Mehr Mut zu europäischem Denken

Die EU definiert sich selbst als global agierende Friedensmacht. Bei Hilfestellungen im Aufbau von demokratischen Strukturen spielen daher nebenmilitärischen Aspekten in erster Linie zivile Operationen eine wichtige Rolle. Die Politikwissenschafterin Dr. Anja Opitz im Gespräch über die großen, teilweise noch ungenutzten Potenziale in der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU.
Europäische Union
Beim Aufbau demokratischer Strukturen könnte die EU ein wichtiger Partner sein. (Bild: Rock Cohen/flickr.com).

Wodurch zeichnet sich die Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU aus?

Anja Opitz: Die Europäische Union führte bislang wesentlich mehr zivile als militärische Operationen durch. Damit standen friedensstiftende Maßnahmen und der Aufbau staatlicher Strukturen im Mittelpunkt. Neben militärischen Zielen sieht die EU ihre Aufgabe darin, durch zivile Hilfestellungen im Rahmen der GSVP (siehe Info unten) langfristig friedenserhaltend tätig zu sein. Sie arbeitet multilateral und agiert ganz bewusst zivil-militärisch, wie z.B. in Bosnien und Herzegowina. Die Besonderheit der GSVP liegt darin, dass jeder Mitgliedsstaat souverän entscheiden kann, ob er an einer Operation teilnehmen möchte oder nicht. 

 

Ist dieses Konzept erfolgreich?

Opitz: Tatsache ist, dass noch immer ein großer Nachholbedarf gegeben ist. So herrscht z.B. im zivilen Bereich ein Mangel an Einsatzkräften. Wichtig wäre, dass die Mitglieder ihre Fähigkeiten harmonisieren und Synergieeffekte schaffen. Das ist allerdings nur dann möglich, wenn nationale Interessen zurückgesteckt und europäische Ziele in den Vordergrund gerückt werden. Nur so könnte das große Potenzial der EU im Bereich der Außenpolitik auch effektiv genutzt werden.

 

Wird sich von nationalstaatlicher Seite ein „europäischeres“ Denken durchsetzen?

Opitz: Die Notwendigkeit dafür ergibt sich allein schon aus budgetären Gründen, da das Nützen von Synergieeffekten natürlich auch Kosten spart. Abhängig ist das Bekenntnis zur EU aber letztlich von den Regierungen. Hier ist der Haken für die EU: Meist stehen nationalstaatliche Interessen im Vordergrund, die den Aufbau einer effektiven Sicherheits- und Verteidigungspolitik erschweren.

 

Könnte die Einführung von Berufsheeren zu einem geeinteren Europa führen?

Opitz: Die Entscheidung für ein Berufsheer würde in jedem Fall zu einer stärkeren Auseinandersetzung mit der Frage führen, welche Rolle die nationale Armee im Verbund der EU einnehmen soll. Ein Staat könnte sich auf einen bestimmten Bereich spezialisieren und die Ressourcen der gesamten Union zur Verfügung stellen. Das geschieht bis dato kaum, daher ist ein effizientes und zielorientiertes Handeln momentan schwierig.

 

Wie bewerten Sie das Verhalten der EU angesichts der jüngsten Ereignisse in Nordafrika?

Opitz: Theoretisch hätte die EU das Potenzial als echter Partner für die Länder Nordafrikas zu agieren und im Demokratisierungsprozess hilfestellend tätig zu sein. Hier zeigt sich aber ein Defizit der EU deutlich: Es gibt keine Geschlossenheit und damit keine einheitliche Strategie. Die EU ist somit nicht handlungsfähig und hat es noch nicht geschafft, ihr großes Potenzial zu bündeln, um souverän agieren zu können. Wünschenswert wäre, dass die EU als globaler Partner für andere Länder tätig wird und Ziele umsetzt, die etwa in der Europäischen Sicherheitsstrategie schon lang vorhanden sind. 

 

Lässt sich aus dieser Zurückhaltung auch der Unmut gegenüber der EU in vielen Mitgliedsstaaten erklären?

Opitz: Die EU ist mit zahlreichen innen- und außenpolitischen Aufgaben konfrontiert. Tatsache ist aber leider, dass viele Politiker gerade in Zeiten nationaler Wahlen eine künstliche Distanz gegenüber der „EU da oben“ aufzubauen versuchen. Diese Aussagen sind aber ungerechtfertigt, denn jedes Regierungsmitglied eines Mitgliedstaates hat automatisch auch eine Funktion in der EU. Es liegt daher in der Verantwortung eines jeden Politikers, den europäischen Gedanken zu transportieren. Als Einzelkämpfer ist man immer schwächer als im Verbund, das hat die Wirtschaftskrise eindrucksvoll gezeigt. Die EU hat eine globale Verantwortung, deren Umsetzung nur durch ein stärkeres europäisches Denken gewährleistet werden kann.

Das Interview führte Melanie Bartos.

Die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik (GSVP) der EU ist integraler Bestandteil der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) und umfasst als solche das operative außenpolitische Handeln der Europäischen Union. Dieses beruht auf drei Prinzipien, welche durch die Europäische Sicherheitsstrategie (ESS) definiert werden: Die EU möchte präventiv handeln, also bevor eine Krise eintritt. Dabei verfolgt sie eine integrative Außenpolitik, die alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel koordiniert und umfassend einsetzt. Diese Zielsetzung soll durch die Umsetzung einer engen Zusammenarbeit mit anderen internationalen Organisationen erreicht werden. Anja Opitz über Erfolge, Nachholbedarf und Herausforderungen.

Zur Person

Dr. Anja Opitz studierte Politikwissenschaft, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften an der Universität Passau. Derzeit arbeitet sie als wissenschaftliche Assistentin (Post Doc) am Institut für Politikwissenschaft der Universität Innsbruck. Sie lehrt im Fachbereich Europäische Integration und forscht zur Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik der EU. Ihre Dissertation hat sie zum Thema „Politische Vision oder praktische Option? Herausforderungen zivil-militärischen Zusammenwirkens im Rahmen eines integrierten Krisenmanagementansatzes der GSVP“ verfasst.

 

Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe von wissenswert – dem Magazin der Universität Innsbruck in der Tiroler Tageszeitung – erschienen. Weitere interessante Beiträge rund um Lehre und Forschung an der Universität Innsbruck finden Sie in der Online-Ausgabe von wissenswert.