Buchtipp: „Eugenische Vernunft“ - Auslese, Selektion, Genetik. Arbeiten von Maria A. Wolf

Die Forschungsplattform Geschlechterforschung der Universität Innsbruck lud am 4. Dezember zu einer Buchpräsentation von zwei Büchern von Maria A. Wolf, Professorin am Institut für Erziehungswissenschaften der Universität Innsbruck. Maria A. Wolf schreibt in ihrer 2008 erschienenen Habilitationsschrift „Eugenische Vernunft“ eine Geschichte, die aktueller nicht sein könnte.
Maria A. Wolf
Maria A. Wolf [© Andreas Dworasch]

Eugenik heißt „rationalisierte Fortpflanzung“. Was aber bedeutet„eugenische Vernunft?“ Wann glaubte man daran, dass die Medizin eine Lösung für die soziale Frage haben könnte? „Viele Gelehrte, Männer und wenige Frauen, und viele Politiker hielten Menschenzucht, deren Lehre zumindest bis 1945 Eugenik hieß, für die Straße des Fortschritts und für das Wohl der Menschen. Krankheit, Not, Sucht oder auch Verbrechen seien damit zu bekämpfen. Am besten sei es doch, wenn Menschen, die ohnehin nur leiden würden, so war die Ratio, überhaupt erst nicht geboren würden. Oder auch solche, der der Gemeinschaft, dem Volk oder wie immer man das kollektive ‚Wir’ gerade benannte, sowieso nur schaden würde. Bei konsequenter Durchführung könnten die meisten Menschheitsprobleme in einigen Generationen gelöst sein“, fasste die Wiener Historikerin Maria Mesner in ihrer Einführung zu den beiden Bänden in der Buchhandlung Wiederin am Innsbrucker Sparkassenplatz die Grundideen der Eugeniker zusammen.

 

Und tatsächlich waren nicht allein „nationalsozialistische Rassenhygiener“ sondern auch sozialistische Mediziner wie der bekannte Wiener Gesundheitsstadtrat des „Roten Wien“ - Julius Tandler - entschiedene Verfechter einer „naturwissenschaftlich-genetischen Eugenik“, die „das Erbgut einer Person durch Ausschaltung schlechter und oder zu Krankheiten führender Erbanlagen verbessern sollte, um potentiell zukünftiges Leid von „Erbkranken“ zu verringern. Ausgetragen wurde dies über die Körper von Frauen, die als Material und Ressource dien(t)en.

 

Maria A. Wolf möchte mit ihren Arbeiten deutlich machen, dass eugenisches Denken keineswegs etwas Historisches, Vergangenes ist. Sie entwickelt material- und detailreich ein unsichtbares und öffentlich wenig diskutiertes enges Band zwischen dem „eugenischen Gestern“ und dem „genetischen Heute“. Im aktuell allgegenwärtigen „Kampf der Gene“ zeige sich „eugenische Vernunft“, die nur nicht mehr so benannt werde. Maria A. Wolf spricht von medizinisch-biologischen Denkmustern, die sich im Bereich des Sozialen etabliert haben, indem sich „Tatsachenblick“ und „Faktenwissen“ als leitende Kriterien für die „soziale Frage“ durchsetzten. Im heutigen Sprachgebrauch bedeute „eugenische Vernunft, dass „Kinder mit „Gen-Defekten“ und deren Familien verhindert und der „Kostenaufwand für die Betreuung lebenslang fürsorgebedürftiger Menschen“ verringert werden sollen. Die „eugenische Vernunft“ fördert oder verhindert das Werden von Leben und beurteilt Lebendiges. Darunter fallen einerseits so unterschiedliche wie andererseits wieder auch verwandte Konzepte wie „nationalsozialistische Rassenhygiene“, die Samenbanken von Nobelpreisträgern, präimplantats- und pränataldiagnostische Untersuchungen, die Straffreiheit der Abtreibung bei Vorliegens von erbkrankheitstragenden Föten weit über das 3. Schwangerschaftsmonat hinaus wie auch die Zwangssterilisierung von geistig behinderten Personen.

 

„Eugenische Vernunft“ besagt nicht weniger als das das Abweichende, „Kranke“ im Interesse  eines so genannten „Gesunden“ ausgesondert werden darf. „Die Tötung ‚wissenschaftlich Selektierter’ ist dann unter den spezifischen Handlungsbedingungen totaler Institutionen und dem politischen Kontext totalitärer Regime realisiert worden.“.

 

Maria A. Wolf gelingt es, in ihrer umfassenden Habilitationsstudie „Eugenische Vernunft“. Eingriffe in die reproduktive Kultur durch die Medizin 1900-2000“ (Böhlau 2008) wie auch in der gekürzten Fassung „Geschlecht -- Gen - Generation. Zur gesellschaftlichen Organisation menschlicher Herkunft“ (Merus 2007) uns vor Augen zu führen, dass eugenisches Denken nach dem Nationalsozialismus und seinen vielen Verbrechen an Menschen mit Behinderung keineswegs grundsätzlich diskreditiert gewesen sei wie auch dieses Denken keineswegs an Attraktivität für das „moderne, gesunde Staatswesen“ verloren hätte. Im Gegenteil: unter demokratischen Vorzeichen hat sich eine Kultur der „neuen Eugenik“ etablieren können wie es in der„Erziehung zur eugenischen Vernunft“ zum Ausdruck komme und in der „humangenetischen Familienberatung seit den 1980er Jahren angewendet werde, so die Autorin bei der gut besuchten Buchpräsentation.

 

Maria A. Wolf, Eugenische Vernunft“. Eingriffe in die reproduktive Kultur durch die Medizin 1900-2000“ (Böhlau 2008) und „Geschlecht -- Gen - Generation. Zur gesellschaftlichen Organisation menschlicher Herkunft“ (Merus 2007)

 

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(ip)