Neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit?

Der Frage, ob derzeit ein neuer Strukturwandel der Öffentlichkeit stattfindet, gingen Ende September über 700 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bei der gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen, der Schweizerischen und der Österreichischen Gesellschaft für Soziologie an der Universität Innsbruck nach.
oeffentlichkeit.jpg
Die Sphere der Öffentlichkeit stand beim Soziologie-Kongress in Innsbruck im Mittelpunkt der Diskussionen.

In der politischen Öffentlichkeit schlägt der Puls der Demokratie. Auf dem Tahrir-Platz heuer als Versammlungsöffentlichkeit neu belebt, zeigt sie sich als von den Medien hergestellte Öffentlichkeit gleichwohl von zwei Seiten bedroht. Auf der einen Seite hält die politische Öffentlichkeit „nach außen“ kaum Schritt mit der Entgrenzung der Volkswirtschaften. Auf der anderen Seite wird sie „von innen“ unterhöhlt im Konkurrenzkampf der Medien um Aufmerksamkeit. „Kann über die kommunikativen Arenen der modernen Gesellschaft eine demokratische Selbstregierung noch gelingen“, fragte Frank Welz von der Universität Innsbruck, „wo in der einen Richtung die Medien auf Konsumenten und nicht länger Staatsbürger zielen und in der anderen Richtung einer globalisierten Wirtschaft die national legitimierte politische Autorität sich in einer Situation findet, die als globales ‚Regieren ohne Regierung‘ gilt?“

„Die Ertragskrise der Printmedien und die Orientierung an Medienkonsumenten führten zu neuen Auswahl- und Inszenierungslogiken in allen Gattungen des Informationsjournalismus”, ergänzt Kurt Imhof von der Universität Zürich. „Neben organisatorischen Veränderungen in der News-Produktion wie dem Abbau der Korrespondentennetze und der Ressorts und dem sprunghaften Anstieg des People-Journalismus und der Zunahme des Sports verändern sich die Darstellungen insbesondere was Politik und Wirtschaft anbelangt. Zum Beispiel haben in der innenpolitischen Berichterstattung Personalisierung, Skandalisierung und Konfliktstilisierung zugenommen, während in der Wirtschaftberichterstattung eine Schwäche an Kontroversen in wirtschaftpolitischer Hinsicht auffällt”.

„Bei aller berechtigten Sorge um die Erosion von Öffentlichkeit sollte man aber nicht übersehen, dass ‚mehr Öffentlichkeit‘ kein Patentrezept zur Lösung aller politischen Probleme ist“, argumentiert Georg Vobruba von der Universität Leipzig. „Schon gar nicht, wenn es um die Zukunft der EU geht. Politische Legitimation wird heute durch leistungsfähige Politik hergestellt. Öffentlichkeit kann dazu beitragen - muss aber nicht.“

Zahlreiche Forschungsnetzwerke und Arbeitsgruppen aus Soziologie, Politikwissenschaft, Kommunikations- und Bildungswissenschaften tragen anlässlich des Dreiländerkongresses der drei deutschsprachigen Fachgesellschaften für Soziologie aus Deutschland, Österreich und der Schweiz zur Beantwortung dieser Fragen bei. Gegen die viel kritisierte Fragmentierung der Sozialwissenschaften gerichtet, werden unterschiedliche Perspektiven zu vielleicht der politischen Frage unserer Gegenwart in vier thematischen Plenen, einem Round Table Gespräch, Eröffnungsvortrag und einer Schlussdebatte sowie zahlreichen Panel-Veranstaltungen diskutiert.