"Kernfusion" unter Reaktorbedingungen

Prof. Siegbert Kuhn und seine Mitarbeiter vom Institut für Theoretische Physik tragen, unterstützt vom FWF und in Zusammenarbeit mit ausländischen Forschergruppen, mit Teilchensimulationsstudien von Divertorplasmen erfolgreich zu den Bemühungen bei, "Kernfusionen" unter Reaktorbedingungen möglich zu machen und reihen sich damit in die internationalen Aktivitäten auf diesem Gebiet ein.
Darstellung des Magnetfelds in einem 'Tokamak' © Rick Sydora, Ross Bollens
Darstellung des Magnetfelds in einem 'Tokamak' © Rick Sydora, Ross Bollens
Unter "Kernfusion" versteht man die Verschmelzung leichter Atomkerne zu schwereren, wobei nach den Gesetzen der Physik wesentliche Energiemengen freigesetzt werden. Seit etwa 50 Jahren bemüht sich eine große Zahl von Wissenschaftlern intensiv um die gesteuerte Erschließung der Fusionsenergie unter Reaktorbedingungen als eine sichere, praktisch unerschöpfliche und saubere Energiequelle.

Heißes Plasma

Um ein für die praktische Energiegewinnung ausreichendes Maß an Kernfusionsreaktionen zu erhalten, ist es erforderlich, die beteiligten Teilchen hinreichend häufig und mit hinreichend hohen Energien zusammenstoßen zu lassen. Dies kann prinzipiell am leichtesten in einem äußerst heißen Wasserstoffgas (rund 100 Mio. Grad) entsprechender Dichte erreicht werden. Bei diesen Temperaturen ist das Gas voll "ionisiert". Die unter Normalbedingungen elektrisch neutralen Gasmoleküle sind in diesem Zustand in positiv geladene Kerne ("Ionen") und negativ geladene "Elektronen" aufgespaltet. "Ein solches Gas wird als 'Plasma' und der Plasmazustand als 'vierter Aggregatzustand der Materie' bezeichnet. Man bedenke: 99,99 % der Materie des Universums befinden sich im Plasmazustand!", erläutert Kuhn. Heißes Plasma wird in einem ringförmigen Gefäß durch ein starkes Magnetfeld geeigneter Struktur eingeschlossen, wobei die derzeit vielversprechendste Konfiguration als "Tokamak" bezeichnet wird. Das nächste große Ziel der weltweiten Fusionsforschung ist der Bau des "International Thermonuclear Experimental Reactor (ITER)", der erstmals mit einem weitgehend durch die Fusionsreaktionen selbst geheizten Plasma arbeiten und hinsichtlich der Plasmaphysik einem späteren kommerziellen Fusionsreaktor nahe kommen wird.

Wichtige Erkenntnisse

Man unterscheidet in einem Tokamak zwischen dem heißen "Kernplasma", in dem die Energie liefernden Kernfusionsreaktionen ablaufen sollen, und dem kühleren "Randschichtplasma", durch das die aus dem Kernplasma hinaus diffundierenden energiegeladenen Plasmateilchen zu den Prallplatten des "Divertors" hingeleitet werden. "Da jedoch der Energiebelastung der Divertorplatten strikte technische Grenzen gesetzt sind, gehören die mit dem Kontakt zwischen Plasma und Divertorwand zusammenhängenden Fragen zu den wichtigsten wissenschaftlichen und technischen Herausforderungen der heutigen Fusionsforschung", erklärt Kuhn. Mit seinem Projekt hat er wichtige Ergebnisse zum Verständnis des divertornahen Plasmas erzielt: So wurden unter anderem die bestehenden physikalischen Modelle und Simulationsprogramme stark verbessert sowie der starke Einfluss von sekundären und schnellen Elektronen auf die Divertorrandschicht klar nachgewiesen und quantifiziert. Kuhn: "Wir konnten auch wesentlich zum Verständnis der Entstehung und der Auswirkungen schneller Teilchen, die bei der Heizung des Tokamakplasmas mittels eingestrahlter Wellen auftreten und die Divertorplatten stark beschädigen können, beitragen. Unsere Ergebnisse können in einem nächsten Schritt direkt für die Modellierung und Optimierung existierender und geplanter Tokamaks eingesetzt werden."