Ehrengrab für Kinder vom Spiegelgrund

Am kommenden Sonntag werden am Wiener Zentralfriedhof die sterblichen Überreste von Opfern der NS-Kindereuthanasie am "Spiegelgrund" symbolisch in einem Ehrengrab bestattet. 600 Urnen wurden bereits in aller Stille beerdigt. Die Tausenden Präparate waren jahrzehntelang Grundlage wissenschaftlicher Forschung, ohne dass ihre Herkunft kritisch hinterfragt wurde.
Opfer der NS-Zeit, Foto: Profil
Opfer der NS-Zeit, Foto: Profil
Nach über einem halben Jahrhundert werden nun endlich die Leichenteile von Kindern und Jugendlichen beerdigt, Überreste im sprichwörtlichen Sinn: 600 Urnen mit Gehirnen und Marksträngen und Tausenden Gehirnschnitten in Paraffin. Die Grabplatten werden die Namen von mehr als 400 Opfern tragen. Außerdem wird dort zu lesen sein: "Zur Erinnerung an die Kinder und Jugendlichen, die als ,lebensunwertes Leben' in den Jahren 1940 bis 1945 in der damaligen Kinderklinik 'am Spiegelgrund' der NS-Euthanasie zum Opfer gefallen sind."

Im Jahre 1907 gegründet, war die Heil- und Pflegeanstalt "Am Steinhof" die größte und modernste Heil- und Pflegeanstalt Europas. In den Jahren nach dem "Anschluss" 1938 mutierte der Steinhof zum Wiener Zentrum der nationalsozialistischen Tötungsmedizin: Im Rahmen der "Aktion T4" wurden 1940/41 mehr als 3.200 Menschen aus der Anstalt abtransportiert und im Schloss Hartheim bei Linz ermordet. Nach dem offiziellen Stopp der "Aktion T4" im August 1941 wurde die Euthanasie mit Hilfe gezielter Mangelernährung und systematischer Vernachlässigung fortgesetzt. Dieser im ganzen Deutschen Reich dezentral durchgeführten Aktion, fielen am Steinhof über 3.500 PatientInnen zum Opfer. Es handelt sich dabei um eines der größten NS-Verbrechen in Wien, das bisher kaum erforscht ist.

Die Anstalt Steinhof spielte aber auch in anderen Bereichen der NS-Gesundheits- und Sozialpolitik eine wesentliche Rolle, so etwa bei der Durchführung von Zwangssterilisierungen. Auf dem Anstaltsgelände existierte unter der Bezeichnung "Am Spiegelgrund" eine sogenannte "Kinderfachabteilung". Sie war Teil eines Systems von mehr als 30 speziellen Anstalten zur Erfassung und Vernichtung behinderter Kinder. Die als "unbrauchbar" Befundenen wurden zur Tötung freigegeben und mit Schlafmitteln vergiftet, bis ihr geschwächter Zustand zum Tod durch Infektionskrankheiten führte. Insgesamt starben am Wiener "Spiegelgrund" mindestens 790 Kinder und Jugendliche.

Die Täter wurden nicht zur Rechenschaft gezogen, vielmehr wurde ihnen ermöglicht, ihre Karriere fortzusetzen. Dr. Heinrich Gross, als NS-Arzt am "Spiegelgrund" tätig, konnte auch im demokratischen Nachkriegsösterreich seine Karriere fortsetzen und wurde zum meistbeschäftigten und damit bestverdienenden Gerichtspsychiater Österreichs. Allein bis 1978 schrieb er nach eigenen Angaben 12.000 Gutachten. Im Jahre 1968 wurde Gross ein eigenes "Ludwig Boltzmann-Institut zur Erforschung der Missbildungen des Nervensystems" zur Verfügung gestellt, in dem die konservierten Gehirne der ermordeten Kinder und Jugendlichen systematisch aufgearbeitet wurden. Als einer der prominentesten Neuropathologen und Psychiater Österreichs publizierte Gross Dutzende Arbeiten über Gehirnmissbildungen, die durchwegs auf der Auswertung von Präparaten der Spiegelgrund-Opfer beruhen. 1975 wurde Gross das Österreichische Ehrenkreuz für Wissenschaft und Kunst 1. Klasse verliehen. Der im Jahre 2000 eröffnete Prozess scheiterte an einem Gutachten, das Gross Verhandlungsunfähigkeit attestierte.