Geheimnisvolle Höhlenbewohner

Die Tiroler Hundalm Eis- und Tropfsteinhöhle birgt Vorkommen der so genannten „Mondmilch“. Diese für Karstgebiete typische, weißliche Höhlenablagerungwird von Millionen von Mikroorganismen besiedelt, deren Funktion bis heute nur lückenhaft geklärt ist. Christoph Reitschuler vom Institut für Mikrobiologie ist in einem vom TWF geförderten Projekt dem Leben in Mondmilch auf der Spur.
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Leben in lebensfeindlicher Umgebung: Die Mondmilch-Ablagerungen der Hundalm Eis- und Tropfsteinhöhle werden von vielen Mikroorganismen bewohnt. Bild: Christoph Reitschuler

Die nördlich von Wörgl gelegene Hundalm Eis- und Tropfsteinhöhle wurde 1921 erstmals befahren und ist nicht nur Schauplatz unterschiedlichster wissenschaftlicher Untersuchungen, sondern auch ein beliebtes Ausflugsziel. Während der obere, eisführende Teil der Höhle im Rahmen von Führungen besichtigt werden kann, ist ein tieferliegender Höhlenteil für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Dieser Bereich wurde in den letzten Jahren wiederholt von Forscherinnen und Forschern der Universität Innsbruck inspiziert. Eine Kooperation der Arbeitsgruppen rund um Prof. Paul Illmer vom Institut für Mikrobiologie und Prof. Christoph Spötl vom Institut für Geologie und Paläontologie hat sich zum Ziel gesetzt, durch eine Zusammenführung der Expertisen beider Fachgebiete den Lebensraum Hundalm-Höhle zu untersuchen und zu verstehen. „Wir, eine Gruppe von Mikrobiologen und Geologen, sind in den tieferen, eisfreien Teil der Höhle abgestiegen und konnten dort Vorkommen von Mondmilch feststellen“, erzählt Christoph Reitschuler, Dissertant am Institut für Mikrobiologie. „Mondmilch“ – auch als „Bergmilch“ oder „Nix“ bezeichnet – ist eine vor allem in Karstgegenden vorkommende spezielle Calcit-Ablagerung in Höhlen, deren Wassergehalt zwischen 60 und 90 Prozent liegt. Die Bezeichnung entwickelte sich aus dem bereits im 16. Jahrhundert in der Schweiz geprägten Begriff „Montmilch“, also „Bergmilch“. „Die Beschaffenheit von Mondmilch ist im Gegensatz zu Tropfsteinen vergleichbar mit einer Paste. Die Ablagerungen sind meist schneeweiß, können aber auch gelblich bis braun erscheinen, sie kommen an den Höhlenwänden und –böden sowie in Höhlenseen vor“, erklärt Reitschuler. Die Forschergruppe entnahm aus den bis zu diesem Zeitpunkt völlig unberührten Mondmilchablagerungen unter sterilen Bedingungen Proben und untersuchte sie anschließend im Labor. „Mondmilch ist ein weltweites Phänomen, in alpinen Höhlen wurden derartige Untersuchungen allerdings bisher kaum durchgeführt", sagt der Mikrobiologe.

Millionenfach bewohnt

Mit einer Kombination aus DNA-Analysen und Kulturtechniken konnten die Forscherinnen und Forscher der Arbeitsgruppen eine sehr komplexe mikrobielle Gemeinschaft in der Mondmilch feststellen. Alle Proben wiesen ein sehr hohes Aufkommen von Bakterien, Pilzen und Archaea auf. „Die Tatsache, dass sich dieser Lebensraum durch beinahe völlig nährstofffreie Bedingungen auszeichnet, macht dieses Ergebnis zu einer sehr bemerkenswerten Entdeckung“, betont Reitschuler. „In manchen Proben wurden mehr als eine Million Bacteria oder Archaea pro Milliliter detektiert“. Für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler liegt aufgrund der großen Vorkommen von Lebewesen in diesen Höhlenablagerungen nun die Vermutung nahe, dass die Organismen an der Bildung von Mondmilch beteiligt sein könnten bzw. einen Nutzen daraus ziehen. „Wahrscheinlich sind die Mikroorganismen dazu in der Lage, Kalk aus dem Muttergestein zu lösen und sind in weiterer Folge an der Ausfällung mikroskopisch kleiner Calcit-Kristalle beteiligt“, erklärt Reitschuler. „Welche Funktionen die verschiedenen Organismen dabei einnehmen und wie das mikrobielle Zusammenspiel im Zuge der Entstehung von Mondmilch funktioniert, konnte bislang aber noch nicht geklärt werden."

„Nicht-extreme“ Archaea?

Eine der bis heute offenen Fragen betrifft das große Vorkommen von Archaea in den Mondmilchablagerungen. Neben Bakterien und Eukaryoten (Menschen, Tiere, Pilze, Pflanzen) sind Archaea nach ihrer Entdeckung in den 70er Jahren seit 1990 als eigene, dritte Domäne unter den Lebewesen anerkannt und bisher vergleichsweise wenig untersucht. Im Unterschied zu anderen Lebewesen zeichnen sich Archaea durch einzigartige biochemische und physiologische Eigenschaften aus und sind eigentlich für ihre Vorkommen in sehr extremen Lebensräumen bekannt. Die Mikroorganismen konnten an Standorten mit sehr hohen Temperaturen (bis zu 110 Grad), extremen ph-Werten (unter 1) oder in Habitaten mit sehr hohen Salzgehalten nachgewiesen werden. „Mittlerweile wissen wir aber, dass einige Arten der Archaea auch an vielen alltäglichen Standorten wie beispielsweise in Böden oder im Meerwasser vorkommen“, ergänzt Reitschuler. Nahe Verwandte einer bis dato nicht beschriebenen Gruppe von Archaea, die der Forscher in der Mondmilch entdeckte, waren bisher nur für ihre Vorkommen in heißen Tiefseequellen bzw. in sehr sauren Habitaten dokumentiert. „Mit einer konstanten Temperatur von ca. vier Grad und einem neutralen bis leicht alkalischen pH-Wert ist die Hundalm-Höhle keineswegs extrem und ein gänzlich konträres Habitat zu jenem der Nächst-Verwandten. Die zentrale Frage ist, um welche bis dato unbeschriebenen Organismen handelt es sich genau und was ist deren Funktion", verdeutlicht Reitschuler.

„Züchtung“ im Labor

Darüber hinaus konnte der Mikrobiologe im Zuge der Untersuchungen feststellen, dass Archaea in den Mondmilchproben nicht nur in einer außergewöhnlich hohen Anzahl vorkamen, sondern auch in einer überraschend konstanten Artenzusammensetzung. „Die Spezieszusammensetzung der Bacteria beispielsweise variierte von Probe zu Probe deutlich, die Zusammensetzung der Archaea allerdings blieb immer annähernd gleich. Das lässt den Schluss zu, dass diese Archaea im Vergleich zu den anderen Organismen sehr wahrscheinlich eine besondere Rolle einnehmen“, erklärt Reitschuler, der für seine Forschungsarbeit zu den Archaea in der Hundalm-Höhle im Jänner 2014 eine Förderung des Tiroler Wissenschaftsfonds (TWF) erhielt. „Nachdem bekannt ist, dass Archaea in den Proben aus der Hundalm-Höhle vorkommen, möchte ich in einem weiteren Schritt ihre Funktion klären", erzählt Reitschuler. Dazu soll Mondmilch nun im Labor „nachgezüchtet“ werden: Christoph Reitschuler möchte den bisher kaum gewagten Versuch anstellen, das Habitat mittels künstlicher Medien zu simulieren. „Bisher wurden nur die natürlichen Proben aus der Höhle untersucht, hier stößt man aber bald an Grenzen, da wir natürlich nicht regelmäßig Proben vor Ort entnehmen können“, sagt der Mikrobiologe. „Um ausreichend Material für weitere Untersuchungen zu haben, werden die für uns interessanten Organismen vermehrt angereichert". Erfolg ist bei dieser Herangehensweise nicht garantiert, die Forschung rund um die Kultivierung von Archaea steht noch am Anfang und erfordert viel Geduld. „Die Mühe lohnt sich, denn wir erhoffen durch unsere Ergebnisse das bisher eher lückenhafte Wissen über die Archaea zu erweitern und im Zuge dessen auch klären zu können, wie Mondmilch entstehen kann“, sagt der Forscher abschließend. Das Projekt „Moonmilk and Non-extremophilic Archaea“ ist auf zwei Jahre angelegt und wird Teil der Dissertation von Christoph Reitschuler sein.