Gastkommentar: Ass.-Prof. Dr. iur. Walter Obwexer: Hält die Quotenregelung für Medizin?

Am 26. Jänner 2007 hat die Europäische Kommission mit einem Mahnschreiben ein zweites Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich wegen des Universitätszugangs eingeleitet. Im Mittelpunkt steht die Quotenregelung für Humanmedizin und Zahnmedizin; indirekte Auswirkungen könnte das Verfahren aber auch für die LFU haben.
Ass.-Prof. Dr. iur. Walter Obwexer
Ass.-Prof. Dr. iur. Walter Obwexer

Mit Urteil vom 7. Juli 2005 stellte der EuGH fest, dass Österreich gegen seine Verpflichtungen aus dem Gemeinschaftsrecht (insb aus den Artikeln 12, 149 und 150 EGV) verstoßen hat, da nicht die erforderlichen Maßnahmen getroffen wurden, um sicherzustellen, „dass die Inhaber von in anderen Mitgliedstaaten erworbenen Sekundarschulabschlüssen unter den gleichen Voraussetzungen wie die Inhaber von in Österreich erworbenen Sekundarschulabschlüssen Zugang zum Hochschul- und Universitätsstudium in Österreich haben“ (Rs C-147/03, Kommission/Österreich, Slg 2005 I-5969). Gegenstand des Verfahrens war die zunächst in § 36 Abs 1 UniStG vorgesehene und nunmehr in § 65 Abs 1 UG 2002 enthaltene „besondere Universitätsreife“.

 

In Reaktion auf dieses Urteil wurde unverzüglich eine Novelle zum UG 2002 beschlossen (BGBl I Nr 77/2005), die am 29. Juli 2005 in Kraft getreten ist. Damit wurden die Universitäten ermächtigt, für einen Übergangszeitraum von drei Jahren, nämlich vom Wintersemester 2005/06 bis einschließlich Wintersemester 2007/08, den Zugang zu bestimmten, vom deutschen Numerus clausus betroffenen Studien – entweder durch ein Aufnahmeverfahren vor der Zulassung oder durch die Auswahl der Studierenden bis längstens zwei Semester nach der Zulassung – zu beschränken (§ 124b UG).

 

Für die LFU wurde mit Verordnung des Rektorats Ende September 2005 eine Zulassungsregelung gemäß § 124b UG festgelegt (Mitteilungsblatt der Universität Innsbruck Nr 207/2005). Darin wird der Zugang zu folgenden Studien in Form eines Auswahlverfahrens nach der Zulassung beschränkt: Bakkalaureatsstudium Biologie, Diplomstudium Pharmazie, Diplomstudium Psychologie, Diplomstudium Betriebswirtschaft (einschließlich der Diplomstudien Internationale Wirtschaftswissenschaften, Volkswirtschaft und Wirtschaftspädagogik). Das Auswahlverfahren wird aber nur dann durchgeführt, wenn in einem der betreffenden Studien die Anzahl der Zulassungen die festgesetzten Kapazitäten nicht nur geringfügig übersteigt.

 

Für die MUI wurde am 5. Juli 2005 mit Verordnung des Rektorats über das Verfahren der Zulassung zum Studium (Mitteilungsblatt der Universität Innsbruck Nr 155/2005) eine Vorerfassung der Daten („Bewerbung“) und die Vergabe der Studienplätze nach dem Prinzip „first come, first served“ festgeschrieben.

 

Der unverhältnismäßig hohe Anteil von „Numerus clausus-Flüchtlingen“ aus Deutschland an der Gesamtzahl der Studienanfängerinnen und Studienanfänger bestimmter Studien, insb Humanmedizin und Zahnmedizin, führte Anfang Juni 2006 zu einer neuerlichen Novelle des UG 2002 (BGBl I Nr 74/2006). Dabei wurde die Bundesministerin oder der Bundesminister ermächtigt, durch Verordnung jene Studien festzulegen, bei denen ein erhöhter Zustrom von Inhaberinnen und Inhabern nicht in Österreich ausgestellter Reifezeugnisse gegeben ist. In diesen Studien sind 95% der jeweiligen Gesamtstudienplätze für Studienanfängerinnen und Studienanfänger den EU-Bürgerinnen und EU-Bürgern vorbehalten; 75% der Gesamtstudienplätze stehen Inhaberinnen und Inhabern in Österreich ausgestellter Reifezeugnisse zu („Quotenregelung“). Gestützt auf diese Ermächtigung wurden Ende Juni 2006 mit Verordnung der zuständigen Bundesministerin die Diplomstudien Humanmedizin und Zahnmedizin als Studien festgelegt, in denen einer schwerwiegenden Störung der Homogenität des Bildungssystems begegnet werden muss (BGBl II Nr 238/2006, idF BGBl II Nr 345/2006).

 

Diese Quotenregelung stellt nach Ansicht der EU-Kommission keine ordnungsgemäße Erfüllung des EuGH-Urteils vom 7. Juli 2005 dar. Davon ausgehend hat sie vor wenigen Tagen ein zweites Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich eingeleitet (Art 228 Abs 2 EGV) und als ersten Schritt ein „Mahnschreiben“ nach Wien geschickt. Österreich hat nun 2 Monate Zeit, zu den darin enthaltenen Vorwürfen Stellung zu nehmen und diese – soweit möglich – zu entkräften. Gelingt Österreich dies nicht, wird die Kommission einige Monate später eine mit Gründen versehene Stellungnahme nach Wien senden und Österreich auffordern, innerhalb von 2 Monaten dem EuGH-Urteil vollständig nachzukommen. Sollte Österreich dieser Aufforderung nicht fristgerecht nachkommen, so kann die Kommission Klage beim EuGH erheben. In diesem Fall hat sie dem EuGH auch die Höhe des gegen Österreich zu verhängenden Pauschalbetrages oder Zwangsgeldes vorzuschlagen (Tages-Zwangsgeld von mindestens 2.904 Euro und höchstens 174.240 Euro). Mit einem Urteil des EuGH wäre Mitte/Ende 2009 zu rechnen.

 

In einem allfälligen Verfahren vor dem EuGH hätte Österreich durchaus Chancen, seine „Quotenregelung“ für Medizin und Zahnmedizin „durchzusetzen“. Die mit dieser Regelung unbestreitbar verbundene indirekte Diskriminierung von EU-Ausländern – die Quote von 75% ist zwar unterschiedslos auf alle EU-Bürger anwendbar, wirkt sich durch das Abstellen auf ein in Österreich ausgestelltes Reifezeugnis aber stärker auf Angehörige anderer Mitgliedstaaten als auf österreichische Staatsangehörige aus – kann nämlich – wie der EuGH nicht zuletzt in seinem Urteil vom 7. Juli 2005 feststellte – gerechtfertigt werden, wenn sie auf objektiven, von der Staatsangehörigkeit der Betroffenen unabhängigen Erwägungen beruht und in einem angemessenen Verhältnis zu einem legitimen Zweck steht, der mit den nationalen Rechtsvorschriften verfolgt wird. Als objektive Erwägungen kommen sowohl die öffentliche Gesundheit einschließlich der Wahrung einer ausgewogenen, allen zugänglichen und auf hohem Niveau stehenden ärztlichen Versorgung der Bevölkerung als auch das Recht auf Bildung der Inhaberinnen und Inhaber in Österreich ausgestellter Reifezeugnisse in Betracht. Die Quotenregelung ist zweifelsfrei geeignet, diese beiden Ziele zu erreichen, und geht wohl auch nicht über das hinaus, was zur Zielerreichung erforderlich ist. Eine Eignungsprüfung ist nämlich, wie die Ergebnisse des EMS-Tests zeigen, für sich allein nicht geeignet, die vorstehenden Ziele zu erreichen. Im Wintersemester 2006/07 wären nur 46% der in Wien und Innsbruck vorhandenen 1.140 Plätze für Studienanfänger an Inhaberinnen und Inhaber von in Österreich ausgestellten Reifezeugnissen gegangen, obwohl Österreich zur Aufrechterhaltung seines Gesundheitssystems jährlich etwa 1.100 Absolventinnen und Absolventen der Human- und Zahnmedizin benötigt.

 

Für die LFU entfaltet das eingeleitete Vertragsverletzungsverfahren gegen Österreich keine direkten Auswirkungen. Auswirkungen könnten sich aber indirekt dann ergeben, wenn Österreich wegen dieses Verfahrens die zeitlicht befristete Zugangsregelung im UG 2002 (§ 124b) für (alle) Universitäten vorzeitig ändern sollte.