Die Schutzverantwortung

Mitte Dezember fand in Innsbruck einen hochkarätig besetzte völkerrechtliche Tagung zum Konzept der Schutzverantwortung statt: Staaten besitzen nicht nur einen Herrschaftsanspruch über ihr Gebiet, sondern auch eine Verantwortung gegenüber ihrer Bevölkerung.
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Mitte Dezember debattierten internationale Experten in Innsbruck über die Schutzverantwortung.

Eine hochkarätige wissenschaftliche Tagung fand am 16. Dezember an der Universität Innsbruck statt. Auf Einladung von Prof. Peter Hilpold von der rechtswissenschaftlichen Fakultät (Italienisches Recht) und von Prof. Ursula Moser vom Kanada-Institut der Universität fanden sich zahlreiche Experten des internationalen Rechts in Innsbruck ein, um ein neues völkerrechtliches Konzept zu diskutieren: die Schutzverantwortung. Auf dieser Marathon-Tagung wurde bis in den Abend hinein debattiert und diskutiert. 

Was bedeutet Schutzverantwortung?

Die Schutzverantwortung, im Englischen Responsibility to Protect oder R2P, ist ein Konzept, das erst ein Jahrzehnt alt ist, aber das internationale Recht schon jetzt ganz klar prägt. Um was geht es? Staatliche Souveränität bedeutet nicht nur Herrschaftsanspruch über ein bestimmtes Territorium, sondern auch Verantwortung gegenüber der betreffenden Bevölkerung. Entstanden ist dieses Prinzip im Gefolge der schweren Verbrechen, die 1994 in Ruanda und 1995 in Srebrenica geschehen sind. Der damalige UN-Generalsekretär Kofi Annan hat nach Wegen gesucht, derartigen Entwicklungen Einhalt zu gebieten. 1999 intervenierte die NATO im Kosovo. Wiederum aber war unklar, ob diese Maßnahme zulässig war. „Illegal, aber moralisch notwendig“, lautete vielfach das Votum. Die kanadische Regierung hat daraufhin im Jahr 2000 eine Studienkommission, die International Commission on Intervention and State Sovereignty (ICISS), eingesetzt, die 2001 ihren Bericht vorlegte. Das zentrale Ergebnis: Staaten sind primär selbst verantwortlich, ihre Bevölkerung zu schützen. Sollten sie dazu aber nicht willens oder nicht imstande sein, so fällt diese Verantwortung auf die Staatengemeinschaft. So simpel diese Formel lautet, so revolutionär war sie. Die NATO-Intervention in Libyen vergangenes Jahr hat gezeigt, dass es die Staatengemeinschaft ernst meint mit der Schutzverantwortung.

Was sind die Perspektiven dieser Schutzverantwortung?

Was sind ihre verschiedenen Verästelungen? In welche Richtung wird sie sich bewegen? Wann kann eine militärische Intervention durchgeführt werden? Gibt es Wege, um die Entstehung solcher Konflikte überhaupt zu verhindern? Das sind einige der Fragen, mit denen sich eine international besetzte Tagung an der Universität Innsbruck Mitte Dezember auseinandersetzte. Die Veranstalter, Prof. Ursula Moser vom Kanada-Institut und Prof. Peter Hilpold von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät (Italienisches Recht) der Universität Innsbruck, konnten internationale Experten des Völkerrechts aus zahlreichen Ländern für diese Tagung gewinnen. Das Kanada-Institut hat bereits im Jahr 2008 eine Tagung zu diesem Thema ausgerichtet. Der besondere Kanada-Bezug ergibt sich aus der Tatsache, dass Kanada bei der Gestaltung dieser Idee und ihrer weiteren Entwicklung in der UNO federführend war. Gleich drei Referenten kamen aus Kanada. Von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät kam hingegen das spezifische juristische Know-how für die Analyse dieses völkerrechtlichen Konzepts. Insgesamt liest sich die Referentenliste wie das „Who-is-who“ des Völkerrechts. Rektor Tilmann Märk, der die Tagung einführte, bemerkte, dass ihn diese Thematik persönlich interessiere. Die Universität Innsbruck hat sich schon seit dem Aufkommen dieses Konzepts damit über Tagungen und international vielbeachtete Publikationen auseinandergesetzt.

Ergebnisse der Tagung

Dass die Menschenrechte weltweit an Bedeutung gewinnen, wurde im Rahmen der Tagung sehr deutlich. Es wächst ein immer klarer Konsens heraus, dass sich die Verbrechen der Vergangenheit, insbesondere die Völkermorde des 20. Jahrhunderts, nicht mehr wiederholen dürfen und dass dafür alles Menschenmögliche getan werden muss. Wie dies geschehen soll, darüber gingen aber die Meinungen stark auseinander. Klar erkennbar wurden unterschiedlichen Zugänge zu dieser Frage in den verschiedenen juristischen Kulturkreisen. WissenschaftlerInnen wie die aus den USA stammende und nun an der Universität Basel lehrende Prof. Krista Schefer oder Prof. Fernand De Varennes (nunmehr an der Universität Peking) waren bereit, dem Prinzip der Schutzverantwortung eine sehr breite Reichweite zuzumessen. Frau Prof. Schefer ging sogar soweit, von einer Verpflichtung der Staaten, Schutzverantwortung zu übernehmen, zu sprechen. Bedenkt man, dass diese Verantwortung z.T. auch mit Waffengewalt, über sog. humanitäre Interventionen, wahrgenommen wird, so war dies sicherlich eine sehr mutige Positionsnahme.

Ganz anders hingegen die Haltung der italienischen Professoren Andrea Gattini (Universität Padua) und Enzo Cannizzaro (Universität Rom) sowie des franko-kanadischen Professors John Packer (nunmehr Universität Essex). Diese waren sehr zurückhaltend in diesem Zusammenhang. Eine vermittelnde Position nahmen der Gastgeber, Prof. Peter Hilpold sowie Prof. Manfred Nowak (Universität Wien) und Prof. Stefanie Schmahl (Universität Würzburg) ein. Diese sprachen der Schutzverantwortung schon jetzt eine große Tragweite zu, qualifizierten diese aber überwiegend als „Norm im Werden“. Prof. Ursula Moser sprach explizit das Problem Syrien an: Welche Bedeutung kommt der Schutzverantwortung bei der Lösung dieser Problematik zu? In einer angeregten Diskussion kamen die Fachleute zum Ergebnis, dass die Einführung dieses Konzepts ein wertvolles Instrument geschaffen habe, um diese Fragestellung anzugehen.

Vielsprachige Universität Innsbruck

Mit dieser Tagung zeigt die Universität Innsbruck, dass sie federführend an der Diskussion von international-rechtlichen Themen mitwirkt und gleichzeitig auch einen beliebten Bezugspunkt für internationale Experten darstellt. Auch die im Vorjahr, ebenfalls am 16. Dezember, stattgefundene Tagung zur Kosovo-Problematik hatte großen Anklang gefunden. Die Tagungsakte sind gerade veröffentlicht worden. Interessant war auch festzustellen, dass diese Tagung durchgehend zweisprachig abgehalten worden ist, und zwar ohne Beiziehung von Dolmetschern. Deutsch hat also als Wissenschaftssprache noch nicht völlig ausgedient und die Universität Innsbruck hat sich einmal mehr als Universität der Zwei- und Vielsprachigkeit präsentiert. Sowohl für das Kanada-Institut als auch für die Rechtswissenschaftliche Fakultät kommt diese Veranstaltung einer Leistungsschau gleich. Eine lange Liste von Sponsoren, deren Logo auf der Hinterseite der Einladung abgedruckt ist, verdeutlicht einerseits die Reputation der Veranstaltung, andererseits aber auch den finanziellen Aufwand, der hinter einer solchen Veranstaltung steckt.

(red)