Wolfgang Palaver im Gastkommentar zur Antrittsenzyklika von Papst Benedikt XVI.: Deus caritas est – Gott ist die Liebe

Obwohl Papst Benedikt XVI. mit seiner Antrittsenzyklika Deus caritas est – Gott ist die Liebe – weder eine aktuelle tagespolitische Frage noch eines der kulturpolitisch heiß diskutierten Kirchenthemen aufgriff, fand dieses Rundschreiben sofort Beachtung und bewegte sowohl theologische Kritiker als auch Befürworter des Papstes zu sehr positiven Stellungnahmen.
Gastkommentator Prof. Wolfgang Palaver
Gastkommentator Prof. Wolfgang Palaver

Benedikt XVI. hat in einer durchaus schwierigen Lage der Kirche die richtige Entscheidung getroffen und abseits vieler oberflächlich bleibender Diskussionen auf die Mitte der christlichen Botschaft, die Gott als Liebe erfährt, verwiesen. Auf den ersten Blick mag das banal klingen, aber schon der aktuelle Hinweis, dass wir heute in einer Welt leben, “in der mit dem Namen Gottes bisweilen die Rache oder gar die Pflicht zu Hass und Gewalt verbunden wird,” macht deutlich, dass jedes Gottesbild immer auch entscheidende Konsequenzen für das menschliche Zusammenleben nach sich zieht. Auch der mehrfache Hinweis auf die Globalisierung zeigt, dass die sehr grundlegenden philosophischen und theologischen Überlegungen des Papstes weder zeit- noch weltlos bleiben.

 

Eros und Agape

Die Enzyklika besteht aus zwei Teilen, die beide wichtige Überlegungen für unsere heutige Welt enthalten und Beachtung verdienen. Der erste stärker theoretisch ausgerichtete Teil reflektiert die Bedeutung der Liebe für das Christentum. Ohne Scheu setzt Benedikt sich dabei gleich mit einer der schärfsten Anfragen an das Christentum auseinander, indem er auf Strömungen von Leibfeindlichkeit in der christlichen Tradition hinweist und mit Nietzsche zu bedenken gibt, dass sich das Christentum mit dem Eros, konkreter noch mit der körperlichen und sexuellen Liebe oft schwer tat: “Vergällt uns die Kirche mit ihren Geboten und Verboten nicht das Schönste im Leben? Stellt sie nicht gerade da Verbotstafeln auf, wo uns die vom Schöpfer zugedachte Freude ein Glück anbietet, das uns etwas vom Geschmack des Göttlichen spüren lässt?” Wer jetzt als Antwort die typische Gegenüberstellung von guter christlicher Agape und bösem heidnischen Eros erwartet, wird von dieser Enzyklika enttäuscht sein. Fern aller Leibfeindlichkeit und jeder vorschnellen Verdammung des Eros betont der Papst, wie sehr diese beiden Seiten der Liebe zusammen gehören. Denn wo sie "ganz auseinander fallen, entsteht eine Karikatur oder jedenfalls eine Kümmerform von Liebe". Dabei übersieht er die Gefahren eines “degradierten Eros” nicht, wenn er vor einem “Sex” warnt – dieses Wort kommt nur einmal im Text vor, während 34 mal auf das Wort Eros hingewiesen wird –, der “zur Ware, zur bloßen ‘Sache’” verkommt, weil alles bloß auf das Kaufen und Verkaufen hinausläuft. Gerade diese kapitalistische Perversion des Eros resultiere in Leibfeindlichkeit. Eros und Agape lassen sich “niemals ganz voneinander trennen”. In rechter Verbindung führen Eros und Agape hin zu Gott: “Er liebt, und diese seine Liebe kann man durchaus als Eros bezeichnen, der freilich zugleich ganz Agape ist.”

I n der allem menschlichen Tun vorausgehenden Liebe Gottes lässt sich das gnadentheologische Grundanliegen dieser Enzyklika erkennen. “Am Anfang des Christseins steht nicht ein ethischer Entschluss oder eine große Idee, sondern die Begegnung mit einem Ereignis, mit einer Person, die unserem Leben einen neuen Horizont und damit seine entscheidende Richtung gibt.” Immer schon sind wir von der vorausgehenden Liebe Gottes – vor allem der in Jesus Christus fleischgewordenen Liebe Gottes – umfangen. Nur als von Gott Beschenkte sind wir letztlich zur Liebe unserer Nächsten befähigt. Wir können Liebe nicht immer nur geben, sondern müssen sie zuerst selbst empfangen, wenn wir nicht an Selbstüberforderung zerbrechen wollen. Helfersyndrom und Burnout sind die aktuellen Stichworte zu diesen von Papst Benedikt klar angesprochenen Problemen einer gnadenlosen Liebesmühe. Umgekehrt muss sich die liebevolle Ausrichtung auf Gott zur Liebe zum Nächsten hin entfalten, will sie nicht in einem bloßen religiös „korrekten“ Frommsein verkümmern, in der die Gottesbeziehung „verdorrt“.

 

Gerechtigkeit und Liebe

Der zweite, mehr praktisch ausgerichtete Teil des Rundschreibens ist der im weiten Sinne des Wortes verstandenen – Caritas, d.h. der Kirche als „Gemeinschaft der Liebe“ gewidmet. Dieser Teil schließt an die große Tradition der katholischen Soziallehre an. Im Zentrum steht die Klärung des Verhältnisses von Gerechtigkeit und Liebe und der daran anschließenden Aufgabenteilung zwischen Staat und Kirche. Gegen den marxistischen Vorwurf, dass die kirchliche Betonung der Liebe bloß die Ausgrenzung der Armen festige, verweist der Papst auf das notwendige Zusammenspiel von Gerechtigkeit und Liebe. Keine der beiden Seiten dürfe fehlen. Aufgabe des Staates und der Politik sei es, für eine „gerechte Ordnung der Gesellschaft“ zu sorgen. Dabei sei der Politik Autonomie einzuräumen. Gemäß dem kirchlichen Bekenntnis zur Religionsfreiheit dürfe der Staat dabei auch keine Religion vorschreiben. Das politische Bemühen um Gerechtigkeit stützt sich auf die Vernunft, die aber nie ganz davor bewahrt werden könne, durch das „Obsiegen des Interesses und der Macht“ ethisch zu erblinden. Ähnlich wie der Eros der Reinigung bedarf, bleibt auch die Vernunft auf die reinigende Kraft des Glaubens verwiesen.

 

Politik und Glaube

An diesem Berührungspunkt von Politik und Glaube erkennt der Papst den Ort der katholischen Soziallehre, die niemandem den Glauben aufzwingen will, sondern „schlicht zur Reinigung der Vernunft beitragen will und dazu helfen, dass das, was recht ist, jetzt und hier erkannt und dann auch durchgeführt werden kann.“ Es ist Aufgabe der Kirche, jene seelischen Kräfte zu wecken, die auch Verzichte motivieren kann, ohne die Gerechtigkeit sich weder durchsetzen noch gedeihen kann. Keine gerechte Staatsordnung kann diese Dienste der Liebe, die eine zentrale Aufgabe der Kirche sind, entbehren. Wo Gerechtigkeit allein das soziale Leben bestimmen soll, droht der „totale Versorgungsstaat“ mit seiner Neigung zum Bürokratismus. Aufbauend auf die gegenseitige Verwiesenheit von Gerechtigkeit und Liebe betont Benedikt XVI. ähnlich wie sein Vorgänger Johannes Paul II. den Vorrang der Zivilgesellschaft: „Nicht den alles regelnden und beherrschenden Staat brauchen wir, sondern den Staat, der entsprechend dem Subsidiaritätsprinzip großzügig die Initiativen anerkennt und unterstützt, die aus den verschiedenen gesellschaftlichen Kräften aufsteigen und Spontaneität mit Nähe zu den hilfsbedürftigen Menschen verbinden.“

 

Das christliche Liebeshandeln der Kirche

Die Kirche selbst zählt zu den hervorragenden Kräften dieses notwendigen zivilgesellschaftlichen Fundaments. Drei konstitutive Element kennzeichnen dabei das kirchliche Liebeshandeln: Erstens bedarf es beruflicher Kompetenz und der Herzensbildung. Zweitens braucht es die Unabhängigkeit von Parteien und Ideologien. Drittens darf das christliche Liebeshandeln kein Mittel des Proselytismus, d.h. der bloßen Gewinnung von Kirchenmitgliedern, sein. „Die Liebe ist umsonst; sie wird nicht getan, um damit andere Ziele zu erreichen.“

           

Der Papst schließt sein Rundschreiben, indem er die Bedeutung des Gebetes hervorhebt und auf die beispielhafte Verwirklichung der Liebe durch die Heiligen – insbesondere durch Maria – hinweist. Das Gebet bewahrt angesichts der „Erfahrung der Endlosigkeit der Not“ einerseits vor dem Abgleiten in die „Ideologie“ und andererseits vor der „Versuchung zur Trägheit“. Die Antrittsenzyklika von Benedikt XVI. zeichnet sich durch eine leicht verständliche Sprache und einen klaren Stil aus. Sie kann als gelungener Versuch gewertet werden, das Zentrum des christlichen Glaubens in der heutigen Welt plausibel zu machen.