Gastkommentar Prof. Josef C. Aigner: Neue Schulen braucht das Land

Ganztagsschule, Gesamtschule, Pädagogische Hochschulen: Eine historische Chance für die Schule.
Prof. Josef C. Aigner, Inst. f. Erziehungswissenschaften
Prof. Josef C. Aigner, Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck.

Es ist erfreulich, dass Bildungsministerin Claudia Schmied den vom ideologischen Bannstrahl ihrer Vorgängerin   getroffenen PISA-Österreich-Chef Günther Haider wieder ins Schulreform-Boot holt. Mit ihm steht ein Fachmann zur Verfügung, der innerhalb der österreichischen Erziehungswissenschaft eigentlich frei von jeglichem Ideologie-Verdacht ist und Entwicklungen wie die zur Gesamtschule sozusagen „empirisch-neutral“ begleiten kann.

Aber es wird zu wenig sein, die anstehenden Reformen rein schulpädagogisch zu forcieren: allein schon der Ruf nach ganztägig betreuten Schulformen birgt nicht nur die Notwendigkeit, sondern auch die große Chance in sich, die bislang „verfeindeten Schwestern der Pädagogik“ – nämlich Schulpädagogik und Sozialpädagogik – zu versöhnen und kooperativ zusammenzuführen. Will die Ganztagsschule mehr sein als eine erweiterte Paukanstalt, so müssen Konzepte und Überlegungen greifen, die neben der Unterstützung lernschwächerer, zu Hause wenig geförderter Kinder auch Angebote sozialen, kulturellen, ja interkulturellen Lernens für alle mit einbeziehen.

 
Ausbildungsnotstand

Die Ganztagsschule darf keine plumpe Addition von bisheriger Vormittagsschule plus neuer Nachmittagsschule werden; sie darf auch nicht überzählige LehrerInnen zu diskriminierenden Gehaltsbedingungen als Aufseher und Nachhilfskräfte missbrauchen; sie muss dagegen intelligente, abwechslungsreiche pädagogisch sinnvolle Sequenzen von „Lernen“ im weitesten Sinn über den ganzen Tag verteilen. Sie hat die Chance, eine wirkliche „Lebens-„ und keine prolongierte Lernschule zu werden. In ihr können SchülerInnen, Eltern, Fachkräfte aus dem Sozialbereich, Hortträger etc. kooperativ tätig werden, um die heute so oft beklagten Probleme, die Kinder in die Schule mitbringen, anders als bisher anzugehen.

Dazu aber sind LehrerInnen eigentlich nicht ausgebildet – bis jetzt nicht! Hier bietet quasi zufällig der Umbruch von den Pädagogischen Akademien zu den Pädagogischen Hochschulen – will er mehr als Etikettenschwindel sein - die Chance, ganz neue Lehrpläne zu entwickeln, die diesen Anforderungen gerecht werden. Dass dies von der Schulpädagogik allein nicht geleistet werden kann, liegt auf der Hand. Es gilt, die eingeschliffenen Gräben zwischen Schul- und Sozialpädagogik zu überwinden: die SozialpädagogInnen schimpfen auf die LehrerInnen und ihre mangelnden sozialen Kompetenzen, letztere wiederum verwehren sich zu Recht gegen besserwisserische Einmischung von außen in das komplizierte System Schule. Dieser Zwist soll der Vergangenheit angehören. LehrerInnen sollten über noch so gekonnte Wissensvermittlung hinaus in einem breiteren Sinn zu Kindheits-ExpertInnen ausgebildet werden.

 

Netzwerke für Kinder

Kinder und Jugendliche haben’s heute nicht leicht, Sicherheit, Halt, Orientierung und Zukunftszuversicht zu entwickeln. Die broken-home-Situationen, diversifizierte Familienverhältnisse, Stress und Zeitmangel für die Kinder usw. sind Legende. Lehrer, wie sie sich bisher sahen, sind oft überfordert mit derartigen Problemkonstellationen. Die Burn-out- und Frühpensionierungsrate von Lehrkräften spricht Bände. In dieser Situation sollte Schule ein neuer Lern- und Lebensort für Kinder und Heranwachsende werden, wo in sinnvollen Sequenzen von schulischem Unterricht, kulturellem Engagement, sozialem Lernen und entsprechenden Hilfsangeboten für Kinder, die’s besonders schwer haben (ob aus sozialen, fremdkulturellen oder Behinderungsgründen) der Tag gestaltet wird. Dort, wo es Not tut, sollen Netzwerke mit Schulsozialarbeit, Erziehungsberatung und Jugendhilfe gebildet werden. Eltern sollten in kreativer Weise - zu mehr als nur mütterlichem Kuchenbacken beim Elternsprechtag - mit eingebunden werden, und hier   insbesondere die Väter. Auch dem erschreckenden Männnermangel unter Pflichtschullehrern müssen Kampagnen und Fördermaßnahmen entgegengesetzt werden, um die ohnehin steigenden Verweiblichung öffentlicher Erziehung (oft zum Schaden der Buben) zu lindern.

 
KindheitsexpertInnen

In Innsbruck arbeiten Universität und die neue PH schon gemeinsam an einem Projekt zur Erforschung und Linderung dieses Mangels an männlichen Lehrkräften zusammen. Ebensolche Zusammenarbeit braucht es in anderen sozialpädagogischen Fachbereichen, die Kindheit unter verschiedensten, nicht nur schulischen und Lern-Gesichtspunkten sehen. Spielen (heute keine Selbstverständlichkeit mehr!), soziale Kompetenzen, Gruppenarbeit, Rücksicht auf die Schwachen und anderes mehr können an diesem Ort gelernt und geübt werden.

Die neuen Curricula sollten diese Breite, die LehrerInnen zu Kindheits-Experten macht, in Aus- und Fortbildung widerspiegeln. Derart ausgebildete LehrerInnen werden dann selbst sehen, dass auch die gemeinsame Schule bis 14 ein Gebot der pädagogischen Vernunft, Fairness und Förderung ist. Und sie werden einen anderen Status beanspruchen, der ihrer verantwortlichen und gesellschaftlich höchst wertvollen Arbeit, die sie wie andere mit Kindern befassten Berufe ausüben, gerechter wird. Auch in der Entlohnung. Das (aber - wie man in anderen Ländern sieht - nicht nur das!) könnte auch für Männer wieder ein stärkerer Anreiz sein, diesen Beruf anzustreben.

Somit bleibt zu hoffen, dass Frau Bundesministerin Schmied nicht nur bei Kollegen Haider Rat holt, sondern bei einem Konsortium von Fachleuten, das in der Lage ist, diese kühne, aber chancenreiche Vision von Schule schrittweise Wirklichkeit werden zu lassen.

(Dieser Kommentar wurde im Standard vom 10.04.07 veröffentlicht)