Literaturwissenschaft als kritische Wissenschaft

Vergangene Woche veranstaltete das Institut für deutsche Sprache, Literatur und Literaturkritik gemeinsam mit dem nunmehr seit vierzig Jahren bestehenden Innsbrucker Zeitungsarchiv ein internationales Symposion zum Thema "Literaturwissenschaft als kritische Wissenschaft".
Prof. Michael Klein, Leiter des Innsbrucker Zeitungsarchiv
Prof. Michael Klein, Leiter des Innsbrucker Zeitungsarchiv
Vor dem Hintergrund einer sich rasant verändernden Gesellschaft und angesichts des damit einhergehenden Verlusts eines noch bis in die 60er Jahre weithin gültigen geschichtsphilosophischen und ästhetischen Grundkonsenses sind Literaturwissenschaft und Literaturkritik schon seit einiger Zeit mit einem Ansehensverlust konfrontiert und befinden sich, unabhängig voneinander oder auch nicht, wieder einmal in einer Legitimationskrise. Sie gibt Anlass zur methodischen Selbstreflexion und zur Reflexion der gesellschaftlichen Bedeutung beider Institutionen. Ziel des Symposions war es, Literaturwissenschaft wieder stärker als 'kritische' Wissenschaft in den Blickpunkt zu rücken. Eine Voraussetzung zur Überwindung der Krise, die die zeitgenössischen Geisteswissenschaften insgesamt betrifft, erschien den Tagungs-Veranstaltern darin zu liegen, dass sich beide, Literaturwissenschaft und Literaturkritik, durchaus aus der Perspektive unterschiedlicher Erkenntnisinteressen in der Sache, d.h. im Dienst an ihrem gemeinsamen Gegenstand, der Literatur, als ergänzend und gegenseitig unterstützend verstehen. Für eine zukünftige Literaturwissenschaft würde dies bedeuten, dass sie sich wieder stärker der gesellschaftlichen Öffentlichkeit und dem öffentlichen Diskurs über Literatur zu stellen hätte.

Mögliche Konzepte und Strategien

In Vorträgen und Diskussionen gingen Literaturwissenschaftlerinnen und Literaturwissenschaftler aus Österreich, Deutschland und den USA, die sich aus verschiedenen Blickwinkeln in ihren Forschungen mit dem Verhältnis von Literaturkritik und Literaturwissenschaft beschäftigt haben, unter theoretisch-methodologischen, medienwissenschaftlichen, literaturdidaktischen und nicht zuletzt curricularen Gesichtspunkten auf mögliche Konzepte und Strategien für ein Projekt der Engführung von Hochschulgermanistik und journalistischer Literaturkritik in Forschung und Lehre ein, wobei die Referierenden, was die germanistische Ausbildung betrifft, immer wieder die Notwendigkeit und die Bedeutung einer soliden allgemeinen Ausbildung in den germanistischen Kernkompetenzen für spätere Berufsfelder hervorhoben. Erörtert wurden Ursachen und Gründe, die zur Zurückdrängung der Literaturwissenschaft als kritischer Wissenschaft aus dem öffentlichen Bewusstsein geführt haben, weiters das Verhältnis von (germanistischer) Literaturwissenschaft und journalistischer Literaturkritik in den USA, Konzeptualisierungen einer kritischen Hermeneutik, Aspekte literaturkritischer Vermittlung im Bereich der Literaturdidaktik, Kanonfragen und anhand von exemplarischen Beispielen Formen der Literaturvermittlung im Bereich der Medien (z.B. im ORF), auf der Bühne und im Feuilleton (z.B. Inszenierung der Theaterstücke von Werner Schwab und feuilletonistische Rezeption des vermeintlichen Skandal-Autors). Dass Literaturwissenschaft als 'kritische' Wissenschaft nicht auf Wertung bzw. auf die Reflexion von Wertungsfragen verzichten kann und die Schulung der Wertungskompetenz - auch im Hinblick einer kritischen Lektüre des Feuilletons - zu den zentralen Ausbildungszielen des literaturwissenschaftlichen Studiums gehört, wurde dabei immer wieder unterstrichen.
Die Veranstaltung schloss mit einer Führung durch das "Innsbrucker Zeitungsarchiv zur deutsch- und fremdsprachigen Literatur" - der derzeit größten vergleichbaren universitären Dokumentationsstelle für Literaturkritik im deutschen Sprachraum. (cf)