Virtuell operieren

Mithilfe von Simulatoren können angehende Chirurgen wichtige Handgriffe trainieren. Möglich ist dies nicht zuletzt dank intensiver Forschung auf dem noch jungen Gebiet der Computerhaptik, mit der sich Matthias Harders vom Institut für Informatik seit Jahren beschäftigt.
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Trainingsstunden an Simulatoren werden in der medizinischen Ausbildung an Bedeutung gewinnen. Foto: Harders/VirtaMed

Ein regelmäßiges Piepsen ist zu hören, nachdem Matthias Harders den von ihm mitentwickelten Hysteroskopie-Simulator zur Demonstration hochgefahren hat. Was dann folgt, klingt nicht nur nach OP, es sieht auch so aus. Und das Wichtigste: Es fühlt sich so an. Anstelle eines handelsüblichen Steuerungsgerätes hält der Trainierende ein endoskopisches Instrument in der Hand, mit dem er virtuell operieren kann. Ähnlich wie bei einem Flugsimulator verfolgt man auch beim Trainieren mit einem Chirurgiesimulator am Bildschirm, was man gerade tut. Mit einem entscheidenden Unterschied. Bei dem endoskopischen Instrument handelt es sich um ein haptisches Gerät, das dem Operateur haptisches Feedback gibt, d.h. er spürt tatsächlich einen Widerstand wie bei einem Schnitt in reales Gewebe. „Für einen Chirurgen ist es nicht nur wichtig am Bildschirm zu sehen, was er tut. Er muss es auch entsprechend spüren können“, verdeutlich Matthias Harders, Universitätsprofessor für Computergrafik an der Universität Innsbruck, die Herausforderung, vor denen die Entwickler medizinscher Simulatoren stehen. Er selbst widmet sich den medizinischen Einsatzgebieten der Computerhaptik bereits seit vielen Jahren. Während seiner Tätigkeit an der ETH Zürich wurden die Grundsteine für den erwähnten Hysteroskopie-Simulator gelegt. Mit diesem können minimal-invasive, gynäkologische Eingriffe, wie zum Beispiel das Entfernen kleiner Tumore oder Myome, simuliert werden. Am Ende des Eingriffs gibt der Simulator eine detaillierte Bewertung über Verlauf und Qualität der Operation, wie es im Rahmen der Chirugieausbildung üblich ist. Simulatoren für minimal-invasive Eingriffe wie sie Matthias Harders mitentwickelt hat, sind bereits in der Ausbildung im Einsatz. „In der Medizin sind wir natürlich noch nicht so weit wie in der Pilotenausbildung, wo es Standard ist, einen Teil der Praxisstunden am Simulator zu absolvieren. Es gibt auch keine Regelungen, die virtuelles Training verpflichtend vorsehen“, so der Wissenschaftler, der jedoch zuversichtlich ist, dass Simulatoren im Medizinstudium zunehmend an Bedeutung gewinnen werden.

Kräfte errechnen

Um das Verhalten von Objekten, Körperteilen oder Organen zu simulieren und Tasteindrücke über ein entsprechendes Gerät wiedergeben zu können, muss zunächst einmal erfasst und berechnet werden, welche Kräfte wirksam sind. – Ein äußerst komplexes Problem, wie Matthias Harders schildert. „Wenn wir ein Organ wie zum Beispiel die menschliche Leber realistisch darstellen wollen, müssen wir wissen, wie sie sie sich bei Druck deformiert. Das Deformationsverhalten hängt von unterschiedlichen Gewebetypen, der Richtung in die man interagiert und vielen weiteren Faktoren ab.“ Alle Informationen über die Eigenschaften des Materials fließen schließlich in das auf Algorithmen basierende Berechnungsmodell ein.
Es gibt – wie Matthias Harders erklärt – verschiedene Wege, um zu einem Deformationsmodell zu kommen. „Man kann die entsprechenden Parameter am echten Organ messen, zum Beispiel während einer Transplantation, bevor es entfernt wird. Auch bildgebende Verfahren liefern einige dieser Daten.“ Da sich gerade Organe und auch viele andere Objekte nicht-linear verhalten, ist es entsprechend schwierig, aus den unterschiedlichen Parametern ein Rechenmodell zu erstellen. Deshalb erforschen Matthias Harders und sein Team aktuell eine weitere Verfahrensweise, die ohne Berechnungsmodell auskommt: Dabei werden Informationen über das Deformationsverhalten eines Objekts ausschließlich mit Sensoren aufgenommen. „Bei diesem datengetriebenen Ansatz haben wir ein Objekt, tasten es ab, messen dabei verschiedene Kräfte und können schließlich einen Datensatz erzeugen, der diese Interaktion beschreibt“, erläutert Harders.
Wie schwierig es ist, menschliche Tasteindrücke darzustellen und weiterzugeben zeigt sich nicht zuletzt auch in den erfordlichen Rechenleistungen: In der Computerhaptik ist eine Geschwindigkeit von 1000 Hertz nötig, um den Eindruck von Echtzeit zu vermitteln, in der Computergrafik sind Geschwindigkeiten von 60 Hertz ausreichend, damit der Sehsinn eine Bilderfolge als flüssige Bewegung wahrnimmt.

Computer bekommen ein Gespür

Die Haptik ist in der Informatik ein relativ junges Forschungsfeld und umfasst – vereinfacht gesagt - alles, was mit dem Tastsinn zu tun hat. Die Anwendungsbereiche sind vielfältig und reichen von der Medizin über die Produktentwicklung bis hin ins Marketing. Man unterscheidet drei Bereiche:

  • Human Haptics: Im Mittelpunkt stehen Fragen, die mit dem Benutzer und der Funktionsweise des menschlichen Tastsinns zusammenhängen.
  • Machine Haptics: Dieser Bereich der Haptik beschäftigt sich mit allen Aspekten der Hardware, also der Geräte und ihrer Konstruktion.
  • Computer Haptics: In dieser Subdisziplin wird untersucht, wie die Interaktion mit Objekten modelliert werden kann (z.B. deren Deformationen), und wie sich die dabei wirksamen Kräfte errechnen und darstellen lassen.

Dieser Artikel ist in der Juni-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).