Zeitmesser: 100 Jahre "Brenner"

An die 200 Besucher kamen am 10. Juni ins Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum zur Eröffnung der Ausstellung Zeitmesser, die das Lebenswerk Ludwig von Fickers in den Blickpunkt der Aufmerksamkeit rückt.
Die Ausstllung Zeitmesser: 100 Jahre Brenner ist noch bis 19. September zu sehen.
Die Ausstllung Zeitmesser: 100 Jahre Brenner ist noch bis 19. September zu sehen.

Ganz konkret war es auch das Erste, das den Besuchern ins Auge fiel: die 109 Originalhefte des Brenner, einzeln aufgefächert an der Nordwand des Aufgangs zur „modernen Galerie“, darüber in orangefarbenen Lettern der wohl meist zitierte Satz von Karl Kraus: „Daß die einzige ehrliche Revue Österreichs in Innsbruck erscheint, sollte man, wenn schon nicht in Österreich, so doch in Deutschland wissen, dessen einzige ehrliche Revue gleichfalls in Innsbruck erscheint.“

 

Wolfgang Meighörner, Direktor der Tiroler Landesmuseen, wies in seinen Begrüßungsworten vor allem auf den besonderen Wert der Kooperation des Ferdinandeums mit dem Brenner-Archiv hin, stellt doch dieses Ausstellungsprojekt in vieler Hinsicht eine Erweiterung des Arbeits- und Gesichtsfeldes der Institutionen (Universität, Forschungsinstitut, Museum) dar. Denn mit der Ausstellung Zeitmesser versuchen Archiv und Museum gemeinsam, jenes schwer inszenierbare papierene Material, gemeinhin „Flachware“ genannt, ins Bild zu holen. Mehr noch: Die Ausstellung ist der Versuch, Forschungsarbeit jenseits des wissenschaftlichen Habitus erahnbar zu machen, die Aura der Originale zur Wirkung zu bringen und anschaulich zu machen, was sonst üblicherweise auf vielen Buchseiten erläutert wird. Die Raumgestaltung und die Objektpräsentation in den zwei Stockwerken der „modernen Galerie“ im Ferdinandeum stammen aus der innovativen Werkstatt des Innsbrucker Architektenteams „columbosnext“, das die herkömmliche Grammatik von Literaturausstellungen (Vitrinen, Bildtafeln) kühn verändert bzw. erweitert hat.

 

Die an Metallbügeln befestigten Dokumente – allesamt „Schätze aus dem Brenner-Archiv“, die aus Fickers Redaktionsarchiv, aus seinem privaten Nachlass sowie aus den anreichernden Sammlungen stammen – erzählen entlang des Fadens der Chronologie der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in die zwei Weltkriege fallen, die Geschichte der Zeitschrift, machen Leitideen und Kernthemen (Moderne, Gesellschaftskritik, Feminismus, Religion) sichtbar und erzählen nicht zuletzt auch von Konflikten, Kontexten und Unwegsamkeiten. So sind Briefe, Manuskripte, Fotografien von Georg Trakl, Else Lasker-Schüler, Hermann Broch, Karl Kraus, Christine Lavant, Paul Celan, Martin Heidegger u. v. a. zu sehen, kann man Originale genauer betrachten und auch – in Ruhe lesen. Ausgewählte Zitate und transkribierte Brief- oder Textzeilen sollen schlaglichtartig die ästhetischen und weltanschaulichen Positionen im Brenner erhellen.

 

Ein begehbarer orangefarbener Steg führt die Besucher durch die Ausstellungsbereiche, u. a. auch durch einen mit Kraus’ Letzten Tagen der Menschheit beschallten Käfig, der den Ersten Weltkrieg symbolisiert und der Trakls Testamentsbrief mit dem Gedicht Grodek zeigt. Nach den Philosophen der ‚katholischen Wende’ mit Ebner und Haecker, neben dem ‚langen Schatten Otto Weiningers’ führt der Steg über den Treppenaufgang, wo die Phase des Austrofaschismus und der NS-Zeit – in der Der Brenner als unerwünschtes Schrifttum zum Schweigen verurteilt ist – gezeigt wird, und führt schließlich weiter durch die ‚Enge’ der Nachkriegszeit, in der Ficker jedoch als Förderer und graue Eminenz der kulturellen Öffentlichkeit Österreichs erscheint. Der Steg führt vorbei an Gemälden und Zeichnungen, u. a. von Oskar Kokoschka und Max v. Esterle, Erich Lechleitner, Hilde Nöbl, Wilfried Kirschl, Max Weiler, die großteils Ludwig von Ficker und Brenner-Mitarbeiter/innen darstellen, und endet schließlich in der Gegenwart, in einem Raum, in dem Beispiele der zeitgenössischen Brenner-Rezeption, etwa durch den Künstler Franz West, gezeigt werden. Symbolisch ist Fickers Totenmaske in die Richtung des zur Gegenwart hin sich öffnenden Raumes gewandt. Am Ende gewährt die Ausstellung einen knappen Einblick in gegenwärtige Tätigkeiten des Brenner-Archivs, in die Publikationen, in die Neuerwerbungen, auf das Literaturhaus am Inn, dessen aufgeschlagenes Gästebuch den Eintrag der Nobelpreisträgerin Herta Müller zeigt.

 

Die Dekanin der Philologisch-Kulturwissenschaftlichen Fakultät, Waltraud Fritsch-Rößler, betonte in ihrem Statement zur Begrüßung die Bedeutung des Brenner-Archivs als Forschungsinstitut im Kontext der Fakultät und der Universität Innsbruck. Archivierung und Sammlung, Forschung und wissenschaftliche Erschließung der Bestände gingen selbstverständlich Hand in Hand. Kooperationen des Brenner-Archivs mit dem Institut für Germanistik haben sich über die Jahre bewährt, insbesondere auch in der Durchführung von Tagungen. Die Dekanin wies darauf hin, dass die aktuelle Ausstellungseröffnung gleichzeitig auch die erste Abendveranstaltung der Tagung „Prozesse der Literaturvermittlung“ war, die vom 10. bis 12. Juni vom Institut der Germanistik durchgeführt wurde. „Eine Tagung, in deren Rahmen eine Ausstellungseröffnung stattfindet, eine Ausstellungseröffnung, in deren Rahmenprogramm ein wissenschaftliche Tagung fällt“: Dies, so Fritsch-Rößler, erhelle die Frage „was ist Rahmen, was ist innen, was ist Vordergrund und was Hintergrund“ als eine Frage der Perspektive, die unterschiedlich vermittelt werden könne. Und „Vermittlung“, betonte sie, ist der zentrale Begriff, mit dem Arbeit und Ethos des Brenner-Archivs aufs Engste verbunden sind.

 

Der Leiter des Brenner-Archivs, Johann Holzner, zeichnete in der kurz bemessenen Zeit, die eine Ausstellungseröffnung erlaubt, ein stringentes Bild der Geschichte des Brenner sowie ein konturiertes Porträt Ludwig von Fickers, seiner Zeit und seines Wirkens. Es gehe auch um kritische Relektüren, um Aktualisierungen aus gegenwärtiger Sicht, um die Vermittlung neuer Perspektiven und Forschungsergebnisse zum Brenner.

 

Zuletzt eröffnete Benedikt Erhard, stellvertretender Leiter der Kulturabteilung des Landes Tirol, die Ausstellung und überbrachte die Grußworte der Kulturlandesrätin Beate Palfrader an das Brenner-Archiv, nachzulesen im Geleitwort zum Begleitbuch Zeitmesser. 100 Jahre „Brenner“. Darin heißt es: „Indem es die Erinnerung an diese Zeitschrift bewahrt und den Brenner eigentlich weiter schreibt, ist das Brenner-Archiv auch heute ein wichtiges Tor zur Welt. Ohne dieses wäre es dunkler in Tirol.“

 

Die Ausstellung ist noch bis 19. September im Tiroler Landesmuseum Ferdinandeum zu sehen.

(ip)

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