Die Rationalität der Weltanschauung

Zum 75. Geburtstag von Prof. Otto Muck fand am Wochenende am Institut für Christliche Philosophie ein internationales philosophisches Symposium statt. DDr. Winfried Löffler berichtet für den iPoint von der Tagung über "Rationalität und Weltanschauung" zu Ehren des Jesuiten und ehemaligen Rektors Otto Muck.
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Dass weltanschauliche Gegensätze zunehmend auch gewaltsam ausgetragen werden, scheint ein beklemmendes Zeichen unserer Zeit zu sein. Weniger gewaltträchtig, aber doch durchaus ambivalent für den Bestand eines Gemeinwesens sind manche gängige Versionen von Pluralismusthesen: das unverbundene Nebeneinander-her-Existieren, so hört und liest man zuweilen, sei eben ein Wesenszug der Weltanschauungen.
Sind also Weltanschauungen tatsächlich nicht mehr als vernunftferne, private Färbungen der Weltsicht? Ein internationales Symposium des Instituts für Christliche Philosophie am 12./13.März 2004 ehrte einen Philosophen, der seit mehr als 30 Jahren Werkzeuge für den rationalen Dialog zwischen weltanschaulichen Positionen bereitstellt: den Jesuiten Otto Muck, der übrigens in der Einführungsphase des UOG 1975 Rektor der Universität war (1975-1977).

Die Resultate einer Wissenschaft und ihre inhaltlichen Ausdeutungen

"Weltanschauung" beginnt für Muck aber keineswegs erst dann, wo große politische und religiöse Ideen und Wertungen ins Spiel kommen. Freilich, das auch, aber: "Weltanschauung" umfasst auch die banal scheinenden Grundzüge unseres Weltbildes: dass es Objekte mit teils stabilen, teils wechselnden Eigenschaften gibt, dass wir Veränderungen einer Ursache zuschreiben, dass Personen ihre Identität durch die Zeit bewahren, auch wenn sich ihr materielles Erscheinungsbild ändern mag, etc. In diesem Sinne haben auch die Wissenschaften durchaus ihre weltanschauliche Einbettung: WissenschaftlerInnen machen sich ja irgendeinen Reim darauf, wie die von Ihnen untersuchten Gegenstände zu den Gegenständen der Alltagsrationalität stehen (und sei es nur die Meinung, hier gäbe es wenig bis gar keinen Zusammenhang - man denke etwa an die Teilchenphysik). Nicht selten begegnet man aber auch dem Phänomen, dass aus physikalischen, biologischen, ökonomischen u.a. Resultaten unter der Hand ganze Weltanschauungen entwickelt werden, die mit dem Anspruch auftreten, alle Fragen zu beantworten und alle überkommenen Menschenbilder abzulösen. Muck, der selbst eine Zeitlang technische Chemie und im Nebenfach Mathematik und Physik studiert hat, weist immer wieder auf den Unterschied zwischen den Resultaten einer Wissenschaft und ihren weitergehenden inhaltlichen Ausdeutungen durch die Benutzer hin.
In Mucks Philosophie fließen verschiedenste Strömungen zusammen: verschiedene Traditionen der deutschen Philosophie seit Kant, die moderne Logik und Grundlagenforschung der Mathematik, die analytische Philosophie und Wissenschaftstheorie des 20. Jahrhunderts, die Muck nach dem Krieg zunächst über die nicht ins Exil getriebenen Restbestände des "Wiener Kreises" kennen lernte, und die Scholastik, die er nach seinem Eintritt in den Jesuitenorden intensiv studierte.

Der 75jährige Emeritus zog die Zuhörer in seinen Bann

Die Symposiumsvorträge waren um vier Hauptthemen von Mucks Philosophie zentriert: Edmund Runggaldier und Christian Kanzian (Innsbruck) untersuchten Mucks Verständnis von "Metaphysik" und arbeiteten heraus, dass es methodisch gesehen wesentlich sorgfältiger eingeführt ist als bei manchen Autoren der gegenwärtigen "analytischen Metaphysik". Zwei Vorträge waren Mucks Forschungen zum Wahrheitsproblem gewidmet: Der Münsteraner Philosoph und weltbekannte Aristoteles-Spezialist Hermann Weidemann ging Parallelen zwischen Mucks "operativem" Kriterium der Wahrheit (eine Behauptung ist wahr, wenn keine für sie relevante Frage mehr offen ist) und einigen weniger bekannten Stellen in Aristoteles' 6. Buch der "Nikomachischen Ethik" nach. Was aber ist eine "relevante Frage", und wann ist sie offen bzw. beantwortet? Eine Teilantwort lieferte Geo Siegwart (Greifswald), der, aufbauend auf Mucks Fundament, die nähere Struktur der verschiedensten Sprachhandlungen in wahrheitsverfolgenden Diskursen untersuchte. Zwei Vorträge zogen Konklusionen aus Mucks Wissenschaftstheorie für aktuelle Debatten: Winfried Löffler (Innsbruck) ging Erklärungsmustern in der neueren Wissenschaftstheorie, insbesondere bei Bas van Fraassen nach, die Ähnlichkeiten zur "integrativen Erklärung" aufweisen, die laut Muck für auch metaphysische Fragestellungen kennzeichnend ist. Hans-Dieter Mutschler (Krakau) erinnerte an eine frühe Kritik Mucks an überschießenden weltanschaulichen Deutungen der Naturwissenschaft. Er wandte dies u.a. auf heutige Versuche an, "biologische Information" zur Grundlage eines gesamten Weltbildes zu machen oder seltsame Synthesen aus Chaostheorie und christlichem Schöpfungsglauben zu erzeugen. Der Dogmatiker Nikolaus Wandinger (Innsbruck) zeigte auf, wie man sich anhand einer begrifflichen Unterscheidung Mucks unnötige Probleme bei der Deutung der traditionellen Lehre von der Erbsünde ersparen kann.
Bewusst breiter Raum war für die Diskussionen zu den Vorträgen eingeplant - es sollte nicht um Rückschau, sondern um gemeinsames Weiterdenken zu gehen. Faszinierend war dabei die Dynamik, mit denen der 75jährige Emeritus das zahlreich erschienene und großteils junge Publikum in seinen Bann zog. (wl/cf)