Gastkommentar: Dr. Andreas Exenberger zur politischen Ökonomie des Atomstreits

Nun liegt also der Bericht der IAEO über das Atomprogramm der Islamischen Republik Iran vor. Die Krise, der „Atomstreit“ zwischen dem Iran und dem Westen, ist damit prolongiert worden, ein Gewaltakt von unkalkulierbarer Tragweite rückt näher, oder zumindest die Verhängung von Sanktionen, denn die Eskalation gehorcht einer polit-ökonomischen Logik.
Der Einsatz von Atomwaffen hat furchtbare Auswirkungen von globaler Reichweite.
Der Einsatz von Atomwaffen hat furchtbare Auswirkungen von globaler Reichweite.

Zwanzig Jahre nach der Katastrophe von Tschernobyl muss man über das zerstörerische Potential der Atomkraft zwar wieder diskutieren, weil die Erinnerung offenbar allzu blass geworden ist. Viele erkennen in ihr sogar einen Ausweg aus der Klimafalle, daher steigt auch die finanzielle Unterstützung wieder (nicht zuletzt durch die EU). Nichtsdestoweniger bleibt diese Hoffnung trügerisch, weil in die Effizienzberechnungen der Atomkraft die immensen Folgekosten unverändert nicht eingerechnet werden und auch ihr Rohstoff, das Uran, nicht unendlich zur Verfügung steht. Dass der Einsatz von Atomwaffen furchtbare Auswirkungen von globaler Reichweite hat, wird aber selbst von Verfechtern der Atomenergie nicht bestritten. Zumindest „die Bombe“ hat wegen ihrer weithin anerkannten Zerstörungs- und Verschmutzungskraft unverändert eine apokalyptische Dimension.

 

Ist also schon das Streben nach Atomkraft problematisch, ist es das Streben nach Atombomben noch weitaus mehr. Daher ist durch den Atomwaffensperrvertrag die Nutzung der Atomenergie auf den friedlichen Bereich beschränkt. Das garantiert freilich zugleich seinen Unterzeichnern (darunter dem Iran) das Recht auf eine solche Nutzung. Und nimmt man nun das iranische Programm als das, was es – bislang jedenfalls – ist, nämlich als ziviles Nuklearprogramm, dann erschließt sich schnell dessen ökonomischer Nutzen. Eine Diversifikation der Energieversorgung (Ersatz von eigenem Öl durch eigenes Uran) ist für den bereits relativ industrialisierten Iran ökonomisch sehr sinnvoll, wenn nicht sogar notwendig. Dazu kommen technologische „Spill-over“-Effekte, also die Nutzung von Erkenntnissen aus der Atomforschung auch in anderen Bereichen.

 

Nun kann man durchaus unzufrieden damit sein, dass ein Schwellenland sich aus der Abhängigkeit von der Rohstoffproduktion immer mehr löst und damit seine Erpressbarkeit abbaut. Das aber wäre ein Argument gegen das Atomprogramm, das in der Öffentlichkeit nicht ohne weiteres kommunizierbar ist. Zudem geraten die Atomstaaten im Westen (vor allem Frankreich und die USA, aber auch Großbritannien, Deutschland und andere) in einen Argumentationsnotstand. Warum soll der Iran nicht dürfen, was für sie selbstverständlich und was ihm auch vertraglich zugesichert ist? Also muss etwas anderes als Begründung für die Ressentiments herhalten: das mangelnde Vertrauen, dass der Iran ein ausschließlich friedliches Atomprogramm unterhalten würde. Das aber ist hochproblematisch, weil „Vertrauen“ ein völlig willkürliches Kriterium ist. Es zur Bedingung zu erklären, ist bequem für den, der fordert, weil es intransparent und einseitig ist. Völlig egal, wie weit das Entgegenkommen geht, Vertrauen kann trotzdem verweigert werden. Das Vordingen solcher weichen, dehnbaren Kriterien in den internationalen Beziehungen ist aber seit einiger Zeit zu bemerken. Es spiegelt Unilateralismus wider, nach dem Motto: wer nicht für mich ist, ist gegen mich, und was es braucht, damit man für mich ist, das entscheide ich im Einzelfall.

 

Damit stehen wir mitten im strategischen Spiel der Abschreckung. Dabei wird schnell deutlich, dass das Streben nach Atomwaffen einer „politischen Ökonomie“ gehorcht. Nordkorea ist dafür ein Musterbeispiel. Die Diktatur des Kim Jong-il hat um den Preis von Millionen Hungertoten und weitgehender Isolation nahezu hundertprozentige innenpolitische Stabilität und eine gewisse wirtschaftliche Manövriermasse erreicht. Das Ausland muss auf die glaubwürdige militärische Bedrohung in einer weltwirtschaftlich so sensiblen Region mit Zugeständnissen reagieren. Zugleich hätte ein Aufstand im Lande aufgrund des gut organisierten Militärs nur eine reelle Chance, wenn er vom Ausland unterstützt würde. Eine solche Intervention kommt aber wegen des Drohpotentials nicht in Frage. Selbst die konventionelle Bewaffnung Nordkoreas reicht mehrfach aus, um Seoul zu zerstören, und Atomsprengköpfe können Tokio erreichen.

 

Das Beispiel ist nicht einzigartig, Pakistan etwa folgt demselben Muster. Auch dort wird ein autoritäres und politisch unzuverlässiges Regime geduldet, weil man es im „Krieg gegen den Terror“ braucht und der Besitz von Atomwaffen eine direktere Einmischung in dessen „innere Angelegenheiten“ verhindert. Um das zu erreichen, hat die Regierung Ressourcen in die Atomforschung umgelenkt, mit der Folge, dass im Land Hunger herrscht und die Atommacht im Gefolge der jüngsten Erdbebenkatastrophe an der Versorgung der Betroffenen mit dem Allernötigsten kläglich gescheitert ist. Jedoch kann Pakistan (wie auch Nordkorea, Indien oder Israel) dadurch „strategische Renten“ lukrieren. Diese Länder erhalten vom Westen „Nichteinmischung“ oder sogar politische und ökonomische Zugeständnisse, teils sogar Waffen- und Wirtschaftshilfe, ohne dafür eine andere Gegenleistung bieten zu müssen, als das Versprechen, die Bombe nicht einzusetzen. Generell verbessern sich durch den Besitz der Bombe Verhandlungsposition und Handlungsspielraum. Währenddessen müssen andere Länder harte (wirtschafts-)politische Bedingungen für Kredite akzeptieren.

 

Polit-ökonomisch betrachtet gibt es daher derzeit für den Iran keine sinnvolle Alternative zu seinem Atomprogramm, die zivile Nutzung der Atomkraft im Iran zu unterbinden, käme zudem dem Bruch internationalen Rechts gleich und ließe den Ruf nach „Schadenersatz“ laut werden. Diese Logik geht aber noch weiter: der Iran wird früher oder später Atomwaffen haben, wenn es nicht gelingt, den Eindruck ihrer Nützlichkeit, wenn nicht sogar Notwendigkeit, zu beseitigen. Die Stärke des Drucks auf den Iran erhöht letztlich nur deren Preis, wird ihren Besitz aber kaum verhindern, ja sogar eher beschleunigen, weil strategische Notwendigkeit von und ökonomischer Vorteil durch Atombomben unter Druck noch zunehmen. Freilich ist es für die USA polit-ökonomisch ebenso notwendig, das technologische und militärische Aufholen eines deklarierten Feindstaates zu verhindern. Gerade im Fall des Iran wäre der „Grenzschaden“ für die Weltführungsmacht besonders groß. Damit aber ist die Eskalation eines Konflikts vorprogrammiert, dessen militärische Austragung extrem weit reichende Folgen haben würde. Es steht zwar außer Zweifel, dass die USA in der Lage ist, einen als „chirurgische Militärschläge“ (vielleicht auch als „Offensivverteidigung“) bemäntelten Kurzkrieg gegen strategische Ziele im Iran zu führen. Es steht aber ebenso außer Zweifel, dass die Reaktion darauf ein Flächenbrand wäre, im Vergleich zu dem die Probleme im Irak einem bloßen Lagerfeuer glichen. Also ist die einzig mögliche Konsequenz, sich mit dem iranischen Atomprogramm anzufreunden und sich voll und ganz auf die letztlich entscheidende Frage zu konzentrieren: wie dieses Programm friedlich bleiben kann. Das funktioniert nicht dadurch, dass man versucht, die iranische Atomforschung zu verbieten, oder gar mit Militärschlägen droht, denn beides verändert die polit-ökonomische Bewertung nicht, sondern steigert vielmehr den „Bombennutzen“. Es funktioniert nur durch einen offenen Dialog, der sich an für alle bindenden internationalen Vereinbarungen orientieren muss, und dadurch Vertrauen und Transparenz schafft, die keine Vorbedingungen für Gespräche sein können. Daran ändert auch die wegen ihrer Beispielwirkung hochproblematische Vernichtungsrhetorik des Iranischen Präsidenten nichts, die freilich in erster Linie innenpolitische Adressaten hat.

 

Es geht also durchaus darum, durch für beide Seiten interessante ökonomische Anreize, technische Kooperation (die zugleich eine gewisse Kontrolle ermöglicht) und Sicherheitsgarantien (der Iran ist von westlichen Militärbasen umgeben, nicht nur im Irak und in Afghanistan) den sonst zu erwartenden erheblich größeren Schaden zu verhindern, der einer militärischen Konfrontation folgen würde. Dass das für Europa weitaus eher gilt, als für eine weit entfernte US-Regierung, die überdies von der Krise tendenziell profitiert, ist freilich auch eine Begründung für die unterschiedliche Vehemenz, mit der in dieser Frage bestimmte Lösungsmöglichkeiten vorangetrieben werden. Schließlich führt ein höherer Ölpreis unmittelbar zu höheren Einkünften für die meisten Mitglieder der Bush-Administration, und die Unsicherheit während einer Krise steigert die Wahlchancen von im Amt befindlichen Politikern. Und damit enden wir bei politischer Ökonomie in Reinkultur.

 

 

 

Dr. Andreas Exenberger,

  Autor von „Außenseiter im Weltsystem: Die Sonderwege von Kuba, Libyen und Iran“,

  ist Wirtschaftshistoriker an der Fakultät für Volkswirtschaft und Statistik

  und Mitglied im interfakultären Forschungsbereich

"Weltordnung - Religion - Gewalt"