Ein Konflikt, der keiner sein muss

Erneuerbare Energien sind die Zukunft. Die Natur muss erhalten bleiben. Zwei Ziele, die viele unterschreiben würden – und die einander nicht seltenwidersprechen. Innsbrucker Geographen haben diesen Widerspruch in einer Vergleichsstudie aufgearbeitet und wollen so das Bewusstsein für Klima- und Landschaftsschutz schärfen.
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Natur- und auch Kulturlandschaften erbringen mehrere Leistungen. (Foto: Pixabay/Alois Wonaschütz)

Frische Luft, schöne Landschaft, sauberes Wasser: Ländliche Idylle im Alpenraum landet nicht nur auf Postkarten, sondern beschert Touristikern auch hohe Einnahmen. Nüchterner betrachtet erbringt die Natur hier mehrere Dienstleistungen, wie der Geograph assoz. Prof. Clemens Geitner erklärt: „Der englische Begriff ‚ecosystem services’ schließt hier sehr breit alles ein, was die Natur dem Menschen bringt: Vom Anbau von Nahrungsmitteln und Holz über die Reinigung von Wasser in den Böden und dem natürlichen Schutz vor Hochwasser bis zur Ästhetik, etwa die Freude an der schönen Natur und die Erholung im Wald, die für die Tourismuswerbung eingesetzt wird.“ Dass die Lebensräume mit ihren „services“ möglichst erhalten bleiben sollen, ist inzwischen weitgehend unbestritten. Ebenfalls unbestreitbar ist der Trend zu erneuerbaren Energien. Dass sich das eine Ziel – der Kampf gegen den Klimawandel – dem anderen – Erhaltung einer vielfältigen Natur- und Kulturlandschaft – nicht immer vereinbaren lässt, ist bislang noch nicht intensiv beleuchtet worden. Ein Team um Clemens Geitner und seinen Doktoranden Richard Hastik hat sich nun in einer Studie die Auswirkungen verschiedener Formen von erneuerbarer Energie auf die Umwelt angesehen. Die Studie wurde auch in den Newsletter der Generaldirektion Umwelt der EU-Kommission, der an politische Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger versendet wird, aufgenommen.

„Erneuerbare“ und Naturschutz

Für den Einsatz erneuerbarer Energien – im Alpenraum am relevantesten sind Strom aus Wasserkraftwerken und Biomasse, untergeordnet Solarstrom und Windkraft – sind unterschiedliche Voraussetzungen zu erfüllen, und die jeweilige Energieform wirkt sich auch unterschiedlich auf die Umwelt aus. „Was in der Diskussion häufig unterschätzt wird: Ein Kraftwerk braucht ja nicht nur Raum für sich, sondern je nach Art der Stromerzeugung braucht es vorübergehende oder dauerhafte Zufahrtsstraßen, Stromleitungen und einiges mehr“, sagt Clemens Geitner. Biomasse-Kraftwerke wirken sich etwa auf die Art der Forst- und Landwirtschaft aus; Wasserkraftwerke, je nach Art, haben wiederum Auswirkungen auf das Leben in Bächen und in vielen Fällen auch auf den Verlauf von Flüssen; und die Planer von Solar- oder Windkraftwerken stoßen oft auf ästhetische Bedenken von Anwohnern.

„Die“ Energieform für den Alpenraum gibt es nicht: Zu unterschiedlich sind die Beschaffenheit der Landschaft und die Bedürfnisse der jeweiligen Bevölkerung. „Ich würde hier vor Pauschalierung warnen. Eine einzige Pauschalaussage kann ich aber machen: Egal, welches Projekt konkret vorgesehen ist, wichtig ist, die betroffene Bevölkerung von vorneherein einzubinden – sonst kommt es immer zum alten Effekt, dass Bewohner zwar zum Beispiel Windräder großartig finden, aber bitte nicht bei sich in der Gegend.“ Clemens Geitner und Richard Hastik haben erst kürzlich die geplante Errichtung einer Windkraftanlage am Pfänder im Vorarlberger Leiblachtal wissenschaftlich begleitet und auch eine Akzeptanzstudie bei der betroffenen Bevölkerung durchgeführt. Durch Aufnahme der neuen Vergleichsstudie in konkrete Politik-Empfehlungen der EU-Kommission hoffen die Wissenschaftler nun, dass das Bewusstsein für diesen scheinbaren Widerspruch zwischen der Erhaltung der Natur und dem Kampf gegen den Klimawandel auch bei Entscheidungsträgern in der Politik geschärft wird. „Ziel sollte ein umfassendes Konzept sein, das sowohl das hohe Energiepotenzial des Alpenraums nutzt als auch seine Biodiversität und die Vielfalt an Ökosystemdienstleistungen schützt. Und auch die Forschung ist noch nicht abgeschlossen und bietet Arbeit für unterschiedliche Felder, nicht zuletzt etwa für Soziologen oder Ökonomen“, sagt Clemens Geitner.