Ein Fisch mit vielen Unbekannten

Aale gaben der Menschheit schon immer Rätsel auf: Aristoteles war überzeugt, dass sie spontan im Schlamm entstehen, sich aus Staub bilden oder von Erdwürmerngeboren werden. Auch wenn der Lebenszyklus des Aals heute bekannt ist, gibt es noch viele ungeklärte Fragen. Univ.-Prof. Dr. Bernd Pelster, Leiter des Innsbrucker Institutes für Zoologie, versucht, einige davon zu klären.
Der Europäische Aal wirft noch immer Fragen auf. Foto: commons.wikimedia.org/Pmx
Der Europäische Aal wirft noch immer Fragen auf. Foto: commons.wikimedia.org/Pmx

Der Europäische Aal Anguilla anguilla ist eine Art der Aale und in ganz Europa, Kleinasien und Nordafrika beheimatet. Die Aal-Larven, die sogenannten Leptocephalus-Larven, schlüpfen im Atlantik, in der Sargassosee in der Nähe der Bahamas. „Die Larven tragen einen eigenen Namen, da lange nicht bekannt war, dass es sich hierbei um die Aal-Larven handelt“, erklärt Bernd Pelster. Von der Sargassosee schwimmen die Larven zu den europäischen Küstengewässern, wo sie sich zu circa sieben Zentimeter langen Glasaalen entwickeln und flussaufwärts in die Binnengewässer im Landesinneren schwimmen. Dort verbringen die Tiere, die sich mittlerweile zu Gelbaalen entwickelt haben, einige Jahre bevor sie zum Ablaichen wieder eine Wanderung in die Sargassosee, wo sie geschlüpft sind, beginnen. „Uns interessiert vor allem der Prozess der Umwandlung vom Gelbaal zum Blankaal, der die Wanderung in die Sargassosee beginnt“, so der Zoologe.

Extreme Wanderung

Der Umwandlungsprozess, den die Tiere vor ihrer Laichwanderung durchlaufen, wird auch als Silvering bezeichnet, da die gelbe Bauchfarbe des Gelbaals silbern wird. Bernd Pelster bezeichnet diesen Prozess als eine Art Pubertät. „Neue endokrinologische Befunde zeigen, dass erst in dieser Zeit die Ausreifung der Geschlechtsorgane beginnt – der Gelbaal hat noch keine vollständig ausgebildeten Geschlechtsorgane“, erläutert er. Als Blank- oder Silberaal wandern die Tiere dann von den europäischen Küsten in die 5000 Kilometer entfernte Sargassosee, um zu laichen. Diese Laichwanderung der Aale ist in vielerlei Hinsicht interessant: Zum einen legen die Tiere rund fünf Monate lang am Tag 30 bis 40 Kilometer zurück, ohne zu fressen. Zum anderen konnte eine Forschungsgruppe aus Dänemark kürzlich belegen, dass sie dabei auch ein sehr interessantes tagesperiodisches Schwimmverhalten zeigen: Tagsüber schwimmen die Fische in rund 800 bis 1000 Meter Wassertiefe und nachts kommen sie in die höheren Wasserschichten in rund 200 - 400 Meter Tiefe. Die Gründe für diese tagesperiodischen Wanderungen sind noch nicht bekannt, zumal dieses Schwimmverhalten bei anderen Fischen zum Fraßschutz beobachtet werden konnte. „Dieses Verhalten kennt man von Fischen, die tagsüber in größeren Tiefen schwimmen, um nicht gefressen zu werden und nachts in die nahrungsreicheren oberen Schichten kommen, um selbst zu fressen. Da der Aal im Lauf seiner Wanderung aber nicht frisst, passt diese Erklärung für ihn nicht.“

Giftiger Sauerstoff

Im Rahmen des Forschungsprojektes interessiert die Wissenschaftler vor allem, wie die Schwimmblase des Aals mit den täglich wechselnden Druckunterschieden fertig wird. Die Schwimmblase ist ein Organ der Knochenfische und dient dazu, das Gewicht des Fisches dem des umgebenden Wassers anzugleichen, sodass der im Wasser eine neutrale Dichte erhält – er also im Wasser schweben kann. „Wir haben theoretische Berechnungen durchgeführt, die gezeigt haben, dass der Aal seine neutrale Dichte bei seinem tiefenperiodischen Schwimmverhalten auf Dauer gar nicht halten kann. Vermutlich ist er in den oberen Wasserschichten neutral in seiner Dichte. Beim Abtauchen wird die Schwimmblase aber komprimiert, sodass der Fisch zu schwer wird und aktiv schwimmen muss, um nicht auf den Boden abzusinken“, erklärt der Zoologe. „Auch die Belastungen auf das Gewebe der Schwimmblase bei einem Druck von beispielsweise 101 Atmosphären bei 1000 Metern Wassertiefe – an der Erdoberfläche herrscht ein Druck von einer Atmosphäre – sind enorm.“ Ein weiteres Problem der großen Tiefen, in denen der Aal einen Teil seiner Reise in die Sargassosee verbringt, sind die Sauerstoffradikale: Die Schwimmblase des Aals ist bei einem Druck von einer Atmosphäre, wie er bei den Untersuchungen im Labor herrscht, zu 60 Prozent mit Sauerstoff gefüllt, das ist viel mehr Sauerstoff als in der menschlichen Lunge vorhanden ist. Bei zu viel Sauerstoff entstehen sogenannte giftige Sauerstoffradikale, die auch als medizinisches Problem bei der länger durchgeführten künstlichen Beatmung von Menschen bekannt sind. „Wir wollen herausfinden, warum die Schwimmblase des Aals nicht durch die Sauerstoffradikale geschädigt wird“, beschreibt Pelster eine weitere Forschungsfrage. Dazu untersuchen die Wissenschaftler die genetischen Expressionsveränderungen bei der Umwandlung der Tiere vom Gelb- zum Blankaal. Anhand von RNA-Sequenzierungen wollen sie herausfinden, welche Gene in der Schwimmblase bei der Umwandlung exprimiert werden und wie sich diese bei den unterschiedlichen Belastungen ändern. „Wir gehen davon aus, dass bestimmte Enzyme, die in hoher Aktivität in der Schwimmblase des Aals vorhanden sind, bei der Umwandlung noch stärker exprimiert werden und so das Gewebe vor den Sauerstoffradikalen schützen. Allerdings müssen wir, um dies bestätigen zu können, noch rund 40.000 Datensätze, die wir aus der RNA-Sequenzierungen erhalten haben, bioinformatisch auswerten.“

Gefährlicher Parasit

Ein zusätzlicher Aspekt, den das Team um Bernd Pelster untersucht, ist ein seit den 80er-Jahren vermehrt auftretender Parasit, der die Schwimmblase der Aale befällt. Hierbei handelt es sich um einen aus Japan eingeschleppten Nematoden, der über die Nahrung aufgenommen wird und sich in der Schwimmblase ansiedelt. „Wir wollen herausfinden, wie sich diese Parasitierung auf die Umstellungen in der Schwimmblase bei der Entwicklung vom Gelb- zum Blankaal und auf die Sauerstoffabwehr des Gewebes auswirkt“, erklärt er. Erste Tests im Schwimmkanal haben gezeigt, dass der Parasitenbefall sich massiv auswirkt: „Infizierte Tiere schwimmen energetisch ungünstiger und brechen früher ab als gesunde. Es ist also zu erwarten, dass die Laichwanderung der infizierten Tiere massiv beeinträchtigt ist.“ Dies ist umso beunruhigender, da der europäische Aal bereits auf der Roten Liste der bedrohten Tierarten zu finden ist. Versuche die Tiere zu züchten waren bis heute nicht sehr erfolgreich. „Es ist bereits möglich, durch Hormongaben den Silvering-Prozess künstlich zu induzieren, Versuche befruchtete Eier zu erhalten, die sich längerfristig entwickeln, sind aber bisher gescheitert“, weiß der Zoologe, der auch mit dem Hamburger Institut für Fischereiökologie zusammenarbeitet, um Wissenslücken in Bezug auf den Aal zu schließen. „Seit über 100 Jahren interessiert sich die Wissenschaft für den Europäischen Aal, dennoch konnten viele Fragen noch nicht geklärt werden.“

Dieser Artikel ist in der Juni-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).