern im Bereich Biologie, Ökologie, Limnologie, Zoologie und Fischerei zusammen mit dem Ziel, ein Programm zum Schutz der Flusskrebse zu erarbeiten sowie eine Plattform zu installieren, die in Zukunft eine bessere Vernetzung von Wissenschaft, Gewässermanagement, Naturschutz und sozio-ökonomischer Entwicklung garantieren.

CRAYNET Conference Innsbruck
Die CRAYNET-Tagung in Innsbruck ist eine wichtige Aktivität zur Umsetzung der vorgefassten Projektziele. Neben Dublin (Juni 2003) und Halden in Norwegen (September 2003) und Florenz (Mai 2005) wurde Innsbruck entsprechend der generellen Verbreitung der heimischen Flusskrebsarten und ihrer oft unterschiedlichen Bedeutung für bestimmte Regionen als Tagungsort gewählt. Intention von CRAYNET ist es, auf diesen Tagungen Diskussion und Workshops zu organisieren, die projektrelevante Themen zum Inhalt haben, und einem größeren Personenkreis die Möglichkeit bieten, mitzuarbeiten.

Im Detail soll die Situation und Verbreitung der Flusskrebse in den Alpenländern einschließlich der angrenzenden Gebiete dargestellt, besonders auch Forschungsdefizite aufgezeigt und die optimale Umsetzung von Artenschutzprojekten auf der Tagung diskutiert werden.

Derzeit sind etwa 80 Delegierte zur Tagung angemeldet. Ein bunt gemischtes Programm soll die Besucher zum Erfahrungsaustausch zusammenbringen und mit neuesten wissenschaftlichen Ergebnisse aus zahlreichen Regionen Europas konfrontieren, aber auch bei einem geselligen Lokalaugenschein über die Situation und Besonderheiten der Tiroler Flusskrebse nördlich und südlich des Brenners informieren. (bb)