Gastkommentar: Paolo Pace erläutert „Second Life“ aus Sicht der Marketingforschung

Paolo Pace ist ein Avatar und damit ein echter Insider was „Second Life“ anbelangt. Hinter dem virtuellen Charakter steht Dr. Marius Lüdicke. Er und sein Team erforschen am Institut für Strategisches Management, Marketing und Tourismus unter anderem die sozialen und ökonomischen Aspekte von „Second Life“.
Paolo Pace
Dr. Lüdickes Avatar Paolo Pace.

Die virtuelle Welt „Second Life“ und die sich darin rasant entwickelnden sozialen und ökonomischen Systeme werden seit über einem Jahr von internationalen Medien ausgiebig diskutiert. Die Medienberichte zeugen von Dollar-MillionärInnen, erfolgreichen Unternehmen, neuartigem online Tourismus und virtuellen MBA Studiengängen, inzwischen aber auch von jenen dunklen Seiten der neuen Gesellschaft, die dem Second Life die spielerische Unschuld genommen haben.

 

Nach einer beachtlich langen Entdeckungsreise berichten einige Kommentatoren nun „vom Ende überzogener Erwartungen“, nach dem sich laut Gardner Life Cycle-Modell eine neue Technologie der profanen Realität von Erfolgsberechnungen stellt.

 

Was bietet das Second Life aus nüchterner Distanz für ein Institut für Strategisches Management, Marketing und Tourismus? Im Second Life verdient nicht nur der Anbieter Linden Lab mit Inselmieten echtes Geld, die den Preis eines einfachen Studentenzimmers übersteigen, sondern auch bereits Programmierer, Designer und Händler, die virtuelle Personen (Avatare) mit virtuellen Abendkleidern, Häusern, Geschlechtsteilen, oder Autos versorgen. Es entstehen neue Formen von Finanzmärkten, neue Sekundärmärkte für Beratung und Entwicklung und vor allem neue Kopplungsmöglichkeiten von realen und virtuellen Welten in beinahe allen Bereichen des täglichen Lebens und Arbeitens. Unternehmen interessieren sich deshalb für das erste global verfügbare und individuell gestaltbare „Metaverse“. Wer frühzeitig Erfahrungen mit der neuen Medienform sammelt, so die These, wird im Zuge der Weiterentwicklungen von diesen Erfahrungen profitieren.

 

Die Pioniere im Second Life beschäftigen viele unbeantwortete Fragen. Ist „User Innovation“ im Second Life möglich? Können Kunden motiviert werden in der virtuellen Welt ihre Wunschprodukte zu gestalten, die dann von Unternehmen produziert und verkauft werden? Wie steht es mit der Werbe-Effizienz? Können Produkte, wie z.B. Kleidung oder Urlaubsreisen, in Metaversen effektiver beworben, besser ausprobiert und individueller angepasst werden als auf zweidimensionalen Webseiten oder in Geschäften? Funktionieren Marken im Second Life und wenn ja, wie? Wie sieht es mit dem Potential der 3D Plattformen für virtuelle Zusatzleistungen aus? Kann man einen kurzen Urlaub z.B. virtuell verlängern und nach der Reise mit neuen Freunden am virtuellen Urlaubsort im Metaverse zusammen treffen und dort eventuell noch mehr Geld ausgeben?

 

Um diese Fragen zu untersuchen hat das Institut für Strategisches Management, Marketing und Tourismus den „ui2campus“ im Second Life aufgebaut. Mit Hilfe des studentischen Start-up Unternehmens Avaty wurde das Gebäude der Fakultät für Betriebswirtschaft virtuell schematisch nachempfunden. Auf der Insel „Ballers City“, die im Rahmen eines Dissertationsprojektes an unserer Universität entwickelt wird und schon jetzt in die Top 10 der weltweit meist besuchten Second Life Inseln aufgestiegen ist, wird der „ui2campus“ nun als Plattform für Forschungsprojekte und für die Lehre genutzt (mehr Information unter: http://ui2blog.wordpress.com/).

 

Basierend auf unseren bisherigen Erfahrungen mit Second Life am Institut bescheinigen wir Metaversen wie Second Life in der Zwischenbilanz eine viel versprechende Zukunft. Die derzeit noch unbefriedigende grafische Performanz der aktuell verfügbaren virtuellen Welten wird voraussichtlich mit besseren Anwendungen und schnelleren Internetverbindungen bald überwunden sein. Da virtuelle Welten die Vorteile des Internet mit einem geringen Abstraktionsbedarf und einem Präsenz- und Raumgefühl in sozialen Interaktionen verbinden, haben 3D Plattformen das Potential, das Internet in diversen Anwendungen sinnvoll zu komplementieren. Nach Aussagen unserer Studierenden, mit denen wir bereits im Frühjahr 2007 einen Kurs im Second Life abgehalten haben, wirkt eine Vorlesung auf dem ui2campus schon jetzt realistischer und menschlicher als ein Chat im e-campus, eine Produktpräsentation im Second Life wirklicher als ein Foto im Internet und ein Besuch im Adidas Second Life Store eindrücklicher als ein Besuch der Firmenwebsite.

 

Die Entwicklung des Second Life geht mit der Einführung von 3D Audio noch diesen Sommer in die nächste Runde. Mit der Möglichkeit zu sprechen anstatt nur zu schreiben und Lautstärken in Abhängigkeit von Entfernungen zu skalieren, wird eine weitere Barriere auf dem Weg zu einem komplexen Realitätsempfinden in digitalen Welten aufgehoben. Wir bleiben gespannt und erkunden weiterhin mit Neugierde die Potentiale digitaler Welten für Unternehmen, Forschung und die universitäre Lehre.