In Genen lesen lernen
Im „Human Genome Project“ haben Wissenschaftler ab 1990 das gesamte menschliche Erbgut, das Genom, sequenziert. Gebraucht haben sie dafür bis 2003: In diesem Jahr wurde die komplette „Entschlüsselung“ des menschlichen Erbguts verkündet. Die Kosten und auch die Dauer für so eine Sequenzierung sind inzwischen rasant gesunken; eine individuelle Sequenzierung für rund 1000 US-Dollar ist technisch nicht mehr weit entfernt. Ein sequenziertes Genom besteht einfach ausgedrückt aus einer langen Liste an Buchstaben, die für bestimmte Teilbereiche des Genoms stehen und aus der erst durch eine eingehende Analyse Rückschlüsse gezogen werden können. Für die Analyse dieser Daten ist bioinformatisch ausgebildetes Fachpersonal gefragt: „Die Datenmengen an sequenzierten Genomen steigt stetig, das Fachpersonal, um diese Sequenzen dann auch zu analysieren, fehlt allerdings“, erklärt Prof. Thorsten Schwerte vom Institut für Zoologie, und ergänzt: „Auch für die alltägliche Arbeit eines Biologen oder Mediziners wird dieses Wissen immer wichtiger.“ Diese Lücke an Fachwissen will er gemeinsam mit seinem Master-Studenten Stefan Stolz schließen.
Interpretation von Daten
„Ein Mensch besitzt etwa 3 Milliarden Basenpaare, was grob einer
Datenmenge von drei Gigabyte entspricht, um die reine
Sequenz-Information zu speichern“, veranschaulicht Stefan Stolz die
Datenmenge, die ein einziges menschliches Genom allein beansprucht.
Menschliche Genome weichen allerdings voneinander ab und deshalb reicht
es für die Forschung nicht, ein einziges menschliches Genom zu
speichern. „Da der Mensch für die biomedizinische Forschung nicht der
einzige Organismus von Interesse ist, müssen natürlich die Genome
zahlreicher Organismen gespeichert werden“, ergänzt Thorsten Schwerte.
Durch laufende technische Fortschritte haben diese Zahlen bisher
exponentiell zugenommen.
Diese Menge an Daten ist allerdings noch
nicht interpretiert und analysiert, vieles davon ist in Gen-Datenbanken
für die Forschung frei verfügbar. „Speichern allein reicht nicht, und
die Analyse ist eine der Hauptaufgaben der Bioinformatik“, erklärt
Thorsten Schwerte. Für diese Analyse gibt es eine Vielzahl an
Software-Paketen, die allerdings zum größten Teil ausgesprochen teuer
und für Privatanwender wie Studierende nicht erschwinglich sind. Eine
Alternative bietet das offen erhältliche Paket „EMBOSS“ – hier sind
allerdings fortgeschrittene Computerkenntnisse bei der Installation
notwendig. Thorsten Schwerte und Stefan Stolz lösen mit einem neuen
E-Learning-Projekt auch dieses Problem: Neben einer umfassenden
Video-Einschulung in die „EMBOSS“-Suite bieten sie Biologie-Studierenden
der Universität auch Zugang zu einem EMBOSS-Server, dadurch wird die
Leistungsfähigkeit von EMBOSS über jeden Internetbrowser weltweit
ortsunabhängig nutzbar. So können die Studierenden im Video Gezeigtes
auch gleich ausprobieren und nachvollziehen. Für Externe ist das
Lern-Paket auch kommerziell erhältlich, der Server-Zugang ist ebenfalls
dabei. „Wir arbeiten gerade an einer DVD, die am jeweiligen Computer
einen Server mit einem voll lauffähigem EMBOSS startet – so kann
wirklich Jeder und Jede, ohne langwierige Installation und ohne Zugriff
auf den Uni-Server zu haben, ‚EMBOSS’ nutzen“, erläutert Stefan Stolz.
Genom für Jeden
„Der Gedanke, dass jeder Einzelne sein persönliches Genom quasi auf dem USB-Stick mit sich herumträgt und er beim Arzt damit gesagt bekommt, für welche Krankheiten er besonders anfällig ist, ist sicher reizvoll“, sagt Thorsten Schwerte. Die Auswertung eines kompletten Genoms ist allerdings nicht maschinell möglich und braucht Fachpersonal. Auch in der täglichen wissenschaftlichen Arbeit eines Biologen oder Mediziners werden Bioinformatik-Software und bioinformatische Methoden immer wichtiger. „Wir vergleichen das gerne mit einem Taschenrechner: Damit kann jeder umgehen. Bioinformatik-Software muss zum Taschenrechner für Biologen werden und kommt derzeit im Studium noch zu kurz – dem wollen wir entgegen wirken“, erklärt Thorsten Schwerte. Das Tutorial-Paket von ihm und Stefan Stolz steht auch Lehrenden an anderen Universitäten offen und ist das erste seiner Art im deutschsprachigen Raum.