Werden die Gletscher verschwinden?

Dieser und ähnlichen Fragen widmeten sich über 70 Gletscherexperten aus ganz Europa vergangene Woche am Institut für Lawinen und Wildbachforschung in der Innsbrucker Hofburg. Das 8. Alpine Glaciology Meeting wurde dabei erstmals vom neugegründeten "Innsbruck University Network of Climate and Cryospheric Research" mitveranstaltet.
gletscher_170x130.jpg
Der außergewöhnliche Sommer im letzten Jahr, die neuesten Erkenntnisse über Gletscher und Klima im 20. Jahrhundert, neue Messverfahren im Feld und von Satelliten sowie Berichte über die Antarktis und die Tropen standen auf dem Programm der Tagung. Vielen ist der letzte Sommer mit den hohen Temperaturen in guter Erinnerung. Georg Kaser vom Institut für Geographie und Mitinitiator des "Network of Climate and Cryospheric Research" meint dazu: "Die hohen Temperaturen allein waren noch nicht das Außergewöhnliche am Sommer 2003, es war vielmehr die lange Dauer der Warmphase." Auch der Münchner Forscher Ludwig N. Braun, der den Wasserabfluss von Gletschern untersucht, pflichtet Kaser bei: "Insgesamt stiegen die Temperaturen schon in den 90er Jahren erheblich an, doch im letzten Sommer hat sich die Anzahl der überwarmen Tage nahezu verdoppelt. Auf unserer Messstation im Ötztal, die auf einer Höhe von 2.600 m liegt, haben wir im letzten Jahr über 100 Tage mit Lufttemperaturen über 10°C gemessen."

Verschwinden die Gletscher?

Diese ungewöhnlich lange Wärmeperiode setzte nicht nur den heimischen Gletschern, sondern jenen im gesamten Alpenraum zu: der aus Grenoble kommende Christian Vincent betonte, dass seit 1981 die Sommerabschmelze der Gletscher im gesamten Alpenraum erheblich angestiegen ist. Die letzten Erkenntnisse lassen vermuten, dass die Gletscher weiterhin stark abschmelzen werden. Doch hier geben sich die Experten vorsichtig: "Zukunftsszenarien könnten nur anhand von Modellen und mit Hilfe von bestimmten Voraussetzungen gemacht werden", so Kaser, "wenn man eine Klimavorhersage machen könnte, dann wäre man auch in der Lage, vorherzusagen, wie es den Gletschern in Zukunft ergehen wird. Geht man aber davon aus, dass bei gleichbleibender Niederschlagsmenge die jährliche Durchschnittstemperatur um 1° steigt, so kann man sagen, dass sich die Gletscher 120 - 150 Höhenmeter zurückziehen werden."

Vermehrte Eisstürze

Neue Forschungsergebnisse gibt es auch auf dem Gebiet der Gletschermechanik. Hierbei hat man festgestellt, dass in manchen Regionen aufgrund des fehlenden Niederschlags die Bewegungen des Eises stark abgenommen haben. In anderen Gebieten wieder sind die gigantischen Eisriesen durch die verstärkte Abschmelze zu gefährlichen Zeitgenossen geworden. "Durch den Anstieg der Temperaturen fällt natürlich auch in höher gelegenen Regionen der Niederschlag in Form von Regen. "Dies führt zu einem höheren Wasserdruck im Eis und zusammen mit dem aufgetauten Untergrund zu gefährlichen Eisstürzen," warnt der Züricher Experte Martin Funk, der die verschiedensten Auswirkungen der warmen Sommerperioden auf Eislawinen und Bergstürzen untersucht.
Die Innsbruckerin Elisabeth Schlosser vom Institut für Meteorologie und Geophysik betonte, dass sich wissenschaftliche Theorie nicht immer leicht in die Praxis umsetzen lässt: Man ist bisher davon ausgegangen, dass sich von entnommenen Eisbohrkernen aus der Antarktis anhand von chemischen und physikalischen Analysen relativ einfach die Lufttemperaturen vergangener Jahrhunderte und Jahrtausende ableiten lassen. Schlosser jedoch verglich Schneeprofile jüngster Jahre mit den dazugehörigen Temperaturaufzeichnungen und gelangte zu einem erstaunlichen Ergebnis: bei gleicher Schneezusammensetzung der einzelnen Schneeprofile herrschten doch unterschiedliche Lufttemperaturen vor.

Neugegründetes Netzwerk

Die Tagung fand bereits zum zweiten Mal in Innsbruck statt und wurde heuer erstmals vom kürzlich gegründeten "Innsbruck University Network of Climate and Cryospheric Research" (ICCR) in Zusammenarbeit mit dem Institut für Lawinen- und Wildbachforschung organisiert. Dieses Netzwerk, initiiert von Georg Kaser vom Institut für Geographie und Andrea Fischer vom Institut für Meteorologie und Geophysik, strebt eine bessere und effizientere Zusammenarbeit einzelner universitärer Gruppen untereinander sowie einen gemeinsamen Auftritt nach außen an. Das Netzwerk besteht zur Zeit aus einer Kerngruppe, soll aber innerhalb der Universität und auch nach außen erweitert werden. (cf)