RNA in mannigfacher Gestalt

Für seine Arbeiten auf dem Gebiet chemisch modifizierter Ribonuekleinsäuren (RNA) erhielt der Innsbrucker Chemiker Prof. Ronald Micura am vergangenen Freitag den Novartis Preis 2003 für Chemie. Der Preisträger arbeitet am Institut für Organische Chemie und erhielt kürzlich einen Ruf für die Nachfolge Prof. Schantl.
Prof. Ronald Micura
Prof. Ronald Micura
Für die breite Öffentlichkeit ist die DNA 50 Jahre nach ihrer Entdeckung und drei Jahr nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms ein Begriff. Doch in ihrem Schatten steht ein strukturell nahe verwandtes Molekül, das im Grunde genau so bedeutungsvoll für das Leben ist: die Ribonukleinsäure (RNA). Die RNA ist wahrscheinlich eine evolutionsgeschichtlich ältere Form der Erbinformation als die DNA. Manche Viren sind überhaupt RNA-Viren. Das bedeutet, dass ihr Genom ausschließlich aus solchen Molekülen besteht. Darüber hinaus wurde in den vergangenen vier Jahren die enorme funktionelle Bedeutung von sehr kleinen RNA-Molekülen erkannt. Diese Moleküle sind für das spezifische Stilllegen von Genen in den unterschiedlichsten Organismen verantwortlich. Kleine RNAs wurden deshalb von der renommierten Fachzeitschrift Science im Jahr 2002 zu den "Molekülen des Jahres" erkoren.

Flexibler Baustein des Lebens

Preisträger Ronald Micura arbeitet am Institut für Organische Chemie der Universität Innsbruck. Seine wissenschaftlichen Arbeiten sind der "Chemischen Biologie" zuzuordnen und stellen eine Symbiose aus organisch-chemischer, also "künstlicher" Synthese und (RNA-)biologisch relevanten Fragestellungen dar. Im Speziellen beschäftigt sich Micura bisher mit zwei Forschungsgebieten. Zum einen interessiert ihn die Ribosomale Translation, d.h. die Umsetzung der RNA-Information durch die "Proteinfabriken" der Zelle (Ribosomen) in die codierten Eiweißstoffe (Proteine). Zwar wurde mittlerweile die Struktur der Ribosomen entschlüsselt, doch noch immer gibt es viele Fragen, wie die Abläufe des Ablesens der Boten-RNA und die der Produktion der Proteine erfolgen. Micura hat dazu Modelle aus künstlich hergestellten RNA-Ketten entwickelt, mit denen die Paarungseigenschaften von Codon- und Anticodon-Komplexen untersucht werden können. "Die Modelle stellen eine extreme Vereinfachung des tRNA/mRNA Ablesevorgangs am Ribosom dar. Durch diese Reduktion kann aber der Blick für das Wesentliche geschärft werden", so Micura.
Der zweite Forschungsschwerpunkt betrifft die Gestaltänderung der RNA-Moleküle. Der Preisträger dazu: "Die RNA ist viel, viel flexibler als man ehemals annahm und kann eine Vielfalt von Gestalten annehmen." Der Chemiker konnte unter anderem zeigen, dass Modifikationen der Basenbestandteile einen direkten Einfluss auf die Art der Faltung der RNA haben. Micura bewies auch, dass bereits sehr kurze RNAs, gleichzeitig in verschiedenen, aber wohldefinierten Formen vorliegen können. Seine Arbeitsgruppe hat hierzu eine einfache experimentelle Methode entwickelt, mit der sich das ambivalente Aussehen der Moleküle exakt bestimmen lässt. Darüber hinaus entwickelt die Arbeitsgruppe von Micura RNA-Moleküle mit künstlichen Modifikationen, die als ‚chemische Schalter' dienen und mit deren Hilfe das Aussehen der RNA steuerbar gemacht werden soll. Dies ist im Hinblick auf die Entwicklung von Nukleinsäure-Therapeutika von Bedeutung, da mit der Gestaltänderung eine Funktionsänderung bewirkt werden kann.

Röntgenkristall-Analyse zur Bestimmung der dreidimensionalen Struktur

Nach der Erforschung des zweidimensionalen Aussehens der RNA kommt schließlich die Bestimmung der dreidimensionalen Struktur solcher Moleküle. Auf diesem Gebiet arbeitet Micura in Kooperation mit Dinshaw Patel vom Sloan-Kettering Memorial Cancer Center in New York: "Hier wird die Röntgenstruktur-Analyse verwendet, bei der man über das Beugungsmuster der Röntgenstrahlen nach dem Durchgang durch kristallisierte RNA-Moleküle Rückschlüsse auf das dreidimensionale Aussehen ziehen kann. Doch das ist technisch sehr schwierig." Einen wesentlichen Beitrag würde hier das künstliche Einfügen schwerer Atome in die RNA darstellen, um die 3D-Struktur leichter erkennbar zu machen. In diesem Zusammenhang entwickelt Micura Synthesemethoden zu Herstellung von RNA-Molekülen, die auch Selen enthalten.

Ronald Micura, 1970 in Linz geboren, hat an der Universität Linz Chemie studiert und 1995 in organischer Chemie promoviert. Von 1996 bis 1997 arbeitete er als Schrödinger-Stipendiat an der ETH Zürich und von 1998 bis 2000 am Scaggs Institute für Chemical Biology in La Jolla. 2002 habilitierte er sich an der Uni Innsbruck für Organische Chemie und arbeitet seither am Institut für Organische Chemie. Neben Prof. Micura wurden Prof. Michael Trauner von der Klinischen Abteilung für Gastroenterologie und Hepatologie an der Medizinischen Universitätsklinik in Graz und Doz. Norbert Leitinger vom Institut für Gefäßbiologie und Thromboseforschung der Universität Wien mit dem diesjährigen Novartis-Preis ausgezeichnet. (cf)