Zurück vom Ausflug in die Schwerelosigkeit

Nach insgesamt 90 Parabelflügen kehrte der Innsbrucker Astrophysiker Gernot Grömer wieder auf heimischen Boden zurück. Mit einem internationalen Team junger Wissenschaftler führte er letzte Woche im Rahmen der 37. ESA Parabelflugkampagne in Bordeaux, Frankreich, zum ersten Mal erfolgreich Vergleichsstudien zum Atemwegsmanagement in der Schwerelosigkeit durch.
Kroemer
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Statistisch gesehen kommt es alle 2,4 Jahre zu einem medizinischen Notfall an Bord eines Raumschiffes, der den Einsatz von medizinischer bzw. lebensrettender Ausrüstung notwendig macht. Bei Besatzungsgröße und Flugzeiten für die voll operationelle Phase der Internationalen Raumstation (ISS) wird es alle fünf Jahre notwendig sein, einen Astronauten zurück zur Erde zu evakuieren. Auch an Bord einer zukünftigen bemannten Mission zum Mars ist die Besatzung faktisch komplett auf sich selbst angewiesen, um während des Fluges Notfallmanöver " im medizinischen Bereich " durchzuführen. Ein Arzt wird dabei nicht notwendiger Weise zu jeder Zeit zur Verfügung stehen, wodurch auch medizinisch relativ untrainierte bzw. unerfahrene Besatzungsmitglieder gezwungen werden könnten, Sofortmaßnahmen durchzuführen.

Das Experiment ADAMA
Bei den Untersuchungen bestand die Flugbesatzung aus vier Nicht-Anästhesiologen sowie einem Testsubjekt mit 12-jähriger Erfahrung als Notfallsanitäter. Somit konnte eine realistische und daher repräsentative Astronautencrew simuliert werden. An Bord des Flugzeuges wurde eine modifizierte Puppe verwendet, die den zu intubierenden Patienten darstellte. Jede abgeschlossene Sequenz des Experimentes, insgesamt waren es 90 Sequenzen, bestand aus der Durchführung einer vollständigen endotrachealen oder Lanrynxmasken-Intubation durch den sogenannten Intubator, unterstützt von einem Assistenten, verifiziert und aufgezeichnet durch eine Kontrollperson und dokumentiert durch einen Filmer sowie einer fix installierten Kamera. Jede Intubation musste innerhalb der 20 Sekunden dauernden Phase der Schwerelosigkeit an Bord abgeschlossen sein.

Das Team
Das ADAMA-Team bestand aus einer vierköpfigen Flugbesatzung: Gernot Groemer aus Österreich, Astrophysiker an der Universität Innsbruck und Notfallsanitäter; Alexander Soucek aus Österreich, Weltraumjurist bei der Europäischen Raumfahrtbehörde ESA; Cristina de Negueruela aus Spanien, Telekommunikations-Spezialistin bei der ESA und Michael Thomsen aus Dänemark, Elektroingenieur an der Technischen Universität Dänemark. Hinter der Flugcrew steht ein großes Team an Helfern, unter ihnen auch Dr. Christian Keller und Dr. Thomas Haas von der Univ.-Klinik für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin als medizinisch-wissenschaftliche Berater.

Der Zustand der Schwerelosigkeit
Um Schwerelosigkeitsflüge durchzuführen, verwendet die Europäische Raumfahrtbehörde ESA einen speziell adaptierten Airbus A-300. Das Flugzeug startet vom Flughafen Borderaux-Mérignac (Frankreich) und steigt auf eine Flughöhe von rund 6000 Metern innerhalb einer für den restlichen Flugverkehr gesperrten Testflugzone über dem Nordatlantik. Der Parabelbogen beginnt, indem die Maschine bei vollem Triebwerksschub in einem 47 Grad-Winkel steil nach oben gezogen wird. 20 Sekunden später, in einer Höhe von 7600 Metern, wird der Triebwerksschub durch die Testpiloten fast vollständig zurückgenommen, wodurch das Flugzeug in freien Fall übergeht. Nun beginnt die 20 Sekunden dauernde Schwerelosigkeitsphase an Bord. Das Flugzeug fliegt nicht mehr, es fällt. Ähnlich wie ein in die Luft geworfener Ball eine Kurve zieht, steigt die Maschine noch etwas weiter (maximale Höhe im Scheitelpunkt der Parabel 8500 Meter), bevor sich die Nase des Flugzeuges der Parabel folgend abwärts neigt und der Airbus steil nach unten fällt. Nun werden die Triebwerke voll durchgestartet, um das Flugzeug wieder abzufangen und es schließlich auf 6000 Metern Höhe wieder in Normalflug zu bringen, von wo aus die nächste Parabel starten kann. An einem Tag werden so insgesamt 30 Parabeln geflogen, die Gesamtflugzeit beträgt drei Stunden. Die jährlich durch ESA-Flüge erzielte Schwerelosigkeits-Gesamtdauer entspricht mit 90 Minuten einer vollen Erdumkreisung; wertvolle Forschungszeit für Wissenschaftler ohne den kostspieligen Weg ins All machen zu müssen.

Vorläufige Ergebnisse - wertvolle Daten für Notfallmedizin im All
Schon jetzt kann gesagt werden, dass sich das Verhalten von Testobjekt und Testsubjekten während der Durchführung künstlicher Beatmungen unter Schwerelosigkeitsbedingungen erheblich von jeglicher Simulation unter Normalbedingungen unterscheidet. Die ersten Untersuchungen der gewonnenen Daten zeigen interessante Ergebnisse sowohl im Bezug auf den direkten Vergleich von endotrachealer Intubation und Larynxmaske als auch auf die Kinetik von Puppe bzw. Patient und Intubator. Die genaue Erstanalyse wird etwa einen Monat nach Flug in Anspruch nehmen, die Ergebnisse werden auf einer Pressekonferenz Anfang Juli an der Uniklinik Innsbruck, vorgestellt werden. Das Forschungsprojekt wurde von der Univ.-Klinik für Anästhesie und Allgemeine Intensivmedizin maßgeblich unterstützt, Dr. Christian Keller und Dr. Thomas Haas haben hier die wissenschaftliche Leitung des Experiments übernommen. (bb)