Eine Brücke zwischen dem „Reich der Mitte“ und dem Westen: Shan Sa in Innsbruck

Im Rahmen der Ringvorlesung „FrauenWeltLiteratur“ der Universität Innsbruck besuchte die in Frankreich lebende Autorin mit chinesischen Wurzeln Shan Sa am 29. November 2011 Innsbruck. Die Lesung gab einen Einblick in ihre von unvergleichlichem Bilderreichtum geprägten Texte, in denen chinesische Kultur mit französischem Flair auf Tiroler Boden zusammentraf.
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Die in Frankreich lebende chinesische Autorin Shan Sa besuchte Ende November Innsbruck. (Foto: Jean-Marc LUBRANO)

1972 in Peking geboren, begann Shan Sa bereits als Mädchen zu schreiben. Im Alter von 7 Jahren veröffentlichte sie ihre erste Gedichtsammlung, mit 15 Jahren wurde sie als jüngstes Mitglied in den chinesischen Schriftstellerverband aufgenommen. Als im Juni 1989 die studentischen Proteste am Patz des Himmlischen Friedens blutig niedergeschlagen wurden, veränderte sich jedoch das Weltverständnis der 16-jährigen Schülerin nachhaltig. In ihrem ersten Roman „Porte de la paix céleste“ („Himmelstänzerin“), den Shan Sa 1997 auf Französisch verfasste, spiegeln sich diese prägenden Erlebnisse wider. Bereits dieses Romandebüt der Autorin wurde mehrfach preisgekrönt und mit dem Prix Goncourt du Premier Roman (Goncourt-Preis für den Erstlingsroman eines Autors oder einer Autorin), dem Prix de la Vocation und dem Prix Mottart (Förderpreis der Académie française) ausgezeichnet. Das Massaker vom Platz des Himmlischen Friedens wurde dann für die Autorin auch zum auslösenden Moment ihrer Emigration: 1990 verließ Shan Sa China, um nach Frankreich zu gehen. Folgte sie damit zunächst ihrem Vater nach Paris, der als Gastprofessor an der Sorbonne lehrte, so blieb sie nach dessen Rückkehr nach China – erst 17-jährig und ohne eine Wort Französisch zu sprechen – allein zurück. 

Neuer Anfang in Frankreich

Schien ihre Karriere als Schriftstellerin in China bereits vorgezeichnet, so musste Shan Sa in Frankreich ganz von vorne beginnen und sich die fremde Sprache mühsam aneignen – in den Augen der Autorin ein schwieriger Lernprozess, der sie tiefgreifend veränderte: „Durch die Ankunft in Frankreich wurde ich endgültig zu einer Fremden, einer Entwurzelten, einer Marginalisierten, und dadurch wurde ich bestärkt in meiner Identität als Einzelgängerin, die im Nirgendwo verortet ist“, erklärt dazu die Autorin. Trotz großer Sprachschwierigkeiten absolvierte sie zunächst das französische Abitur an der renommierten École alsacienne und begann ein Philosophiestudium. Zwischen 1994 und 1996 arbeitete Shan Sa als Sekretärin des Malers Balthus, dessen Frau Setsuko Idata brachte ihr die japanische Kunst und Kultur näher, wodurch vor allem der Roman „La joueuse de go“ (2001, „Die Go-Spielerin“) stark beeinflusst wurde – ihr erster Roman, der auch außerhalb Frankreichs veröffentlicht und für den sie mit dem Prix Goncourt des Lycéens ausgezeichnet wurde. Shan Sas Romane erscheinen mittlerweile in mehr als 30 Sprachen, als Malerin stellt sie ihre Kunstwerke in New York, Paris, Tokio und Shanghai aus.

Ein neuer Blick auf China

Der Bruch mit China stellt für Shan Sa zugleich eine Inspirationsquelle dar, denn aus einer veränderten Perspektive kann sie sich ihrem Heimatland wieder annähern, indem sie es in fast allen Romanen zum Schauplatz ihrer Geschichten macht. Gleichzeitig kann sie auch ihre neue Heimat Frankreich ironisch in den Blick nehmen, wie sie das im Spionageroman „Les conspirateurs“ (2005) tut. Wie die Migrationsautorin selbst befinden sich ihre Romanfiguren auf der Suche nach Identität und werden dabei von Begegnungen mit dem Anderen, dem Fremden nachhaltig beeindruckt. Die zumeist weiblichen Protagonisten versuchen dabei auch ihre eigene Definition von weiblicher Identität zu finden. So etwa auch in „Impératrice“ (2003, „Kaiserin“), wo Shan Sa das Geschichtsbild der einzigen offiziellen chinesischen Kaiserin Wu Zetian zu korrigieren versucht und deren Verhältnis zur Macht portraitiert.

Die poetische und bildhafte Sprache in den Romanen Shan Sas ist von mehreren Künsten beeinflusst, die sie selbst ausübt: Neben der Schriftstellerei betätigt sie sich als Malerin und Kalligraphin, sie beherrscht die siebensaitige chinesische Zither ebenso wie die Kunst des Schwertkampfs. So verbindet die Künstlerin in ihrem Schaffen Wort und Bild, Poesie und Prosa, Schrift und Musik und kreiert damit in ihren Texten eindrucksvolle Synästhesien aus bunten Farben, Klängen und Düften. Vor allem den Zusammenhang zwischen Schreiben und Malen strich Shan Sa im Gespräch mit den Studierenden nach der Lesung hervor: „Mir scheint, dass mit Worten allein manchmal nicht alles gesagt, nicht alles beschrieben und dargestellt werden kann. Meine Bilder sind so auch immer Ergänzungen zu meinen Romanen, denn in ihnen lassen sich treffender Stimmungen, Nuancen und Gefühle wiedergeben, als dies mit Worten alleine möglich ist“, so die Starautorin.

Innsbruck als Brennpunkt von „FrauenWeltLiteratur“

Die Lesung der Bestsellerautorin Shan Sa, die vom interdisziplinären Frankreich-Schwerpunkt der Universität Innsbruck organisiert wurde, fand im Rahmen der Ringvorlesung „FrauenWeltLiteratur“ an der Universität Innsbruck statt. Die öffentlich zugängliche Lehrveranstaltung bietet einen Querschnitt internationaler Literatur aus Frauenhand. Neben der Analyse der Besonderheiten weiblicher Literaturproduktion steht der Kontakt mit den geladenen Autorinnen aus Frankreich, Kanada, Italien, Russland, Argentinien und den USA im Mittelpunkt der Veranstaltung.

(Florian Schallhart)