„Die Politik hat die Tiefe des Problems nicht erkannt!“

Während Kanada für seine gelungene Integrationspolitik weltbekannt ist, führte die „Intégration à la française“ zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen in den Pariser Vorstädten. Über die Möglichkeiten, Notwendigkeiten und Gefahren von Integration im internationalen Kontext fand in der Claudiana eine prominent besetzte Podiumsdiskussion statt.
v.l.: Dr. Cédric Duchêne-Lacroix, Mag. Johannes Gstir, Nathalie Smolynec, Prof. Lynne …
v.l.: Dr. Cédric Duchêne-Lacroix, Mag. Johannes Gstir, Nathalie Smolynec, Prof. Lynne Chisholm, Dr. Vincenzo Bua

Die Veranstaltung war das Ergebnis einer erstmaligen Kooperation der drei Länderschwerpunkte der LFU – Frankreich-Schwerpunkt, Italien-Zentrum und Zentrum für Kanadastudien.

 

Knapp ein Fünftel der kanadischen Bevölkerung ist nicht in Kanada geboren, 62 Prozent der Einwanderer leben in Toronto, Vancouver und Montreal. „Immigration ist vor allem ein urbanes Phänomen. Für die Städte bedeutet es einen Gewinn an Innovation, aber auch eine Gefahr für die Infrastruktur“, betonte die Leiterin der Visa- und Immigrationsabteilung der Kanadischen Botschaft in Wien, Botschaftsrätin Nathalie Smolynec. Zum einen diene die kanadische Einwanderungspolitik der Verwirklichung wirtschaftlicher Interessen beider Seiten, zum anderen der Familienzusammenführung. Das dritte Ziel sei die Einhaltung internationaler Abkommen sowie die Aufrechterhaltung humanitärer Traditionen des Landes hinsichtlich des Schutzes von Flüchtlingen. Es gehe nicht um Abschottung oder Assimilation, sondern um einen wechselseitigen Prozess des sich einander Annäherns: „Das Ziel ist die Erreichung der kanadischen Staatsbürgerschaft“, erklärte Smolynec. Zuwanderung sei eine Realität, eine gelungene Integrationspolitik somit eine unumgängliche Notwendigkeit.

 

Integration versus Fragmentierung

 

Die gewalttätigen Unruhen in den französischen Banlieues im November 2005 zeigten auf dramatische Weise die Mängel der „Intégration à la française auf. „Die Politik hat die Tiefe des Problems nicht erkannt“, urteilte der am Centre Marc Bloch in Berlin tätige Soziologe Dr. Cédric Duchêne-Lacroix. Als Sozialvertrag verstanden, müsse Integration die gesamte Bevölkerung, nicht nur die Einwandernden, betreffen. Anstelle eines durch Assimilation hervorgerufenen „Untergehens“ müsse Integration die Möglichkeit zum Aufgehen in einem Gesamten bieten. Dabei seien alle gesellschaftlichen Gruppen gefordert. Gerade die Kinder der Einwanderer, durch Geburt StaatsbürgerInnen Frankreichs, hätten durch ungleichen Zugang zu Bildung und Arbeit aber kaum Chancen auf Integration in die Gesellschaft.

 

Dr. Vincenzo Bua vom Institut für Erziehungswissenschaften der LFU gab Einblick in die italienische Integrationsproblematik. Nach großen inneritalienischen Migrationsbewegungen von Süd nach Nord in den 1950er Jahren ergebe sich heute besonders in Südtirol eine außerordentliche Situation: „Als italienische Staatsangehörige sind die deutschsprachigen SüdtirolerInnen in Italien eine Minderheit, in Südtirol sind sie aber eine Mehrheit. Es geht also hier nicht um die Integration von Einwanderern oder deren Kindern, sondern um die Integration von Angehörigen desselben Staates“, so Dr. Bua.

 

Sinnvoll und notwendig

 

  „Integration ist keine Fleißaufgabe, sondern eine gesellschaftspolitische Notwendigkeit“, betonte auch Mag. Johann Gstir, Leiter des Referats Integration des JUFF. Dabei gehe es vor allem um eine Integration mit, nicht von Menschen. „Integration heißt für uns, Vielfalt und Differenz zu vereinbaren, nicht zu vereinheitlichen. Als Querschnittsaufgabe umfasst Integration alle gesellschaftlichen Bereiche; jeder und jede soll mitmachen und profitieren“. Laut aktuellen Zahlen sind rund 69.200 oder zehn Prozent der Tiroler Wohnbevölkerung Ausländer. „Die größte Gruppe stellen mit 41 Prozent aber EU-BürgerInnen dar“, hob Mag. Gstir hervor. 31 Prozent kommen aus Jugoslawien und seinen Nachfolgestaaten, 19 Prozent aus der Türkei. Eine erfolgreiche Integrationspolitik sichere ein friedvolles Zusammenleben. Mag. Gstir: „Das bedeutet in erster Linie, für alle gesellschaftliche Teilhabechancen herzustellen.“