Keine Hochzeit ohne Ehevertrag

„Der Mann ist das Haupt der Familie.“ So wurde das Verhältnis zwischen Mann und Frau in der Familie ab 1812 laut Paragraf 91 des neuenAllgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches (ABGB) geregelt. Davor bestimmten unter anderem Eheverträge dieses Verhältnis, und das nicht zwingend zum Nachteil der Frau.
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Die Braut firmierte mit Unterschrift und Siegel den Ehevertrag, hier Magdalena Wirstin 1766, der in diesem Fall der Stadtgerichtsvorsteher zugleich als Zeuge beistand. (Quelle: Salzburger Landesarchiv)

Im „Heuraths Vertrag“ zwischen dem Innsbrucker Magistratsbediensteten Martin Tschurtschenthaler und Josepha Penz von 1806 sicherte der Bräutigam seiner zukünftigen Braut im Falle seines Todes neben einer Witwenpension Quartier „im ersten Stoke mit Keller und Holzlege“ zu, außerdem „hat Selbe freien Aus und Eingang in den Garten, und was Selbe an Kräutelwerk und Obst zu Ihrer Haus-Wirthschaft bedarf, ist Selber unentgeltlich und ohne Wieder Rede aus dem Garten zu verabfolgen“. In Eheverträgen festgehaltene Regelungen wie diese waren vor der Einführung des ABGB – das übrigens erst in den 1970er Jahren im Sinne der Gleichberechtigung reformiert wurde – die Regel. Erst durch spätere Vorstellungen von romantischer Liebe und der ab 1812 klaren Rollendefinition von Mann und Frau in der Ehe wurden sie seltener, was in einigen Fällen zu einer Verschlechterung der güterrechtlichen Stellung der Frau führte. „Besonders im bäuerlichen Umfeld gab es unglaubliche Widerstände gegen das ABGB. Familien- und eherechtlich war die sogenannte ‚Vormoderne‘ nämlich bereits um einiges weiter“, erläutert Prof. Gunda Barth-Scalmani, Historikerin an der Universität Innsbruck. Das belegen zahlreiche Eheverträge aus der Zeit vom 17. bis zum 19. Jahrhundert, die Gunda Barth-Scalmani zusammen mit drei Kolleginnen unter anderem hinsichtlich ihrer praktischen Bedeutung für das Verhältnis zwischen Mann und Frau untersucht hat. Der Raum Alttirols ist etwa ein Gebiet, in dem die Verbesserungen der güterrechtlichen Stellung der Frau bereits durch das Josephinische Gesetzbuch und dann durch das ABGB zu tragen kamen.

Ehevertrag als Regel

„Heute haftet Eheverträgen fast ein Geruch von Unanständigkeit an“, sagt Gunda Barth-Scalmani. Eheverträge erfüllten aber über lange Zeit einen klaren Zweck: Güterrechtliche Interessen, die natürlich auch damals bei jeder Eheschließung eine Rolle spielten, wurden im Vorfeld geklärt – auch und besonders für den Fall des Todes eines der Ehepartner. Die Historikerinnen Gunda Barth-Scalmani, Margareth Lanzinger, Ellinor Forster und Gertrude Langer-Ostrawsky haben in vier Detailstudien Heiratsverträge aus vier unterschiedlichen Gebieten mit vor dem ABGB noch unterschiedlichen Rechtslagen untersucht: Den Bereich des Stadt- und Landrechts um und in Innsbruck, die Stadt Salzburg, die Südtiroler Gerichte Innichen und Welsberg und ausgewählte niederösterreichische Herrschaften. „Wir haben hier eine breite Mischung aus ländlich und bäuerlich geprägten Gegenden einerseits und städtischen Gebieten andererseits, in denen wir vor allem Materialien des wirtschafltich heterogenen Bürgertums untersuchen konnten“, erklärt Gunda Barth-Scalmani. Der daraus resultierende Sammelband „Aushandeln von Ehe“ ist Ende 2010 im Böhlau-Verlag in der Reihe „L´Homme: Archiv“ erschienen.

Hauptthema der Eheverträge war, wie meist auch heute noch, die Aufteilung von gemeinsam erarbeitetem und vor der Ehe vorhandenem Vermögen nach dem Tod eines der Ehepartner. „Als grobe Linie haben wir festgestellt, dass in Salzburg und in Niederösterreich eher Gütergemeinschaft vorherrschte und in Tirol vor allem Gütertrennung“, erläutert Gunda Barth-Scalmani. Das hatte teils weitreichende Auswirkungen: Bei vereinbarter Gütertrennung fiel das Vermögen eines verstorbenen Ehepartners meist, je nach Vereinbarung, an die eigene überlebende Verwandtschaft oder an die Kinder, nicht an die Witwe oder den Witwer. Umgekehrt sah Gütergemeinschaft meist auch die Fortführung eines gemeinsamen Geschäfts durch den überlebenden Partner vor. Darüber hinaus gab es auch Mischformen: Manche Vermögensteile blieben in der Ehe getrennt, Frauen behielten hier die Verfügung, andere Dinge waren gemeinschaftlich geregelt. Eheverträge waren häufig auch generationenübergreifend ausgelegt und beinhalteten Vorkehrungen für die Eltern der Ehepartner und künftige Kinder des Paares.

Ehepaar als Arbeitspaar

„Damals herrschte ganz massiv die Vorstellung vor, dass ein Ehepaar auch immer ein ‚Arbeitspaar‘ ist“, sagt Gunda Barth-Scalmani: „Genauso, wie das Paar nur gemeinsam funktioniert, funktioniert auch die Arbeit im Geschäft oder am Bauernhof nur gemeinsam.“ Diese Vorstellung trat im Lauf des 19. Jahrhunderts in den Hintergrund, auch durch Einführung des ABGB: Die strikte Trennung von Arbeits- und Privatleben brachte getrennte Sphären mit sich – und hier war die Arbeit Männersache, während Frauen die private Sphäre und damit den Haushalt überhatten. „Diese Trennung der Lebensbereiche war bei Inkrafttreten des ABGB als Lebensform in der absoluten Minderheit“, erklärt Gunda Barth-Scalmani. „Erst später hat sich diese im ABGB festgeschriebene Vorstellung bis in einzelne Familien hinein verfestigt.“ Die Vorstellung der „Arbeitsgemeinschaft“ mit Vorkehrungen auch für die Elterngeneration ist vor allem in der Landwirtschaft noch heute vorhanden: Bei Übernahme eines Bauernhofs durch den Sohn oder die Tochter sind immer die Eltern im Blick, sogenannte „Austraghäuser“ als Altersunterkunft gibt es häufig. „Nicht zuletzt aufgrund dieser sehr langen Tradition waren 1812 die Widerstände gegen das ABGB im bäuerlichen Umfeld am stärksten“, erklärt Gunda Barth-Scalmani.

Die alten Eheverträge kennen zudem den Begriff des gemeinsamen „Erhausens“, in dem sich das Verständnis der Arbeitsgemeinschaft widerspiegelt: Das gemeinsam Geschaffene gehört beiden Ehepartnern und beide haben ein Anrecht darauf. „Die Stellung der Frau war nicht von vornherein schlechter als die des Mannes, so wie es später der Fall war“, erklärt Gunda Barth-Scalmani. „Die Stellung in der Ehe war viel stärker von der wirtschaftlichen Lage der Braut und weniger vom Geschlecht abhängig.“

Dieser Artikel ist in der aktuellen Ausgabe von wissenswert – dem Magazin der Universität Innsbruck in der Tiroler Tageszeitung – erschienen. Weitere interessante Beiträge rund um Lehre und Forschung an der Universität Innsbruck finden Sie in der Online-Ausgabe von wissenswert.