Marketing, das unter die Haut geht

Der Tastsinn beeinflusst uns mehr, als wir denken. Ein Fakt, das sich Firmen auch im Marketing zunutze machen können. Wie stark unsere Abhängigkeitvom Tastsinn tatsächlich ist, daran forscht unter anderem der Innsbrucker Wirtschaftswissenschaftler Mathias Streicher, der in Experimenten Erstaunliches belegt.
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Nicht nur das Aussehen, auch die Haptik von Produkten beeinflusst unsere Kaufentscheidung. (Foto: notfrancois/flickr.com)

Druck, Berührung, Temperatur: Die Haut ist unser flächenmäßig größtes Sinnesorgan. „Der Tastsinn ist sehr prägend, ist er doch der einzige Sinn, der uns direkt mit Gegenständen in Verbindung bringt“, sagt Dipl.-Kfm. Mathias Streicher vom Institut für Strategisches Management, Marketing und Tourismus. Umso überraschender ist, dass die Haptik zugleich der in der Sozialforschung am wenigsten erforschte Sinn ist. Mathias Streicher setzt genau hier an: Er untersucht in Experimenten den Zusammenhang von Sinneswahrnehmungen und Kognition – insbesondere, wie haptische Wahrnehmungen (Konsum-)Entscheidungen beeinflussen können. „Manche Firmen haben es geschafft, ihre Marke auch fühlbar zu machen“, sagt Streicher. Das wohl prominenteste Beispiel ist die Coca-Cola-Flasche: „In einem Test haben über achtzig Prozent der Versuchspersonen mit verbundenen Augen die Glasflasche auch tatsächlich dem Getränkekonzern zugeordnet. Die Marke wird nicht nur durch das Logo verkörpert – man kann sie in Form der bekannten Glasflasche buchstäblich anfassen.“

Konsumsituationen

Neben dem Einsatz für Marketing-Zwecke kann Anfassen auch noch andere Qualitäten entfalten: „Eine unaufdringliche Berührung des Kunden durch Servicepersonal führt nachweislich zu höherem Trinkgeld“, erläutert der Marktforscher. Auch eine Art Kontaminationseffekt ist nachweisbar: Kommen etwa Nahrungsmittel mit anderen, als unangenehm oder ekelhaft assoziierten Gegenständen in Berührung – etwa mit Hygieneartikeln –, werden sie danach auch negativer bewertet. „Bei diesem Effekt genügt es, wenn verpackte Produkte im Einkaufswagen andere berühren.“ Umgekehrt ist die Macht des physischen Kontaktes auch zur Beeinflussung von Kaufabsichten nutzbar: Bereits das bloße Anfassen von Produkten kann Besitzgefühle entstehen lassen. „Gar nicht nur das tatsächliche Anfassen, sondern auch bereits die Vorstellung, ein Produkt in der Hand zu halten und zu benutzen, reicht aus, um dieses Besitzgefühl entstehen zu lassen“, erklärt Mathias Streicher. Marketing-Zuständige in Unternehmen könnten diese Erkenntnisse auch nutzen, indem sie mit ihrer Werbung genau diese Vorstellung provozieren. Kann ein Konsument in einer Kaufsituation ein Produkt beispielsweise aufgrund von geschlossenen Schaukästen nicht mit den Händen erkunden, kann das Frustration auslösen und die Kaufentscheidung erheblich erschweren. „Deswegen bin ich davon überzeugt, dass es immer physische Läden geben wird – diesen Vorteil bietet das Internet einfach nicht“, sagt Streicher.

Haptische Verpackungseigenschaften können sich auch auf Produkte übertragen: „Ein und dasselbe Mineralwasser wird von Testpersonen als besser bewertet, wenn es aus einem stabilen anstatt aus einem weichen Plastikbecher konsumiert wird“, erläutert der Wissenschaftler. Dieser Einfluss von Haptik auf das Qualitätsempfinden geht sogar so weit, dass in einem Experiment Personalverantwortliche Bewerber, deren Bewerbungsunterlagen sie auf einem schweren Klemmbrett zu lesen bekamen, als höher qualifiziert einschätzten als solche, deren Unterlagen sie auf einem leichten Klemmbrett lasen. Auch Unternehmen versuchen durch Haptik Qualitätsattribute gezielt zu kommunizieren: „Ein Hersteller von hochwertiger Unterhaltungselektronik hat zum Beispiel die Wertigkeit der Produkte dadurch zum Ausdruck gebracht, dass Bedienelemente wie Fernbedienungen etwas schwerer gemacht wurden.“

Leichte Manipulation

Mit dem Wissen um den Einfluss von Haptik auf Konsumenten lassen sich Kaufentscheidungen aber auch gezielt manipulieren. „Wir haben das in einem Experiment nachgewiesen: Testpersonen wurde gesagt, sie sollen mit verbundenen Augen das Gewicht eines Gegenstandes schätzen. Eine Gruppe bekam eine kleine Coca-Cola-Glasflasche, eine andere eine Red-Bull-Dose und eine dritte Kontrollgruppe eine kleine Römerquelle-Glasflasche für jeweils zwei Sekunden in die Hand. Danach durften sich die Probanden für die Teilnahme am Test ein Getränk als Belohnung aussuchen: Entweder eine Coca-Cola oder ein Red Bull“, erklärt Mathias Streicher. Das Ergebnis war signifikant und erstaunlich: Jene Probanden, die davor die Coca-Cola in die Hände bekamen, wählten deutlich häufiger die Marke Coca-Cola als Belohnung, umgekehrt war das gleiche bei Red Bull zu beobachten. Nur für die Römerquelle-Gruppe war die Wahl zwischen den beiden Marken in etwa gleichverteilt. Und das, obwohl den Probanden weder die Produkte noch der Manipulationsversuch bewusst war.

Manche Marken entwickeln daher bewusst eine für ihre Marke typische Produkt- oder Verpackungshaptik. Eine niederländische Biermarke hat kürzlich neue, taktile Bierdosen mit fühlbarem Aufdruck auf den Markt gebracht: „Stellen Sie sich vor, Sie bekommen auf einer Party eine solche Bierdose in die Hand. Das nächste Mal, wenn Sie im Supermarkt diese Dose zufällig wieder in der Hand halten, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass die spezielle Dosentextur ein Vertrautheitsgefühl erzeugt und die Wahl des Produktes begünstigt.“ So könnte man im Supermarkt etwa auch Kühlfach-Türgriffe mit der Textur einer Coca-Cola-Flasche versehen: Vermutlich würde ab dann mehr Coca-Cola gekauft als davor, weil die Wahrnehmung der Coca-Cola-typischen Haptik die Marke unter den entscheidungsrelevanten Alternativen gedanklich leichter zugänglich machen würde.

Moralische Frage

„Alles das wirft natürlich auch moralische Fragen auf. Wir gehen an unsere Forschung aber möglichst vorurteilsfrei und ohne wirtschaftliche Interessen heran“, betont Mathias Streicher. Die Erkenntnisse aus Streichers Versuchen könnten genauso gut dem Verbraucherschutz dienen wie den Interessen von Marketing-Abteilungen. „Letzten Endes betreiben wir auch Grundlagenforschung: Wir erforschen beispielsweise auch das Zusammenspiel von mehreren Sinnen und konnten zeigen, dass die Geschwindigkeit, mit der Produkte kognitiv verarbeitet werden, am höchsten ist, wenn die Konsumenten das Produkt und darauf befindliche Markenlogos nicht nur sehen, sondern das Produkt auch zusätzlich anfassen.“ Die bisher insgesamt fünf Experimente von Mathias Streicher wurden unter anderem aus Mitteln der Nachwuchsförderung der Universität finanziert.

Dieser Artikel ist in der Oktobet-Ausgabe des Magazins „wissenswert“ erschienen. Eine digitale Version ist hier zu finden (PDF).