Quanteneffekte in stark unterkühltem Wasser

Wasser unterscheidet sich in vielem von anderen Flüssigkeiten. Ein Team um Thomas Lörting hat nun gemeinsam mit deutschen und US-Forschern eine weitereAnomalie entdeckt. Abhängig von der Isotopen-Zusammensetzung ändert sich der Glasübergang – jene Temperatur, bei der Wasser praktisch zu fließen aufhört und zu einem amorphen Festkörper wird – dramatisch.
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Eva Fessler

Wieso kann Wasser bei Temperaturen von minus 137 Grad Celsius flüssig sein? Und warum ändert sich in Wasser die Zeitskala der Molekülbewegung am Glasübergang in die amorphe Phase so wenig wie bei keiner anderen Flüssigkeit? Wie Forscher um Thomas Lörting vom Institut für Physikalische Chemie gemeinsam mit Kollegen in Deutschland und den USA in der Fachzeitschrift Proceedings of the National Academy of Sciences (PNAS) berichten, sind dafür Quanteneffekte verantwortlich. Diese bewirken, dass ein Austausch der Protonen durch Deuteronen die Glasübergangstemperatur von Wasser mehr als zehnmal stärker ändert als bei anderen Flüssigkeiten. „Bei leichtem Wasser (H2O) fallen Quanteneffekte wie Tunneln viel stärker ins Gewicht als bei schwerem Wasser (D2O)“, sagt Thomas Lörting. Rechnungen zeigen: Ohne Quanteneffekte wäre der Glasübergang von Wasser etwa 35 Grad höher, bei minus 102 Grad Celsius. „Die nun mittels dielektrischer Messungen festgestellten Glasübergangstemperaturen sind im schweren Wasser tatsächlich deutlich höher als im leichten Wasser“, erklärt Lörting. „Dies bedeutet, dass schweres Wasser bei gleicher Temperatur nahe des Glasübergangs viel zähflüssiger ist als leichtes Wasser.“ Im Gegensatz dazu unterscheidet sich die Viskosität von leichtem und schwerem Wasser bei Raumtemperatur praktisch nicht.

Vor einem Jahr hatten die Forscher um Thomas Lörting gemeinsam mit Kollegen an der TU Dortmund experimentell nachgewiesen, dass Wasser bei noch viel tieferen Temperaturen flüssig sein kann, als bisher angenommen. Sie entdeckten damals den zweiten, bisher unbekannten Glasübergang bei minus 157 Grad Celsius. Unter bestimmten Bedingungen kann Wasser bis zu dieser Temperatur flüssig bleiben. Die jetzt entdeckten Isotopeneffekte betreffen den bereits früher bekannten, ersten Glasübergang bei minus 137 Grad.

Die Erforschung von Wasser bei so tiefen Temperaturen könnte für unser Verständnis der Evolution von organischen Verbindungen und womöglich auch die Frage nach der Entstehung von Leben im Weltall von Bedeutung sein. Denn flüssiges Wasser gilt gemeinhin als das Lösungsmittel für chemische Reaktionen schlechthin, als Geburtsstätte von Biomolekülen. Wenn Wasser bei sehr viel tieferen Temperaturen als bisher angenommen flüssig auftritt, wirft das ein neues Licht auf diesen Prozess. Der Unterschied in der Viskosität zwischen schwerem und leichtem Wasser bei sehr tiefen Temperaturen könnte zur Folge haben, dass es auf Kometen oder auf anderen eisigen Himmelskörpern zu einer Trennung der natürlichen Wasserstoff-Isotope kommt, sobald die Temperatur nahe oder knapp über dem Glasübergang ist, so zum Beispiel auf dem derzeit von der Rosetta-Sonde beobachteten Kometen 67P auf dem Weg zur Sonne.