Programmieren, um die Welt zu verändern

Software wie Mozilla Firefox, Open Office oder das Betriebssystem GNU/Linux wird von unzähligen Programmierern entwickelt und kostenlos zur Verfügung gestellt.Ein Phänomen, das in einer zunehmend kommerzialisierten Gesellschaft auffällt und Andrea Hemetsberger gerade deshalb fasziniert und beschäftigt.
Computer Code
Weltweit tüfteln Programmierer-Gemeinden an Free- und Open Source Software. Warum sie das tun und wie sie organisiert sind erforscht die Wirtschaftswissenschaftlerin Andrea Hemetsberger. Symbolfoto: istockphoto.com

1998 drohte das Unternehmen Netscape mit seinem Browser Netscape Navigator den Konkurrenzkampf gegen Microsofts Internet Explorer zu verlieren. Damals gab Netscape den Quellcode – die Quintessenz jeder Anwendung und üblicherweise ein gut gehütetes Betriebsgeheimnis – frei und stellte sie ambitionierten Programmierern zur Weiterentwicklung zur Verfügung. So wurde aus Netscape der beliebte, kostenlose Browser Mozilla Firefox. An der Öffnung des Quellcodes maßgeblich beteiligt war der Amerikaner Eric S. Raymond, der Netscape beraten hatte und im selben Jahr die Open Source Initiative zur Förderung quelloffene Software (englisch: Open Source Software) mitbegründete. Die Wurzeln der Initiative gehen jedoch auf Richard Stallmann zurück, der als Vater und Aktivist der ideologischer ausgerichteten Free Software Bewegung wesentlich zum Erfolg des Free- beziehungsweise Open Source Modells beigetragen hat. Beiden gemeinsam ist das Credo, dass ein öffentlich zugänglicher Quellcode und ein Entwicklungsprozess, der von möglichst vielen kreativen Nutzern getragen und überwacht wird, zu besseren Softwareprodukten für jedermann führt. Beide Bewegungen propagieren eine freie Nutzung, Weitergabe und Verarbeitung von Software.
„In Open Source und Free Software Communities sind Konsumenten zugleich auch Produzenten, die sich aktiv und mit Begeisterung in den Innovationsprozess einbringen. Die Frage, was sie dazu motiviert fasziniert mich schon seit langem und ist Teil meiner Habilitation, die sich mit der Free- und Open Source Bewegung beschäftigt“, schildert Univ.-Prof. Andrea Hemetsberger vom Institut für Strategisches Management, Marketing und Tourismus.

Bedeutende Downloads

Klassische Motivationstheorien beschreiben eine Reihe von selbstbezogenen und fremdbezogenen Motiven, warum Menschen zu einem kollektiven Gut beitragen. „Welche davon in Hinblick auf Free und Open Source Bewegung in besonderem Maß zutreffen, haben wir einerseits durch die Beobachtung und Analyse der Kommunikation in Communities erforscht. Andererseits haben wir Onlinefragebögen analysiert, um mehr über die Selbstwahrnehmung der Mitglieder zu erfahren“, erklärt die Wissenschaftlerin ihre Forschungsansätze.
„Zunächst einmal ist es ganz einfach der Spaß am Programmieren, der Menschen dazu bewegt, sich einer Gruppe anzuschließen und etwas beizutragen“, sagt Hemetsberger. Hinzu kommt das Bedürfnis, sich kompetent zu fühlen und sich innerhalb der Gruppe auszutauschen. „Grundsätzlich kann jeder mitreden und etwas beitragen, wenngleich es klare Kommunikationsregeln und -verfahren gibt“, erklärt die Wissenschaftlerin eines der Grundprinzipien von Free- und Open Source Communities.
Eine zentrale Motivationsquelle ist die soziale Anerkennung innerhalb der Gruppe, die sich in den Reaktionen der anderen Mitglieder auf die geleistete Arbeit zeigt. Die wichtigste Antriebskraft – insbesondere unter den Kernentwicklern – ist jedoch das Gefühl, tatsächlich etwas in der Welt bewirken und verändern zu können. „Wenn tausende, manchmal sogar Millionen von Menschen eine freie Software herunterladen, entsteht das Gefühl, dass die eigene Arbeit von globaler Bedeutung ist“, hebt Hemetsberger hervor. „Natürlich schwingt bei vielen irgendwo im Hinterkopf auch der Gedanke mit, irgendwann einmal mit einem Code berühmt zu werden. Was in Einzelfällen ja durchaus gelungen ist.“
Die Opposition gegen marktbeherrschende Unternehmen wie Microsoft, die in den frühen Jahren im Vordergrund der Bewegung stand, ist laut Hemetsberger heute etwas in den Hintergrund gerückt. Was aber nicht heißt, dass die Free- und Open-Source Communities ihren Prinzipien untreu geworden sind. „Die Communities haben teilweise in Hinblick auf ihre Werte und ihre Kultur durchaus religiöse Züge “, beschreibt Hemetsberger eine weitere Beobachtung.

Keine Basisdemokratie

Andrea Hemetsberger interessiert sich aber auch für die Frage, wie kreative Prozesse in den Communities funktionieren. „Die Gruppen sind sehr heterogen, vom Anfänger bis zum Eliteprogrammierer), ist alles vertreten. Das erfordert klare Regeln“, schildert sie. So erfolgt die Kommunikation in großen Gruppen meist über Diskussionslisten. Nicht jedes Mitglied kann in jeder Liste mitdiskutieren, aber alle Listen sind für die gesamte Gruppe einsehbar. Startet ein neues Projekt, so folgt der öffentlichen Diskussion meist eine Deadline, bis zu der jeder seinen Beitrag liefern kann. Entscheidungen über das weitere Vorgehen werden dann von einem Projektleiter oder einem Leitungsteam getroffen. Um zum Kernteam zu gehören, muss man sich durch Leistung verdient machen. „Man darf sich solche Gruppen nicht basisdemokratisch vorstellen. Vielmehr arbeiten sie nach einem meritokratischen Prinzip. Das heißt jedes Mitglied nimmt die verdiente Position ein“, hebt Hemetsberger hervor.

Zur Person

Andrea Hemetsberger studierte Betriebswirtschaft an der Universität Innsbruck. Als wissenschaftliche Mitarbeiterin am damaligen Institut für Marketing schloss sie 1997 ihre Dissertation ab. 2000 folgte ein einjähriger Forschungsaufenthalt am Marketinginstitut der Tilburg University, Niederlande, finanziert durch ein Marie-Curie Stipendium der Europäischen Union. 2006 habilitierte sich Hemetsberger im Fachbereich Marketing, gefolgt von zwei Auslandsaufenthalten an der ESSEC in Paris und an der Schulich School of Business, York University, Toronto. Seit 2008 ist sie Gastprofessorin an der Paris-Dauphine in Paris, seit April 2011 ist sie Professorin für Markenforschung an der Universität Innsbruck. Neben der Free und Open Source Bewegung erforscht sie authentisches Marketing und die transformative Kraft von Marken. Das Thema Marke als komplexes soziales Phänomen, und als Teil sogenannter Consumer Cultures ist ein weiteres Arbeitsgebiet von Hemetsberger.

Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe des Magazins wissenswert vom 21.6. 2011 erschienen. wissenswert ist ein Kooperationsprojekt zwischen der Uni Innsbruck und der Tiroler Tageszeitung und liegt dieser fünf Mal pro Jahr bei. Eine digitale Version steht unter folgendem Link zur Verfügung: wissenswert online (pdf)