Nanoteilchen werden trotz Wärmezufuhr kälter

Innsbrucker Ionenphysikern ist gemeinsam mit französischen Kollegen der sensationelle Nachweis gelungen, dass Nanoteilchen trotz Energiezufuhr abkühlen können. Dieses paradoxe Verhalten wurde zwar schon länger theoretisch vorhergesagt, von vielen Physikern jedoch mit großer Skepsis beurteilt.
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Wir alle sind mit dem Verdampfungsvorgang einer Flüssigkeit wohl vertraut. Bei konstanter Wärmezufuhr erhitzt sich die Flüssigkeit stetig und dann setzt bei einer bestimmten Temperatur der Verdampfungsvorgang ein. Die zugeführte kinetische Energie (Temperatur) wird in potentielle Energie zur Überführung des Systems vom gebundenen flüssigen Zustand in den freien gasförmigen Zustand (Dampf) umgewandelt. Beide Phasen (flüssig-gasförmig) sind bei zunehmender Energiezufuhr zunächst nebeneinander vorhanden, wobei die Temperatur konstant bleibt. Erst wenn die ganze Flüssigkeit verdampft ist, steigt bei weiterer Energiezufuhr die Temperatur des Dampfes.

Wie in einem gerade erscheinenden Physical Review Letter mitgeteilt wird, konnte nun die Gruppe um Prof. Tilmann Märk, vom Institut für Ionenphysik an der Universität Innsbruck, und Prof. Michel Farizon, vom Institut de Physique Nucleaire an der Universität Lyon, an kleinen Wasserstoffclustern (bestehend aus bis zu 30 Wasserstoffatomen) experimentell nachweisen, dass sich dieses Verhalten beim Verdampfen von solchen Nanoteilchen vollständig ändert. Es kann dann passieren, dass sich diese Nanoteilchen während des Verdampfungsvorgangs trotz Energiezufuhr von außen abkühlen. Der Physiker spricht dabei vom Auftreten einer negativen Wärmekapazität. Dieses paradoxe Verhalten wurde seit längerem durch theoretische Untersuchungen vorhergesagt, und zwar nicht nur für Nanoteilchen sondern auch für Kernreaktionen sowie für Sternsysteme im Gravitationsfeld. Eine der ersten Vorhersagen stammt vom Wiener Physiker Walter Thirring aus den 60-er Jahren. Diesen Vorhersagen sind viele Physiker jedoch mit großer Skepsis begegnet.

Ein Grund für diese Skepsis gegenüber einem so überraschenden Phänomen war sicherlich die fehlende experimentelle Bestätigung. Diese ist jedoch nicht einfach, da dazu Experimente mit Nanoteilchen einer bestimmten Größe und bei bekannter Energiezufuhr und Temperatur durchgeführt werden muss; Bedingungen, die nicht einfach zu erfüllen sind. Der experimentelle Durchbruch in dieser Beziehung gelang den beiden Gruppen vor einigen Jahren durch den erfolgreichen Aufbau einer Apparatur zur Untersuchung des Verhaltens von zwei Cluster, die unter hoher Energie aufeinanderstoßen. Es gelang in einem sogenannten "vollständigen" Koinzidenz-Experiment alle entstehenden Fragmente gleichzeitig zu identifizieren und nachzuweisen. Dadurch wurde es nunmehr möglich für ein einzelnes Teilchen den entsprechenden Energieübertrag und auch seine Temperatur anzugeben, wobei die Temperatur direkt mit der Fragmenteverteilung im Verdampfungsprozess korreliert ist.

Wie kann man nun dieses verblüffende Ergebnis, das im Gegensatz zur täglichen makroskopischen Erfahrung steht, verstehen? Im Gegensatz zu makroskopischen Systemen, bei denen beide Phasen nebeneinander existieren können, da die Phasengrenzen keine entscheidende Rolle spielen, zieht es der Cluster vor entweder flüssig oder gasförmig zu sein, da die Beiträge der Phasengrenzen nicht vernachlässigbar sind. Es werden daher das Entstehen von solchen Phasengrenzen innerhalb des Clusters vermieden, d.h. der Cluster versucht entweder im flüssigen oder im gasförmigen Zustand zu existieren. Bei der Annäherung an die Verdampfungstemperatur, versucht daher ein solches Nanoteilchen so schnell wie möglich, den neuen Zustand zu erreichen, im Notfall auch indem es in Kauf nimmt abzukühlen. In einem Experiment wo dieser Vorgang des langsamen Herangehens an diesen Grenzzustand mit vielen Teilchen gleichzeitig durchgeführt wird, existieren dann gleichzeitig warme flüssige und kalte gasförmige Cluster, die sich laufend ineinander umwandeln. Dieses kurzzeitige hin- und herspringen wurde in mehreren Simulationen vorhergesagt. Im Gegensatz dazu kann sich ein großes System gleichzeitig in flüssige und gasförmige Anteile separieren.

Dieses neuentdeckte Verhalten von Cluster ist insofern auch von praktischer Bedeutung, da der zunehmende Einsatz von Cluster als Nanomaterie, z.B. in der Miniaturisierung von elektronischen Bauteilen, die Frage nach der kleinstmöglichen Größe aufwirft, bei der entsprechende nutzbare makroskopische Eigenschaften noch vorhanden sind. Es zeigt sich nämlich, dass beim Schmelzen analoges Verhalten, wie es hier beim Verdampfen nachgewiesen wurde, auftritt.

Diese Arbeit wurde durch das österreichisch-französische Amadee-Programm ermöglicht und durch den Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung und die Österreichische Akademie der Wissenschaften sowie die Europäische Kommission unterstützt.