Barockoper zwischen Antike und Aufklärung

Gemeinsam mit den Festwochen der Alten Musik veranstaltete das Institut für Musikwissenschaft am 19. August ein interdisziplinäres Symposium, das die Barockoper als musikalisches Theater im Spannungsfeld von Adel und Bürgertum in den Fokus rückte.
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Barocke Musikinstrumente gemalt von Evaristo Baschenis (1617-1677) - Symbolbild: Wikimedia Commons

„Barockoper zwischen Antike und Aufklärung: Musikalisches Theater im Spannungsfeld von Adel und Bürgertum / Opern von Telemann und Hasse und ihre Uraufführungen in Hamburg und Innsbruck“ – unter diesem Titel präsentierten Referentinnen und Referenten aus Deutschland, Österreich und Italien ihre Tagungsbeiträge, die an das aktuelle Programm der Festwochen der Alten Musik 2011 angelehnt waren.
Die Idee und das Rohkonzept dieser zweiten gemeinsamen Veranstaltung der Instituts für Musikwissenschaft und der Festwochen der Alten Musik in Innsbruck stammen vom Dramaturgen und organisatorischen Leiter der Innsbrucker Festwochen, Rainer Lepuschitz.

Aufklärung versus „Sprache des Herzens“

Die Veränderungen in der Gesellschaft im 18. Jahrhundert spiegeln sich auch in der Musik und im Musikleben. Musikalische Aufführungen erhalten in dieser Zeit immer häufiger den Charakter öffentlicher Darbietungen. Sie repräsentieren gesellschaftliches Leben und werden von ihm beeinflusst. Im Kontext des Begriffsfeldes „Aufklärung“ zeigt sich, dass „Aufklärung“ ein Sammelbegriff ist, der unterschiedliche Aspekte der Epoche anhand bestimmender Merkmale zu verbinden sucht. Im Hinblick auf die Musik wird deutlich, dass diese vielfach nicht nach den Prinzipien der Vernunft, sondern nach denen des Gefühls beurteilt wird. Ist aber die Musik ein gefühlsbestimmtes Phänomen oder, wie man damals sagte, eine „Sprache des Herzens“, so wird sie häufig nicht als Teil rationaler Lebensgestaltung, sondern eher als deren Ergänzung beschrieben und als ein spezifisches Feld menschlichen Daseins neben das vorherrschend Vernunftgemäße gestellt. In welches geistige Klima platzte der Wiener Hofstaat, als er sich 1765 für einige Wochen zu Hochzeitsfeierlichkeiten nach Innsbruck verlegte? Wie wurde in der Hamburger Rats- und Bürgerstadt jahrzehntelang ein Opernbetrieb finanziert? Für wen komponierte Hasse, der Lieblingskomponist von Kaiserin Maria Theresia, Opern, für wen der Hamburger Musikdirektor Telemann? – Viele Fragen warfen die zwei in diesem Jahr bei den Innsbrucker Festwochen der Alten Musik wiederbelebten Opern von Telemann und Hasse auf. Welche Bedeutung hatte ein musikalisches Theater, in dem Themen der Antike und oft mythologische Stoffe aktuellen Bezügen Vorschub leisten oder gegebenenfalls sogar tunlichst aus dem Weg gehen mussten. Die hohe Kunst(fertigkeit) von jahrzehntelang im Dienst stehenden „alten Opernfüchsen“, wie dem Dresdner Hofopernkapellmeister Johann Adolph Hasse und dem Wiener Hofdichter Pietro Metastasio war einerseits ein Garant für repräsentative höfische Oper, andererseits vermochte sie der in die Jahre gekommenen Seria-Tradition durchaus immer noch überraschende, neue Aspekte abzugewinnen. Die gut 35 Jahre vor „Romolo ed Ersilia“ uraufgeführte Telemann-Oper „Flavius Bertaridus. König der Langobarden“ war dem späteren Werk in Hinsicht auf den entspannten Umgang mit der Form, die stilistische Flexibilität und die Orchesterklangsprache schon um einiges voraus.

Die musikalische Öffentlichkeit manifestierte sich in prunkvoll großartigen oder auch in bescheideneren Veranstaltungen, in Oper, Konzert und öffentlicher oder halböffentlicher Hausmusik sowie in deren Beschreibung, Klassifizierung und Beurteilung in schriftlichen Zeugnissen. In Konzertvereinen und Operngesellschaften wirkten Adlige und Bürger zusammen, in Orchestern und Kammermusikgruppen musizierten sie nicht selten gleichrangig nebeneinander. Zu den Opernhäusern hatten Angehörige aller Schichten Zutritt, sofern sie den Eintritt bezahlen konnten.

Nach wie vor kommt der Oper in dieser Zeit eine führende Position zu. Als prachtvolle, repräsentative Darbietung besaß sie, wie in früheren Zeiten, nicht nur einen hohen gesellschaftlichen Rang, sondern beherrschte als Gattung auch die ästhetischen Diskussionen. In Deutschland und in den habsburgischen Ländern wurde die Opernkultur vielfach noch von Fürstenhäusern getragen. Die Oper am Gänsemarkt in Hamburg war hier als bürgerliche Institution ein Gegenpol. Die Situation in Innsbruck hingegen war durch die Auflösung der Kaiserlichen Hofmusik 1748 und das geringe Engagement von Adel und Bürgertum in der Opernkultur geprägt.

Das öffentliche Musikleben bot in den einzelnen europäischen Ländern, je nach den örtlichen Möglichkeiten und Bedingungen, Traditionen und Neuerungen, Publikumsinteressen und Künstlerindividualitäten ein sehr verschiedenartiges Bild. Die vorrevolutionäre Musikkultur in den deutschsprachigen Ländern Europas im Bereich der Oper und ihres Umfelds stand demgemäß auch im Mittelpunkt der Veranstaltung.

(Kurt Drexel)