Ideologische Klänge

Musik verstärkt Gefühle – eine Eigenschaft, die auch zu einer missbräuchlichen Verwendung führen kann. Der Musikwissenschaftler Dr. Kurt Drexel beschäftigt sich mitMusik als ideologischem Instrument in Tirol und Vorarlberg zur Zeit des Nationalsozialismus zwischen 1938 und 1945.
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Die Gleichschaltung von Brauchtum und Ideologie: Der Musikzug der Hitler Jugend zieht beim Gautag 1941 am Adolf-Hitler-Platz (zwischen Hofburg und Landestheater, heute Rennweg) in Innsbruck ein. Bild: Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum, Historische Sammlungen, Sammlung Verkehrsamt 966.

Nach dem „Anschluss“ Österreichs an Hitler-Deutschland im Frühjahr 1938 wurde unmittelbar mit der Einrichtung des Reichgaues Tirol-Vorarlberg begonnen. Diese „Umstrukturierung“ im Sinne der NS-Ideologie betraf alle gesellschaftlichen Bereiche und führte somit auch zu einer umfassenden Kontrolle und Überwachung des Kulturlebens. „Die Kulturpolitik des NS-Regimes zielte in Tirol auf eine starke Idealisierung der so genannten ‚Volkskultur’ und des Brauchtums ab“, erklärt Kurt Drexel vom Institut für Musikwissenschaft. „Der Musik wurde hier eine zentrale Rolle als Trägerin ideologischer Inhalte zuteil“. Gauleiter Franz Hofer sah im traditionellen Schützenwesen eine zentrale kulturelle Institution für die Umsetzung einer nationalsozialistischen Ausrichtung Tirols. Als Vehikel dazu diente der bereits 1938 gegründete Standschützenverband, in dem alle Tiroler und Vorarlberger Schützenvereine, Musikkapellen oder Trachtenvereine zusammengefasst wurden. Bereits ein Jahr nach der Gründung verzeichnete der Verband etwa 100.000 Mitglieder.
„Volksmusik und Blasmusik wurden von den Nationalsozialisten für ihre Zwecke instrumentalisiert, genauso wie alle anderen Künste auch“, verdeutlicht Drexel. Der Musikwissenschaftler interessiert sich dafür, in welcher Form dies geschah, wer die tragenden Persönlichkeiten waren und welchen Beitrag gezielt eingesetzte Musik zu einer nationalsozialistischen Identitätsbildung in Tirol und Vorarlberg leisten konnte. „Ein näherer Blick auf die Aktivitäten des Standschützenverbandes, der in dieser Form im Deutschen Reich einzigartig war und zur kulturtragenden Institution in Tirol und Vorarlberg wurde, lieferte viele, noch bis vor wenigen Jahren nicht aufgearbeitete Informationen“, betont Kurt Drexel.

Umkodierung

Das Schützen- und Blasmusikwesen spielte in der Vorarlberger und Tiroler Bevölkerung eine wichtige Rolle und galt als starkes Identifikationsmoment. „Das nutzte die NS-Führung für ihre Zwecke aus, um weite Teile der Bevölkerung unmittelbar erreichen zu können“, erklärt der Musikwissenschaftler. Die Aufgaben des Standschützenverbandes wurden demgemäß in „Erziehung zur Wehrhaftigkeit, weltanschauliche Schulung und Brauchtumspflege“ festgelegt und in zahlreichen Veranstaltungen zum Ausdruck gebracht: Massenveranstaltungen, in denen der musikalischen Umrahmung eine zentrale Rolle zukam. Als „eindrucksvollstes“ Beispiel nennt Drexel in diesem Zusammenhang das „Tiroler Landesschießen“, eine jährlich stattfindende Leistungsschau NS-konformen Brauchtums. „Das Landesschießen galt als größte Festveranstaltung des Jahres und sollte die Tiroler und Vorarlberger Identität möglichst breitenwirksam widerspiegeln“, so Drexel. Im Rahmenprogramm spielte Musik in verschiedenen Formen eine wichtige Rolle: Standschützenkapellen, Fanfaren der Hitler-Jugend sowie NS-Musikzüge kamen zum Einsatz und sollten mit ihren Darbietungen Brauchtum und Ideologie in Einklang bringen. Für das musikalische Repertoire bei allen Veranstaltungen zeichnete der Musikreferent des Gauleiters und Gaumusikleiter Sepp Tanzer verantwortlich. Oberste Priorität galt der Forcierung einer „tirolisch-nationalsozialistischen“ Identität, die von Musikschulen über Orchester bis hin zu Standschützenkapellen von allen Musizierenden getragen werden sollte. „Klingendes Bekennen arteigener Daseinsfreude und jahrhundertealten Wehrbauerntumes!“, waren die Worte, die Gauleiter Hofer im Vorwort zum Gauliederbuch „Hellau“ aus dem Jahre 1941 dafür wählte.

Rückgriffe

Die ideologische Aufladung der Musik geschah auf verschiedenen Ebenen. Einerseits durch einschlägige rassistische, antisemitische Textpassagen in Liedtexten, andererseits auch auf subtile Weise. Das Lied „Hellau! Mir sein Tiroler Buam“ gilt als Zeugnis für den Aufstieg eines „neutralen“ Stücks zum musikalischen Aushängeschild des Musikwesens in Tirol und Vorarlberg während der NS-Zeit. „Auf Basis dieses angeblichen Schützenliedes aus dem 19. Jahrhundert schrieb Sepp Tanzer 1940 den Standschützenmarsch, den er Gauleiter Franz Hofer widmete“, ergänzt Drexel. „Dieser Marsch hat keinen nationalsozialistischen Inhalt, aber aufgrund des Kontextes seiner Entstehungsgeschichte und der Verwendung des gesungenen Trios ‚Hellau’ als beliebtes Feierlied bei zahlreichen NS-Veranstaltungen wurde er zum Emblem für die NS-Zeit in Tirol und Vorarlberg“, erklärt der Musikwissenschaftler. Eine nationalsozialistische Musik im Sinne eines eigenen Stiles oder Genres gibt es daher laut Drexel nicht: „Der Rückgriff auf Bestehendes und die schrittweise Umkodierung durch gezielten Einsatz ist ein Charakteristikum der Musikverwendung in der NS-Zeit.“

Aufarbeitung

Das Forschungsinteresse des Musikwissenschaftlers endet nicht mit dem Jahr 1945, sondern umfasst auch Recherchen zu den „Nachwirkungen“. In den letzten Jahren entbrannte insbesondere um den „Standschützenmarsch“ und die Rolle Sepp Tanzers auch nach Kriegsende eine öffentliche Diskussion. Die Notwendigkeit einer Aufarbeitung des „Weiterlebens“ einschlägiger musikalischer Werke aus der NS-Zeit wurde immer offensichtlicher und von verschiedenen Seiten forciert. Unter dem Titel „Hinreichend aufgebarbeitet? Musik und Nazismus in Tirol“ fand 2012 eine Tagung an der Uni Innsbruck statt, aus der eine Ausstellung über das Musikleben in Tirol während der NS-Zeit hervorging. „Diese Ausstellung stößt bis heute auf sehr großes Interesse, besonders bei jungen Menschen“, erzählt Drexel, der als Kurator mitwirkte. „Wir stehen in der Aufarbeitung dieser Thematik in der Forschung aber noch am Anfang“, betont Drexel. Mit seinem im vergangenen Jahre veröffentlichen Werk zu Musik und Identität im Reichsgau Vorarlberg-Tirol möchte er einen weiteren Anstoß dazu liefern. „In den letzten Jahren hat sich bereits vieles getan, was bis vor wenigen Jahren noch undenkbar gewesen wäre“. Der Tiroler Blasmusikverband empfahl seinen Musikkapellen im Jahr 2013 zum Beispiel, den Tiroler Standschützenmarsch aus Respekt vor den Opfern des Nationalsozialismus nicht mehr zu spielen.

Dieser Artikel ist in der Februar-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).