Psychotherapie: Profession und Wissenschaft

Obwohl psychische Erkrankungen bei Angehörigen unterer sozialer Schichten häufiger sind, erhalten sie weit seltener eine psychotherapeutische Behandlung als bessergestellte Personen. Am Wochenende diskutieren Experten in Innsbruck über Probleme der psychotherapeutischen Praxis.
Psychotherapie - Profession - Wissenschaft
Psychotherapie - Profession - Wissenschaft
Das 1991 beschlossene Psychotherapiegesetz schuf in Österreich eine juristische Grundlage für die Ausübung von Psychotherapie und definierte erstmals Qualitätsstandards für die Ausbildung von Psychotherapeuten. Trotz des Zuwachses der Zahl der Psychotherapeuten ist der Zugang zur Psychotherapie nicht nur durch geographische, sondern auch durch soziale Bedingungen geprägt. Gerade sozial schlechter gestellte Personen leiden oft an psychischen Erkrankungen, erhalten aber sehr viel seltener eine psychotherapeutische Behandlung als Angehörige höherer sozialer Schichten. Die Schaffung eines sozial gerechten Zugangs zu Psychotherapie ist daher eine brennende gesundheitspolitische Herausforderung und eine der Fragen, mit der sich die Experten auf der wissenschaftlichen Tagung der Österreichischen Koordinationsstelle für Psychotherapieforschung und des Österreichischen Verbandes für Psychotherapie an diesem Wochenende befassen.

Neben Fragen der psychotherapeutischen Praxis soll an dieser Tagung vor allem der Dialog der Praktiker mit der wissenschaftlichen Psychotherapieforschung gefördert werden. Die über viele Jahre in Österreich fehlende gesetzliche Regelung, wer unter welchen Bedingungen Psychotherapie ausüben darf, führte dazu, dass psychotherapeutische Methoden ohne wissenschaftliche Basis und ohne empirische Überprüfung angewandt wurden. Weltweit wird die Qualitätssicherung von Psychotherapie und der psychotherapeutischen Ausbildung auf der Basis wissenschaftlicher Kriterien gefordert und diskutiert. Die wissenschaftliche Fundierung und Weiterentwicklung von Qualitätsstandards muss durch empirische Psychotherapieforschung erfolgen. Diese Forschung war bis vor wenigen Jahren auf die wenigen Universitätsinstitute für Psychotherapie beschränkt. Forschungsprojekte waren lokal begrenzt, Forschung in der Praxis fand kaum statt.

Um die Forschung in wissenschaftlichen Institutionen und in der Praxis zu vernetzen und um den Anschluss an die internationale Psychotherapieforschung zu fördern, wurde 1995 auf Initiative des BM für Wissenschaft und Forschung eine interdisziplinäre Expertengruppe bestehend aus Wissenschaftlern aller einschlägigen österreichischen Universitätsinstitute, Vertretern des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie und Vertretern des Wissenschaftsministeriums eingerichtet und eine Koordinationsstelle für Psychotherapieforschung gegründet. Diese Koordinationsstelle fördert und betreut Forschungsprojekte aus wissenschaftlichen Instituten, aber auch Projekte von nichtuniversitären Einrichtungen und praktisch tätigen Psychotherapeuten. Die Koordinationsstelle organisiert in 2-jährigem Abstand Tagungen zu bestimmten Aspekten der Psychotherapieforschung, die dem Dialog von Forschern und Praktikern gewidmet sind.

Das Thema der diesjährigen Tagung "Der Stellenwert der Psychotherapieforschung für die Aus-, Fort- und Weiterbildung von Psychotherapeuten" berührt einen bisher in der internationalen Forschung wenig entwickelten Bereich und hat eine eminente Bedeutung für die Qualitätssicherung im Bereich der Psychotherapie. International renommierte Experten und österreichische Forschergruppen werden in Symposien, Arbeitsgruppen und Workshops Fragen zu Qualitätsstandards und Qualitätsmanagement in der Psychotherapie, zur beruflichen Entwicklung von Psychotherapeuten, zu Supervisionsmodellen, zu Wirkfaktoren in der Psychotherapie und zu geschlechtsspezifischen Aspekten in der Psychotherapie diskutieren. Die kleine "wissenschaftliche Gemeinde" in Österreich hat hier die Chance, im Rahmen der internationalen Psychotherapieforschung einen wichtigen Beitrag zu leisten.