Eine Frage des Vertrauens

Mit Methoden der experimentellen Ökonomie untersucht Loukas Balafoutas mit seinen Kollegen, wen Athener Taxifahrer wie übers Ohr hauen und wie deutscheU-Bahn-Benutzer „Müllwerfer“ bestrafen.
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Ein Athener Taxifahrer-Experiment zeigt: „Je mehr man weiß, desto weniger zahlt man.“ (Foto: flickr.com/MPD01605, https://www.flickr.com/photos/mpd01605/3402460707/in/album-72157616195333488/, CC BY-SA 2.0: https://creativecommons.org/licenses/by-sa/2.0/)

Loukas Balafoutas lässt viel Taxi fahren und absichtlich Müll fallen – im Dienste der Wissenschaft. „Feldexperimente“, antwortet der Innsbrucker Ökonom auf die Frage, was denn ihn und sein Team Taxameter sowie menschliche Reaktionen in U-Bahn-Stationen beobachten lässt. Denn Balafoutas ist experimenteller Ökonom. In seiner Arbeit beschäftigt sich er sich weniger mit makroökonomischen Fragen wie etwa den Auswirkungen von Inflation auf Konsum und Investition, ihn interessiert die Mikroökonomie: „Wirtschaft ist nichts anderes als die Summe von Interaktionen von Millionen von Menschen. Daher untersuchen wir die Entscheidungen von Menschen.“ Dies beobachtet der Wissenschaftler im Feld oder im Labor – dem Innsbruck-Econ-Lab. Auf 24 Laborplätzen treffen Experiment-Teilnehmer an Computern Entscheidungen, die direkten Einfluss auf finanzielle Auszahlungen haben und reale Interaktionen simulieren. Besonders angetan haben es Balafoutas in diesem Zusammenhang Fragestellungen, die mit Vertrauen, Vertrauensgütern und Kooperation zu tun haben. „Vertrauen ist ein großer Bestandteil des sogenannten sozialen Kapitals, das wiederum wichtig für die Zusammenarbeit innerhalb von Gruppen ist. Forschungen zeigen auch, dass Gesellschaften mit mehr sozialem Kapital besser funktionieren“, sagt Balafoutas. Bei Vertrauensgütern muss der Kunde dem Anbieter von Waren oder Dienstleistungen vertrauen, da er nicht dessen Know-how besitzt. Ein klassischer Fall wäre das Autoservice, bei dem der Mechaniker im Normalfall dem Autobesitzer an Wissen überlegen ist und einen Vorteil aus seinem Informationsvorsprung ziehen kann: Er stellt Reparaturen in Rechnung, die er nicht gemacht hat (Overcharging), er tauscht etwas aus, was gar nicht aus-getauscht werden muss (Overtreatment) oder er wählt Ersatzteile von minderer Qualität (Undertreatment). „Fehlt es dem Kunden an Information, kann er vom Experten ausgenutzt werden“, beschreibt Loukas Balafoutas die Ausgangsthese, die ihn zur experimentellen Bestätigung in seine Heimatstadt führte.

Taxi Driver

Balafoutas schickte mit seinen Innsbrucker Kollegen Matthias Sutter, Rudolf Kerschbamer und Adrian Beck im Juli 2010 und im März 2012 fünf Fahrgäste (männlich, Ende 20) durch Athen, für 348 Taxifahrten wurden 4400 Kilometer zurückgelegt und 4347 Euro ausgegeben. Die Kunden gaben entweder vor, ortskundige Athener, nicht-ortskundige, aber das Tarifsystem kennende Griechen oder nicht-ortskundige Ausländer zu sein. Over-treatment – eine längere Fahrt als notwendig – betraf die Athener selten und deutlich weniger oft als die anderen Gruppen, bei diesen gab es aber keinen signifikanten Unterschied. Overcharging hingegen – ein überhöhter Preis – betraf vor allem die Ausländer. „Wir konnten auch feststellen, dass drei Viertel der Taxifahrer ehrlich waren. Das unehrliche Viertel betrog aber mit System. Daraus folgt, dass es um Information geht: Je mehr man weiß, desto weniger zahlt man“, berichtet Balafoutas. Doch was haben Vertrauensgüter und Informationsnachteil mit der Gesamtwirtschaft zu tun? Viel, berichtet Balafoutas, denn „wird der Vertrauensverlust zu groß, schließt der Kunde keine Verträge mehr ab und Handelsgewinne gehen verloren.“

Einen interessanten Aspekt ergab auch eine Experimenterweiterung. „Als wir sagten, wir würden eine Rechnung brauchen, da der Arbeitgeber zahlt, stieg – wieder bei rund einem Viertel der Taxifahrer – der Preis“, erzählt der Ökonom. Das Phänomen nennt er „second-degree moral hazard“: „Experten erwarten wenig Kontrolle seitens eines nicht-zahlenden Kunden, was zu mehr Betrug führt.“ Einer ähnlichen Fragestellung will Balafoutas im Bereich der Gesundheitsmärkte und Versicherungen nachgehen: Steigen ärztliche Leistungen und damit Kosten, wenn klar ist, dass die Versicherung zahlt? „Wir wollen unterschiedliche Versicherungssysteme vergleichen und untersuchen, welches System zu besserer Behandlung, welches zu geringeren Kosten führt“, formuliert er zukünftige Forschungsinteressen.

Ein anderes Interesse gilt dem Phänomen von Kooperation und Bestrafung. „Im Labor konnte gezeigt werden, dass Kooperation, die wichtig für Teamarbeit ist, nicht lange anhält, es sei denn, es gibt eine Möglichkeit, diejenigen, die nicht kooperieren, zu bestrafen“, so Balafoutas. Doch wie schaut das im Feldexperiment aus? Kann man Bestrafung und Rache simulieren? Mit Nikos Nikiforakis (Abu Dhabi University) und Bettina Rockenbach (Universität Köln) ließ er Schauspieler in der Athener U-Bahn und am Kölner Bahnhof Müll auf den Boden werfen, beobachtet wurde die Reaktion von Passanten. In Athen forderten vier Prozent der Fahrgäste die Schauspieler auf, den Müll ordnungsgemäß zu entsorgen – in Köln waren es 17 Prozent, die sozusagen „direkt bestraften“. In Deutschland gingen die Wissenschaftler noch einen Schritt weiter: Der Schauspieler warf einen Plastikbecher auf den Boden, kurz darauf fielen ihm Bücher vom Arm. In weniger als einem Fünftel der Fälle wurde ihm geholfen, die Bücher aufzuheben – ohne Plastikbecherwurf war die Hilfsbereitschaft mehr als doppelt so hoch. „Menschen bestrafen Normverletzungen lieber durch unterlassene Hilfeleistung als durch direkte Ansprache“, folgert Balafoutas aus dem Experiment. Das zeigte übrigens auch, dass sich für „Helden“, also jene, die direkt auf die Normverletzung verweisen, kein Vorteil – wie etwa Anerkennung durch die andere – ergibt.

Zur Person

Loukas Balafoutas wurde 1981 in Athen geboren. Nach dem Studium „Banking und Financial Management“ in Athen absolvierte er seinen Master und PhD der Wirtschaftswissenschaften an der University of Edinburgh. ‚ƒ2008 wechselte er an die Universität Innsbruck, spezialisierte sich auf ‰Verhaltensökonomie sowie €‹‡Experimente und habilitierte sich im ŒJahr ‚ƒ2013Ž. Im ŒJänner 2014 wurde Balafoutas Professor am Institut für Finanzwissenschaft. …Im “Zuge seiner akademischen ”Karriere war er als •Gastprofessor an der  Universität in Athen,† an der Brown University,† der  University of California at San Diego und der •Georgetown  University School of Foreign Service in Qatar tätig.

(Andreas Hauser)

Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe des Magazins „zukunft forschung“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden.