Kopf der Woche: Ronald Micura

Mit seinen 34 Jahren ist Univ.-Prof. Dr. Ronald Micura vom Institut für Organische Chemie der Leopold-Franzens-Universität der jüngste Professor, der an unserer Alma Mater tätig ist. Die wissenschaftlichen Arbeiten des Novartis-Preisträgers 2003 sind der "Chemischen Biologie" zuzuordnen und stellen eine Symbiose aus organisch-chemischer ("künstlicher") Synthese und (RNA-) biologisch relevanten Fragestellungen dar. Micura war auch einer der insgesamt zehn Preisträger des erst kürzlich von der LFU vergebenen Nachwuchsförderungspreises.
Ronald Micura
Ronald Micura

Die Forschungsschwerpunkte des in Linz geborenen Wissenschaftlers liegen in erster Linie auf dem Gebiet der Entwicklung von Synthesemethoden zur Darstellung chemisch modifizierter RNA.
Zwar wurde mittlerweile die Struktur der Ribosomen entschlüsselt, doch noch immer gibt es viele Fragen, z. Bsp. wie die Abläufe des Ablesens der Boten-RNA (messenger RNA, mRNA) und die der Produktion der Proteine erfolgen. Micura hat dazu Modelle aus künstlich hergestellten RNA-Ketten (Oligoribonukleotide) entwickelt, mit denen man die Paarungseigenschaften von Codon- und Anticodon-Komplexen untersuchen kann. "Diese Modelle stellen eine extreme Vereinfachung des tRNA/mRNA Ablesevorgangs am Ribosom dar. Durch diese Reduktion kann aber der Blick für das Wesentliche geschärft werden", erklärt der Chemiker die spezielle Funktion seiner Modelle.
Seine Modellverbindungen sind ein wichtiger Beitrag, vor allem für das Verständnis der molekularen Details von Unregelmäßigkeiten während des ribosomalen Ableseprozesses. Micura: "Am Ribosom kommt es gelegentlich zu einer Verschiebungen des "Leserahmens" der Boten-RNA. Verschiebt sich dieser nur um einen Basenbestandteil, kann das zur Produktion eines anderen Proteins (gegebenenfalls mit Fehlfunktion!) führen."

Chemische Biologie von Nukleinsäuren
Für die breite Öffentlichkeit ist die Desoxyribonukleinsäure (DNA) 50 Jahre nach ihrer Entdeckung und drei Jahre nach der Entschlüsselung des menschlichen Genoms ein Begriff. Doch in ihrem Schatten steht ein strukturell nahe verwandtes Molekül, das im Grunde genau so viel Bedeutung für das Leben besitzt: die Ribonukleinsäure (RNA).

Die enorme funktionelle Bedeutung von sehr kleinen RNA Molekülen, die aus nur 20 bis 25 Basenbestandteilen bestehen, wurde erst in den vergangenen vier Jahren erkannt. Diese Moleküle sind für das spezifische Stilllegen (Ausschalten) von Genen in den unterschiedlichsten Organismen verantwortlich. Kleine RNAs (small RNAs) wurden daher vom anerkannten Fachjournal Science im Jahr 2002 als die "Moleküle des Jahres" benannt. Das hier zugrunde liegende Phänomen bezeichnet man als RNA-Interferenz, es ist mittlerweile das wichtigste Werkzeug der Gen-Funktions-Analyse geworden.

Ein weiterer Forschungsschwerpunkt von Prof. Micura ist die sogenannte "Gestaltänderung der RNA". Micura: "Die RNA ist viel flexibler als man ehemals annahm und kann eine Vielzahl von Gestalten annehmen." Seine Untersuchungen zeigten unter anderem, dass Modifikationen der Basenbestandteile (zum Beispiel Methylierungen) einen direkten Einfluss auf die Art der Faltung der RNA haben.
Micura bewies auch, dass bereits sehr kurze RNAs (wie sie beim Phänomen der RNA-Interferenz von Bedeutung sind), gleichzeitig in verschiedenen, aber wohl definierten Formen vorliegen können. Seine Arbeitsgruppe hat hierzu eine einfache experimentelle Methode entwickelt, mit der sich das ambivalente Aussehen der Moleküle exakt bestimmen lässt.
Darüber hinaus entwickelt die Arbeitsgruppe von Micura RNA-Moleküle mit künstlichen Modifikationen, die als "chemische Schalter" dienen und mit deren Hilfe das Aussehen der RNA steuerbar gemacht werden soll.

Die Röntgenkristall-Strukturanalyse
Nach der Erforschung des zweidimensionalen Aussehens der RNA widmeten sich die Arbeiten Micuras der Bestimmung der dreidimensionalen Struktur solcher Moleküle. Auf diesem Gebiet arbeitet er in Kooperation mit Prof. Dinshaw Patel vom Sloan-Kettering Memorial Cancer Center in New York: "Hier wird die Röntgenstruktur-Analyse verwendet, bei der man über das Beugungsmuster der Röntgenstrahlen nach Durchgang durch kristallisierte RNA Rückschlüsse auf das dreidimensionale Aussehen zieht."
Einen wesentlichen Beitrag würde hier das künstliche Einfügen schwerer Atome in die RNA darstellen, um die 3D-Struktur leichter erkennbar zu machen. In diesem Zusammenhang entwickelt Micura Synthesemethoden zu Herstellung von Ribonukleinsäuren, die auch Selen enthalten. Erste Erfolge konnten auch auf diesem Gebiet erzielt werden: "Die Struktur eines in vitro-selektionierten Ribozyms, dessen Kristallisierbarkeit seit vier Jahren bekannt war, konnte erst auf Basis der Selen-Modifikationen aus unserem Labor gelöst werden und wird in Kürze in einem hochrangigen Fachjournal zur Publikation eingereicht werden," berichtet Micura stolz.

Zur Person
Ronald Micura, am 7. Mai 1970 geboren, hat an der Universität Linz Chemie studiert und 1995 in organischer Chemie promoviert. Von 1996 bis 1997 arbeitete er unter anderem als Schrödinger Stipendiat an der ETH Zürich bei Prof. Albert Eschenmoser und von 1998 bis 2000 am Skaggs Institute of Chemical Biology (TSRI) in San Diego (USA). Seine eigenen Forschungsarbeiten begannen 1999 im Rahmen eines APART-Stipendiums der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. 2002 habilitierte er sich im Fach Organische Chemie an der LFU. Nach Listenplätzen für Professuren an der Universität Konstanz und der Universität Tübingen folgte er schließlich dem Ruf als ordentlicher Professor am Institut für Organische Chemie.